Was ist schon Moral oder: Die Berlusconisierung schreitet voran

Von Marion Kraske

Jüngst im journalistischen Seminar einer deutschen Hochschule: Man diskutiert über die Affäre Wulff, über reichlich spendable Freunde und zugeschanzte Kredite für grotten-hässlichen Klinkerbau, über dreiste Bereicherung und hochnotpeinliches Upgrading bei einer Billig-Fluglinie. Die angehenden Journalisten finden das freilich alles halb so schlimm: Auch ein Politiker müsse doch noch Freunde haben dürfen. Die Debatte über den Bundespräsidenten sei schon sehr, sehr deutsch, befinden sie in der Runde. Schließlich meldet sich eine Studentin zu Wort und sagt: Sie wisse gar nicht, wo denn eigentlich das Problem sei. Es sei doch völlig normal, dass man Freunde bevorzuge, gerade auch im geschäftlichen Bereich, und so sei es doch kaum verwunderlich, dass eine solche Praxis auch unter Politikern Normalität sei.
Innehalten.
Ist sie das bereits? Die Kapitulation der Wähler – in diesem Falle der akademischen, noch dazu künftigen journalistischen Elite – vor den Unabänderlichkeiten einer wertelosen Gesellschaft? Die innere Emigration in einen resignierenden Ruhezustand, in dem zweifelhafte Entwicklungen zwar schemenhaft wahrgenommen, aber nicht mehr mit kritischer Distanz bis zu Ende gedacht werden?
Denn worum geht es bei der Diskussion um den Glamour-liebenden Bundespräsidenten? Um eine Neiddebatte, wie viele Kritiker, auch einige der Studenten, neuerlich ins Feld führen? Um Staub, wie es der Bundespräsident selber anfänglich – gänzlich frei von Selbstzweifeln – ausdrückte? Am Ende gar um den ausgeprägten Selbstbeschäftigungstrieb einer sich langweilenden Medienmasse?
Wohl kaum. …[ mehr ]

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Der Wulff und das “auch”

Von Marcus Müller

13 mal sagte Bundespräsident Christian Wulff am Donnerstag ‚auch’ in der Erklärung zu seiner Privatkredit-Affäre. Das ist nicht wenig für einen Text, der ganze 486 Wörter lang ist (einschließlich des sich für einen Präsidenten ziemenden „Guten Tag“ und „Vielen Dank“). Das wichtigste ‚auch’ steckte im Satz: „Ich werde das Amt auch in Zukunft gewissenhaft und mit ganzer Kraft ausfüllen.“
Man kann das Wiehern und Schenkelklopfen der Kabarettisten schon hören. Wieso ‚auch’ in Zukunft? Hat er es bisher getan? …[ mehr ]

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Drei Tage in London – was der Journalist di Lorenzo angerichtet hat

Ein Kommentar von Stefan Heijnk, Professor für Journalistik an der FH Hannover

ein Crosspost von: www.texten-fuers-web.de

Jeder Journalist und jede Journalistin handelt tagtäglich stets auch pars pro toto für die gesamte Berufsgruppe. Wenn Journalisten also individuelle Fehler machen, wenn sie Schädliches anrichten gegen eine Person, eine Institution oder auch gegen berufsständische Normen, dann leidet in jedem einzelnen Fall auch die Glaubwürdigkeit des journalistischen Berufsstandes insgesamt.

Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, hat einen solchen Fehler begangen. Weniger mit dem Interview als solchem, obschon auch das sicher kein journalistisches Glanzstück ist. Vielmehr mit dem Umstand, dass das Interview kein Interview ist, sondern ein Kooperationsprojekt: Di Lorenzo lässt sich Geld geben dafür, dass er Guttenberg für ein gemeinsames Buch drei Tage lang in London befragt hat. Selbst wenn er, wie er im Spiegel sagt, mit seinen Redaktionskollegen bei der Zeit bald “in Ruhe” über die Verwendung dieses Geldes sprechen will: Es bleibt ein Deal mit Geschmäckle, denn ein solches Konstrukt unterläuft – begründet oder nicht – schon im Ansatz jede gebotene journalistische Unabhängigkeit. …[ mehr ]

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Medienkritik: Wie aus einer Dietl-Satire

