Unter Abwieglern

Von Marion Kraske für DER FREITAG

Als Störenfriede ­galten bisher wir, nicht die Nazis, berichten jene, die sich im thüringischen Jena gegen die Rechts­extremen engagieren. Ein Besuch bei Jugendpfarrer Lothar König

Breitbeinig steht er da, in der einen Hand eine selbstgedrehte Zigarette, mit der anderen Hand gestikuliert er herrisch in der Luft. Die Autos auftanken, die Technik checken, Frostschutzmittel einfüllen. Und alles hopp hopp hopp! Es soll losgehen, morgen in aller Frühe, zur Demo gegen den Castor-Transport nach Gorleben, die letzten Vorbereitungen laufen. Die Stimmung ist gereizt, Lothar König schnauzt seine Mitstreiter an. Draußen, im Hof der Jungen Gemeinde Jena liegen die Utensilien, die sie mitnehmen wollen. Schlafsäcke, technisches Gerät, eine Lautsprecheranlage – das wichtigste Instrument ihres Protests – Verpflegung. Alles akkurat aufgereiht. Nichts wird dem Zufall überlassen. Wieder einmal ist Großkampftag für Lothar König und sein Team. Darin sind sie geübt.
Das Logo der Jungen Gemeinde Jena
Lothar König ist Jugendpfarrer in Jena. Mitten in der Innenstadt liegt seine Junge Gemeinde, ein Relikt der DDR, von jeher ein Anziehungspunkt für Andersdenkende, für Unbequeme, einst verfassten sie hier einen Protestbrief gegen die Ausweisung Wolf Biermanns. Nur wenige Meter von der schmucken Fußgängerzone und dem futuristischen Einkaufsturm Jen-Tower entfernt, gleicht die Gemeinde mit ihrem engen, backsteineingefassten Hinterhof einer Trutzburg. Einem gallischen Dorf, einem Widerstandsnest…[mehr]

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Madame Beliebigkeit

Von Marion Kraske für DATUM

Ich habe mit mir gerungen. Mich gefreut? Das wäre zu viel gesagt, eher wohlwollend goutiert, dass endlich eine Frau ins höchste deutsche Regierungsamt aufrückte. Nach all den irrwitzig langen Kohl-Jahren, Inbegriff der graubeanzugten, übergewichtigen Saumagenrepublik, nach dem rot-grünen Testballon, der Ära des zigarrenschmökenden Brioni-Kanzlers Schröder, unter dem Frauen- und Familienthemen als lächerliches Gedöns abgetan wurden, nach dem Ballon, der schließlich lautstark platzte. Poffffffffff.

Nun endlich meinte ich am Horizont einen Lichtstrahl wahrzunehmen. Nicht strahlend hell, doch ein wenig lichter als das, was man eben so kennt aus dem männerdominierten Politeinerlei. Endlich einmal ein weibliches Alphatierchen, angekommen im Olymp der Macht. Nicht, dass Frauen die besseren Wesen wären – wer wollte das behaupten? Und doch keimte die Hoffnung auf einen Perspektivwechsel auf, auf die andere, die unkonventionelle Herangehensweise, auf das Neue im ewig Gleichen. So dachte ich. Sie hätte was daraus machen können.

Nun aber ist auch der ohnehin schwach glimmende Lichtstrahl im Trüben versackt, die Hoffnung einmal mehr erloschen. Mit ihr das Interesse, dieser ersten deutschen Kanzlerin künftig auch nur einen Funken Bedeutung zuzuschreiben….[mehr].

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AUFGESPIEßT: Die Opferthese des Mr. Almighty

Von der BILD sollte er bis zuletzt ins Kanzleramt katapultiert werden, vom auch nicht eben kritischen SPIEGEL wurde das rosa-rot-hochjauchzende Bild einer blaublütigen Überfamilie kreiert (“Die famosen Guttenbergs”). Jetzt steht der gescheiterte Obermauschler Zu Guttenberg neuerlich an der Schwelle und fordert Einlass in die deutsche Wahrnehmbarkeitsspäre, nachdem er sich angesichts des ausfernden Pfuschs an seiner Doktorarbeit eine kurze – offenbar zu kurze Zeit – ins sichere Ausland abgesetzt hatte.
Mit seinem “Vorerst gescheitert” will der Plagiator sich nun höchstselbst dahin zurück katapultieren, wo er seine ganz bescheidene Berufung sieht: In die hohe Politik, an die Schalthebel der Macht. Hans-Jürgen Wirth, seines Zeichens Psychoanalytiker, hat das Buch des einstigen CSU-Hoffnungsträgers unter die Lupe genommen. Auf Stern online kommt er zu dem Schluss: Das Guttenbergsche Werk sei vor allem: dreist. Der Baron komme als narzisstische Persönlichkeit daher, frei von Scham- und Schuldgefühl, attestiert der Wissenschaftler. Zu Guttenberg liefere Rechtfertigungen auf Schüler-Niveau statt echter Einsicht, von Reue sei ohnehin nicht die Rede. Statt als Täter stelle sich der überführte Fälscher als Opfer seiner eigenen Chaotie dar. “Er will Mitleid, Nachsicht und letztlich den Freispruch von dem zentralen Vorwurf der absichtsvollen Fälschung.” Die Universität Bayreuth hatte ihm vorsätzliche Täuschung attestiert.
Wirth wünscht dem nach wie vor vor Selbstverliebtheit strotzenden Adelsmann
einen intensiven Prozess der Trauerarbeit und Selbstreflexion, „vielleicht mit Hilfe eines Psychoanalytikers“. Auf diese Weise, rät der Fachmann, könnte Deutschlands einstiger Superstar von seinen „Grandiositätsphantasien“ Abschied nehmen.

