Von Marion Kraske
Auf der Wannseekonferenz vor 70 Jahren beschlossen die Nazis den systematischen Völkermord an den Juden. Um zu verdeutlichen, was der Holocaust für die Familien bedeutete, haben wir ein Interview mit einer “Betroffenen” geführt: Waltraud Häupl.
Häupl, Jahrgang 1935, studierte Malerei, Grafik, Geschichte und Kunstgeschichte in Wien. Mehr als 50 Jahre lang wusste sie nicht, woran ihre Schwester im Krieg gestorben war. Durch Zufall erfuhr sie Ende der neunziger Jahre die erschütternde Wahrheit: Annemarie war der gezielten Massenmordmaschinerie der Nazis zum Opfer gefallen, sie starb zusammen mit mehr als 800 Kindern in einer Wiener Tötungseinrichtung der NS-Kindereuthanasie.
Annemarie
EIN HALBES JAHRHUNDERT LANG HATTEN SIE KEINE KENNTNIS DARÜBER, WAS MIT IHRER SCHWESTER ANNEMARIE PASSIERT WAR, DIE IM KRIEG IRGENDWANN IN EIN KRANKENHAUS EINGELIEFERT WORDEN WAR. WANN KAM LICHT INS DUNKEL ?
Es war im März 1997, da gab es in den Abendnachrichten des österreichischen Fernsehens einen Bericht über den sogenannten Gedenkraum auf der Baumgartner Höhe. Dort, wo sich heute das Otto-Wagner-Spital befindet. Der Spiegelgrund war jene Anstalt, in der die Nazis in Wien Menschen im Rahmen ihrer Euthanasieprogramme getötet haben. Das wusste ich aber zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Ich sah eingeblendet diese Regale mit großen und kleinen Gläsern. Es wurde das Wort Spiegelgrund erwähnt, doch dann war die Sendung auch schon aus. Ich war ja nur zufällig zu dieser Sendung geraten, als ich gerade in den Raum kam. Mein Mann, der dabei saß und auch nur halb aufgepasst hatte, hat dann auf meine Frage gesagt: Das war ein Bericht über eine Anstalt am Spiegelgrund, in der Kinder während der NS-Zeit getötet worden sind und deren Körperteile in Gläsern bis heute aufbewahrt werden.
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