Von Martin Häusler

Keine Frage: Die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender verschwenden eine Menge Geld. Wer mit Menschen spricht, die einmal bei ARD oder ZDF gearbeitet haben oder immer noch dort arbeiten, erfährt – ganz vertraulich selbstverständlich – von ungeheuerlichen Anekdoten, die wirken wie aus einer Satire von Helmut Dietl. Da geht es dann um Spesenprasserei, um überzogene Honorare, um die Überbelegung von Redaktionen und die damit einhergehende Faulheit, und es geht um Klüngel, wie zuletzt beim MDR öffentlich geworden.
Nun meldet sich mal wieder Kurt Beck zu Wort. Nicht etwa wegen jener Anekdoten, sondern mit der Forderung, den meisten der öffentlich-rechtlichen Digitalkanälen – inzwischen sind es insgesamt sechs (Eins Extra, Eins Plus, Eins Festival sowie ZDF Neo, ZDF Info, ZDF Kultur) – den Saft abzudrehen. …[ mehr ]

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Wulff macht den Guttenberg

Von Marcus Müller

Bundespräsident Christian Wulff kommt der von Kanzlerin Angela Merkel angeblich gestellten Anforderung an das oberste Staatsamt nach Vorgänger Köhlers Flucht gerade vorbildlich nach. Die Forderung lautet: wie ein richtiger Politiker zu handeln. Ein bisschen eingestehen, wenn sich’s gar nicht mehr vermeiden lässt, im Juristendeutsch haarscharf an dem vorbeireden, was eigentlich Sache ist und nun – wenn auch milde – die Presse beschimpfen. Wulff redet bei Letzterem dezent von Staub aufwirbeln. Doch dieser Staub wird ihm noch in den Augen schmerzen.

Denn wenn es stimmt, was der SPIEGEL über den „falschen Präsidenten“ am Wochenende berichtet hat, dann kann Wulff nicht im Amt bleiben: Entweder hat er tatsächlich keine Ahnung davon, wie Geschäftsbeziehungen gerne verschleiert werden – nämlich indem sie mit einer Person verhandelt und praktisch abgeschlossen werden, nur eben auf dem Papier eine andere Person als Geschäftspartner auftaucht. Oder Wulff hat das alles gewusst, ihm war die Verschleierung recht, wofür allein schon das ursprüngliche Verschweigen im Landtag spricht. Dann hat er bisher schlicht nicht die Wahrheit gesagt: Wulff macht den Guttenberg. …[ mehr ]

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Christian Lindner, die FDP und der Südpol der Politik

Von Marcus Müller

Christian Lindner hat sicher nicht an den 14. Dezember 1911 gedacht, als er seinen Rücktritt vom FDP-Generalsekretärsposten ankündigte. An diesem Tag vor 100 Jahren erreichte der Norweger Roald Amundsen als erster Mensch den Südpol. Was das mit der nun gänzlich geschredderten Partei FDP zu tun hat? Biografen von Amundsen sowie seinem gescheiterten und erfrorenen Konkurrenten Robert F. Scott sagen, dass gerade der Durchhaltewillen diese fast übermenschliche Skimarsch-Leistung erst ermöglicht habe.

Nun, Durchhaltewillen ist in der Politik offenbar nicht mehr überall so arg weit verbreitet. Die Liste der Polit-Abtrünnigen verzeichnet in den vergangenen Jahren nicht nur völlig erratische Abtritte wie den von Horst Köhler als Bundespräsident und viel zu spät und skurril geratene, wie den knallchargenartigen Untergang eines psychologisch auffälligen Adelssprösslings. Sondern auch die von Politikern wie Friedrich Merz und Roland Koch. Die zwei Letzteren wollten dann offenbar doch nicht mehr so konsequent für ihre Sache stehen, wie sie das immer behauptet hatten, sondern lieber fett Geld verdienen. …[ mehr ]

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Hurra, sterben für die Bankenrettung

Von Siegesmund von Ilsemann

Endlich eine gute Nachricht aus unserem geschundenen Gesundheitswesen. Das jahrelange Herumdoktern an Deutschlands einst so vorbildlichem System der gesetzlichen Krankenversicherungen zeigt erste Erfolge. Es wurde ja auch Zeit, dass die Praxisgebühr, der Ausschluss vieler Medikamente und Therapien aus den Kassenleistungen sowie die 5-Euro-Zuzahlung auf alle anderen Pillen, Tropfen und Pülverchen, die unsere hochbezahlte Ärzteschaft zu Gesundung ihrer Patienten für unabdingbar hält, messbare Wirkung zeigen.
Zwar leistet bislang noch nicht die gesamte Bevölkerung ihren Beitrag zur Genesung eines wichtigen Teilbereichs unseres Sozialstaats. Aber die Geringverdiener unter den Deutschen geben vorbildlich die richtige Richtung vor: Sie sterben deutlich früher als noch vor zehn Jahren. …[ mehr ]