Wir erinnern uns:

ben

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Stuttgart 21: Triumph der krummen Tour

Von Marion Kraske

Günther Öttinger darf sich freuen: Der frühere Ministerpräsident von Baden-Württemberg hat ein eindrucksvolles Lehrstück darüber eingeleitet, wie weit Politiker zu gehen bereit sind, wenn sie ihre – mitunter höchst zweifelhaften – Ziele gegen Widerstände durchdrücken wollen. Stuttgart 21, das umstrittene Bahnhofsprojekt, jedenfalls wird gebaut. Nicht nur, aber auch Öttingers krummen Touren sei Dank.
Der heutige EU-Kommissar, der nicht eben aus professioneller Eignung nach Brüssel entsandt wurde, hat in seiner Regierungszeit, so berichtete es jüngst Der Spiegel, augenscheinlich Informationen über eine Kostenexplosion beim Bauprojekt mit Bedacht verschwiegen. Opposition und Parlament wurden danach über die aus dem Ruder laufenden Kosten im Dunkeln gelassen, man könnte auch sagen: Für dumm verkauft. …[ mehr ]

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Sozialarbeiter – „Schmierfett“ der Gesellschaft

Von Tim Schumacher

Als die Gewalt in England eskalierte, die sogenannten Riots, fragten hier alle, ob so etwas auch bei uns passieren könnte. Hat damals jemand Sozialarbeiter gefragt? Natürlich nicht! Mit meinen Kollegen bin ich einer Meinung: Unter der Oberfläche brodelt es bei weitem mehr, als die Öffentlichkeit wissen möchte. Genau deshalb werden wir auch nicht gefragt – clever!
Ich bin seit etwa 15 Jahren als Diplomsozialpädagoge und Sozialarbeiter in der Sozialen Arbeit tätig und habe verschiedene Berufsfelder kennengelernt. Ich hatte das Pech, direkt in der Zeit des Niedergangs der Sozialen Arbeit in diese Profession geraten zu sein (Ökonomisierung, Kolonialisierung durch das System, etc.).
Meine Eltern, beide seit über 25 Jahren Erzieher im öffentlichen Dienst, konnten vernünftig von ihrem Gehalt leben (Hauskauf, abbezahlt bis zur Rente, hoher Lebensstandart, keine Angst vorm Alter). Den ökonomischen Druck freilich haben auch sie gespürt, ähnlich einer Schraubzwinge, die immer fester zugreift – stressbedingte Krankheiten inklusive. Aber, sie haben es geschafft. …[ mehr ]

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Untote im Anmarsch – die Rückkehr des Plagiators

Von Siegesmund von Ilsemann

Chuzpe ist es auf jeden Fall, vielleicht auch Schamlosigkeit, wenn der über eine hochnotpeinliche Plagiatsaffäre gestürzte Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Freiherr von und zu Guttenberg nach nur neunmonatigem Abtauchen in der amerikanischen Provinz mit Aplomp zurückkehrt auf die öffentliche Bühne.Guttenberg im neuen Look Von Ehre jedenfalls, die der politisch entmannte Adelsstand auch heute noch als eines seiner hevorstechendsten Merkmale reklamiert, findet sich keine Spur in dem Verhalten des so tief gefallenen Hochwohlgeborenen.
Wie Phönix aus der Asche saß Guttenberg bei einer politischen Konferenz in Kanada jetzt plötzlich wieder im Rampenlicht. Das Haar nicht mehr glatt-gegelt, die Brille weggestylt – fertig ist der „elder statesman“, als der er in der Teilnehmerliste geführt wurde. „Verdienter Staatsmann“?
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Aufgespießt: Keine Staatsknete für Nazi-Terror

Die Deutschen fordern laut einer ARD-Umfrage mehrheitlich ein NPD-Verbot. Vor allem stoßen sie sich an den Steuermilliarden, die den Rechtsradikalen nach dem Parteiengesetz gezahlt werden müssen. Mit dem Geld finanzieren die Volksverhetzer ihre Wühlarbeit gegen Juden, Moslems, Grundgesetz und Demokratie. In einem Video hat das ZDF jetzt die Hasstiraden des NDP-Führungskaders Pastörs dokumentiert:

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Der Rassismus in unserer Mitte

Von Marion Kraske

Jetzt sind sie alle wieder ganz schön betroffen, die hohe Politik vorneweg. Angela Merkel sagt: Terrorismus im rechtsextremen Bereich sei eine Schande für Deutschland. Ihr Außenminister Guido Westerwelle sagt, er sei bestürzt über die rechtsextremen Mordtaten. „Das ist nicht nur furchtbar für die Opfer, nicht nur schlimm für unser Land. Das ist vor allem sehr, sehr schlimm für das Ansehen Deutschlands in der Welt.”
Die Morde der Zwickauer Terrorzelle tragen in der Tat apokalyptische Züge, Menschenhass und Rassismus in nach dem Zweiten Weltkrieg kaum dagewesener Form haben dazu geführt, dass hier lebende Ausländer brutal umgebracht wurden. Dass sie hingerichtet wurden, einzig und allein aus fremdenfeindlichen Motiven heraus. Diese Taten stellen eine neue Qualität politischer Gewalt dar.
Junge Neonazis haben all das in die Tat umgesetzt, was andere an Menschenverachtung und Intoleranz seit Jahren in die deutsche Gesellschaft tragen, die rechtsextreme NPD vorneweg. Doch das Problem sitzt tiefer. Viele haben daran mitgewirkt, dass das Problem wahlweise negiert oder verharmlost wurde, auch die etablierten Parteien. …[ mehr ]

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Der Neonazi-Komplex

Von Michael Kraske

Was als Krimi um die „Zwickauer Terror-Zelle“ begann, ist schon jetzt eine Staatsaffäre. Unter den Augen des Thüringer Verfassungsschutzes haben sich Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt nicht nur von rechten Straßenschlägern zu Bombenbauern und Bombenlegern entwickelt. Unter den Augen der Geheimdienstler sind die drei Neonazis nicht nur abgetaucht. Schon jetzt steht fest, dass der Staat Aufbauhilfe für die Brutstätte der späteren Rechtsterroristen leistete.
Denn Tino Brandt, der Chef des „Thüringer Heimatschutzes“, jenes Bündnisses aus Thüringer Kameradschaften, das in den 90er Jahren Städte wie Jena mit Straßenterror überzog, war schon früh als V-Mann für den Verfassungsschutz tätig. Später räumte er ein, die Spitzelhonorare in Aktionen der Neonazis investiert zu haben. Insgesamt sollen in den 90er Jahren über eine Million Mark vom Staat an Thüringer V-Leute gezahlt worden sein. Opfer jener Zeit berichten, wie die rechten Schläger in Jena Jagd auf sie machten, wie sie mit Keulen und Fäusten prügelten, Zigaretten auf der Haut ihrer Feinde ausdrückten. Allein die Analyse dieser Thüringer Verhältnisse rechtfertigt es, nicht nur von Versagen zu sprechen, sondern von systematischer Staatsbeteiligung am Aufbau einer rechtsextremen Terror-Bande. …[ mehr ]

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Wie verkommen sind unsere Medien?

Von Wolfgang Lieb

(Referat des Mitherausgebers der NachDenkSeiten auf einer Veranstaltung des Rosa-Luxemburg-Gesprächskreises in Köln am 15. November 2011)

„Der tagesaktuelle deutsche Wirtschaftsjournalismus stand dem globalen Finanzmarkt gegenüber wie ein ergrauter Stadtarchivar dem ersten Computer mit einer Mischung aus Ignoranz und Bewunderung, ohne Wissen, wie er funktioniert, ohne Ahnung von den folgenreichen Zusammenhängen, die sich aufbauen; im Zweifel schloss man sich der vorherrschenden Meinung an. Die weltweite Krise des Finanzmarktes, die globale Krise der Großen Spekulation, löste auch eine Krise des Wirtschaftsjournalismus aus“.

Dieses Zitat stammt aus einer Studie des Journalisten und ehemaligen Chefredakteurs der Frankfurter Rundschau Wolfgang Storz und des Kommunikationswissenschaftlers Hans-Jürgen Arlt im Auftrag der Otto-Brenner-Stiftung. In der Studie wird die Berichterstattung in fünf überregionalen Tageszeitungen, von ARD-Aktuell und der Basis-Nachrichtenagentur DPA von 1999 (als Lafontaine noch Finanzminister war) bis nach der Finanzkrise, also über 10 Jahre über wirtschaftspolitische Themen empirisch aufgearbeitet.
Das Fazit der Studie: Die untersuchten sog. „Qualitätsmedien“ hätten bis 2005 die Mindesterwartungen an journalistische Arbeit nicht erfüllt. …[ mehr ]

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