NSA-Affäre: Nur Mut, Herr Präsident!

Von Marion Kraske

Wochenlang hat er im Stillen repräsentiert, hat vermutlich Kaffee getrunken, Spekulatius gegessen, Hände geschüttelt. Advents-Termine hinter sich gebracht, Kerzenschein flackernde Begegnungen abgehakt, dort im Schloss Bellevue oder auch anderswo.

Ansonsten hat man nicht viel vernommen von Joachim Gauck. Immerhin, das Händeschütteln mit den abdankenden FDP-Ministern flackerte kurz durch die Zeitungen, das war es denn aber auch schon. Und sonst? Nun hat er der neuen schwarz-roten Regierung Mut zugesprochen, notwendige Reformen anzugehen. Man kann es sich auf der Zunge zergehen lassen: Mut!

Immerhin ist Gauck nun wieder präsent, monatelang hatte man das Gefühl, dass der oberste Repräsentant des Staates schlicht ausgeflogen war. Da wurde bekannt, dass wir alle ausspioniert, massenhaft, millionenhaft, von fremden „Diensten“ wie sie sich nennen, ohne Verdacht auf irgendetwas, einfach nur so, da wurde bekannt, dass Grundrechte verletzt, die Pfeiler unserer Demokratie angesägt, ja selbst das Handy der Kanzlerin angezapft wurde und der höchste Repräsentant im Staate, der selber in einem Überwachungsstaat groß geworden ist und sich als Bürgerrechtler dagegen stellte – schwieg vor allem.

Seit Monaten kamen immer neue Einzelheiten über das wahnhafte Vorgehen der „amerikanischen Freunde“ (O-Ton Ex-Innenminister Friedrich) ans Tageslicht. Und ausgerechnet jener Präsident, der bis dato das Thema Freiheit wie eine Monstranz vor sich hertrug, der sich als Freiheitskämpfer gerierte, hielt sich bedeckt. NSA? Spähaffäre? Sieht man einmal davon ab, dass Gauck anfänglich im Hinblick auf Edward Snowden von Verrat sprach, aber immerhin erklärte, er sei „besorgt“ angesichts der massenhaften Datensammelwut, ist von Gauck in der Debatte um einen der größten Polit-Skandale der letzten Jahrzehnte kein einziger sinnstiftender Ausspruch erinnerlich.

Der “Bürgerrechtler”, der sich nicht zu positionieren versteht

Dabei wäre genau er es, der Freiheitsprediger, der mit einem unzweideutigen Appell zur Wahrung der Grundrechte zur moralischen Instanz aufsteigen könnte. Dass Gauck sich in einer derart brisanten Angelegenheit nicht zu positionieren versteht, dass er nicht mal die beschönigende und verharmlosende Haltung der abgewählten schwarz-gelben Bundesregierung abmahnte, so weit sein Amt das eben zulässt, lässt Gaucks Versagen umso größer erscheinen. Ein Präsident, der als Bürgerrechtler antrat, gegen die Macht eines Staates aufzubegehren und sich nun wegduckt, wenn Staatsmacht – so sieht es sogar ein US-Richter – verfassungswidrig ausgenutzt wird, lässt das hohe Amt zur bloßen Hülle verkommen.

Jener, dem das zuvor auch schon gelang, Christan Wulff, steht derweil in Hannover vor Gericht, gealtert, sichtlich mitgenommen vom Reputationsverlust, zu dem er selber nur zur Genüge beigetragen hat. So schwach Wulff im Amt war, so unerträglich die Verknüpfung von Dienstlichem und Privatem, so ehrlich muss man im Nachhinein doch konstatieren, dass er – anders als Gauck – wenigstens ein Thema im öffentlichen Diskurs mit Verve angeschoben hat: Die Integration von Menschen mit anderen Wurzeln.

Gauck hingegen hält sich raus. Zwar lud er jüngst aus Anlass des 65. Jahrestages der Menschenrechte 150 Aktivisten ins Schloss Bellevue. Doch von einem Präsidenten darf man mehr erwarten, er sollte mahnen, warnen, erinnern – vor allem: wahrnehmbar sein. Des Präsidenten Macht ist das Wort – eigentlich.

Boykott in Sotschi, Schweigen zu Hause

Immerhin hat Gauck nun verkündet, das er nicht zur Eröffnung der Olympischen Spiele nach Sotschi fahren werde. Er will, so steht zu vermuten, Putins zweifelhafte gelenkte Demokratie nicht mit einem Besuch aufwerten. Frankreichs Präsident Hollande schließt sich diesem Boykott an. Wichtige Zeichen sind das, um den Herrn im Kreml daran zu erinnern, dass Demokratie sich nicht verträgt mit der Gängelung der Justiz, der Verfolgung von Oppositionellen und der Unterdrückung Andersdenkender.

Nur: Was ist mit den Grundrechten hierzulande? Kann man diese anderswo verteidigen und zu Hause schweigen, ohne sich unglaubwürdig zu machen? Wohl nicht.

Es wird daher Zeit, dass Gauck erkennt, dass die Amerikaner nicht die Freiheitsapostel sind, für die man sie im Kalten Krieg, als er selbst noch im durch eine Mauer abgetrennten Osten der Republik lebte, sicherlich halten konnte. Doch das ist Vergangenheit. Das Amerika von Heute hat durch die Fixierung auf den Anti-Terror-Kampf keinen guten Weg eingeschlagen. Es ist in der derzeitigen Verfasstheit, mit einer Horde ungebremster Geheimdienstler, mit einem Präsidenten, der – statt neuer Wege zu beschreiten – mit der paranoiden Verteidigungsstrategie seines Vorgängers Bush fortfährt, eine Gefahr für die Freiheit. Auch für unsere. Die wahnhaften Ausmaße der amerikanischen Datenabschöpfung tragen Orwellsche Züge. Dazu sollte auch ein Präsident Stellung nehmen. Dazu braucht es nicht viel – nur ein wenig Mut.

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