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Putin, ein fast moderner Diktator

Von Michael Kraske

Was für ein Schmierentheater die sogenannte „gelenkte Demokratie“ in Russland tatsächlich aufführt, ließ sich am besten studieren, wenn Pappkamerad Dimitrij Medwedew Präsident spielte und seinen vermeintlichen Untergebenen Putin an seinen überdimensionierten Präsidententisch einbestellte. Dann trug Laienschauspieler Putin für die Kameras betont bescheiden bräsige Erkenntnisse aus der Provinz vor und Medwedew tat so, als wenn er Anweisungen gab. Mit diesen gestellten Aufführungen imitierte das diktatorische Duo demokratisches Regierungshandeln. Mit der gleichen Verachtung für ihr Volk, mit der sie ihm transparente Demokratie vorspielten, haben Putin und Medwedew sich erneut an die Macht geputscht. Bei den dreisten Wahlfälschungen bemühten sie sich erst gar nicht darum, sonderlich subtil vorzugehen. Das Internet ist voller Berichte über Wahllokale, die schon vor der Öffnung Stimmzettel für „Einiges Russland“ produziert hatten oder von Krankenhäusern mit 97 Prozent Putin-Wählern. Derweil knüppeln die Polizisten in schlechtester Sowjet-Manier Oppositionelle von der Straße. …[ mehr ]

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Deutschland in der Krise: “Grüße aus Auschwitz”

Von Marion Kraske

Der österreichische Schriftsteller Robert Menasse hat vor wenigen Tagen auf dem internationalen Mediengipfel in Lech am Arlberg in einer flammenden Rede beklagt, dass in der aktuellen Krise der Europäischen Union die „Idee der Daseinsgeschichte“ der Union gänzlich in Vergessenheit geraten ist. Die Idee nämlich, dass man nach den Geschehnissen des Zweiten Weltkriegs, nach der Monströsität des Holocaust, den Nationalismus, vor allem den der Deutschen – eindämmen, ja gänzlich im Keim ersticken wollte. Diese Erinnerung an das, was die EU einst formte, der ideelle Ansatz, fehle heute in der Union, sagte Menasse. „Man müsste allen, die heute das Europäische Projekt blockieren, die sogar versuchen, uns am eingeschlagenen Weg zurückzudrängen, Ansichtskarten aus Auschwitz schicken, um ihnen vor Augen zu führen, was diese nationalistische Geisteshaltung schon einmal angerichtet hat.”
Grüße aus Auschwitz.
Ein Kontinent, der in den vergangenen Jahrhunderten durch Kriege geschüttelt wurde, fand durch die sukzessive Annäherung der Staaten, durch die Formierung einer gemeinsamen Identität eine Befriedung, ja mehr sogar: Man schaffte dauerhaften Frieden. In der aktuellen Finanz- und Schuldenkrise aber sieht Menasse neuerlich nationalistische Ressentiments hochkommen, vor allem auf deutscher Seite. „Ein neuer Nationalismus ist spürbar“, so der Dichter. …[ mehr ]

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AUFGESPIEßT: Die Mär vom Wutbürger

Nun ist es raus. Bahnchef Rüdiger Grube hat sich geoutet – als demokratiepolitischer Sorgenfall. Als einer, den Bürgerprotest auf die Zinne bringt. Als jemand, der augenscheinlich am liebsten klandestin und ungestört seine mitunter fragwürdig kalkulierten Projekte durchpeitschen möchte. Ganz nebenbei jedenfalls spricht er den Gegnern von Stuttgart 21 die Legitimität ab.
Aus Wutbürgern müsse man Mitbürger machen, so sagte Grube im Gespräch mit dem grünen Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann – ganz so, als handele es sich bei den Tausenden Demonstranten, die gegen den neuen Bahnhof in Stuttgart auf die Straße gingen, um schwer sozialisierbare Geisteskranke und Chaoten.

Schon mal was vom verfassungsmäßig verbrieften Demonstrationsrecht gehört? Von der im Grundgesetz verankerten Meinungs- und Versammlungsfreiheit als tragender Säule unserer Demokratie?
Vielleicht ist es ja eine Berufskrankheit, dennoch: Grube scheint ganz offensichtlich auf die schiefe Bahn geraten. Wir halten fest: Die Straße ist ein politischer Ort. Für Bürger mit und ohne Wut im Bauch.

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