Neues vom Staatstheater

Von Marcus Müller

Theater, Theater...

Ein beliebter Vorwurf an die Politik ist, dass ihr Gebaren zur Politikverdrossenheit führt. Dieser Vorwurf ist Unsinn. Es ist viel schlimmer. Verdrossenheit, also schlicht ein wenig Ärger, ist ein viel zu schwacher Begriff für das, was das derzeit in der Politik aufgeführte Theater auslöst. Unverständnis bis Entsetzen trifft es viel eher. Die vergangene Woche bot dafür gleich eine ganze Reihe eindrucksvoller Beispiele:
Es ging damit los, dass die Kanzlerin die berühmt berüchtigte Kanzlermehrheit nicht bekam. Was passiert, wenn die Politiker der schwarz-gelben Koalition darüber reden? Ach, in diesem Fall sei das Ganze natürlich unnötig wie nur was, sagen sie. Natürlich ist es auf gar keinen Fall ein Symbol für mangelnden Rückhalt von Angela Merkel bei ihren Getreuen, sondern ein Zeichen, Achtung jetzt wird es lustig, „großer Geschlossenheit“. Blickt man allerdings nur ein halbes Jahr zurück, da war die errungene Kanzlermehrheit beim Euro-Rettungsschirm noch genau das Gegenteil: Ein Zeichen dafür, wie stark diese Kanzlerin doch ist. Ich frage mich, ob solche Politiker ihren Kindern tatsächlich mit auf den Weg geben, dass sie nicht lügen sollen. Und falls sie es tun, ob sie dabei rot anlaufen oder sich wenigstens noch schämen, ein kleines bisschen jedenfalls.
In der Tat war ja bei der Abstimmung über das zweite Griechenland-Hilfspaket die Kanzlermehrheit nicht nötig und bequem war es für Merkel ohnehin, weil sie einer Opposition ins Antlitz blickt, die Mimikry betreibt – nämlich angeblich gegen die Politik dieser Kanzlerin ist, aber dann eifrig mit ihr stimmt.
Fast jeden einzelnen dieser großen Groß-Koalition aus Schwarzen, Gelben, Roten und Grünen hätte man dann am Dienstag gerne auf den Geisteszustand untersucht oder gefragt, wo sie sich eigentlich so früh schon ihren Schnaps kaufen. Denn nachdem das Bundesverfassungsgericht dem Parlament und der Regierung die Regelungen zum Neuner-Sonder-Gremium für eilige Entscheidungen zur Euro-Rettung fast vollständig und krachend um die Ohren gehauen hatte, sahen deren Vertreter darin was? Genau, einen Sieg für sich, immerhin teilweise aus unterschiedlichen Gründen. Dennoch ist es in Wahrheit eine vernichtende Niederlage gewesen, und es wäre die Einsicht angebracht gewesen, dass das oberste Gericht die Selbstentmachtung des Parlaments gestoppt hat. Das gegenteilige Reden ist dagegen nicht nur eine Beleidigung des Verfassungsgerichts, sondern aller, die sich die Mühe machen, diesem Irrsinn doch noch irgendeinen Sinn abgewinnen zu wollen.
Vom höchsten Gipfel der Peinlichkeit und Verlogenheit grüßte es dann trocken am Mittwoch, und man weiß inzwischen, dass das von diesem einsamen Höhepunkt zurzeit nur der gewesene Bundespräsident Wulff sein kann. Wo ist eigentlich das angeblich im Bundespräsidialamt waltende diplomatische Geschick geblieben, als ausgerechnet Wulffs ehemalige Mitarbeiter dem Unehrenhaften seinen Ehrensold genehmigten? Hätte das nicht Zeit gehabt, bis der Neue ins Schloss eingezogen ist? Und wäre es ganz nebenbei nicht sogar politisch geschickter gewesen, dies dem Nachfolger zu überlassen? Wenn bei so einem Vorgang bei niemandem der Beteiligten die Kumpanei-Alarmglocken schrillen, dann müssen sie sich genau das eben vorhalten lassen. (Und sage keiner, dass es Zeitdruck gegeben habe. Es gibt zum Beispiel selbst in unserem überkorrekten Land eine lange Liste mit Terminen, die das Parlament nicht eingehalten hat, um zwingende Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts oder der Europäischen Union umzusetzen.)
Übrigens soll er ihn tatsächlich bekommen, der Wulff, den Ehrensold. Denn dass für einen wie ihn auch noch Gesetze gebeugt werden und die Willkür walten darf, das hat der doch recht ordentliche deutsche Rechtsstaat nicht verdient. Zumal er in diesem Fall ohnehin schon mächtig strapaziert wird: Warum bekam der Ex-Präsident bei der Hausdurchsuchung am Donnerstag vergangener Woche eigentlich eine Vorzugsbehandlung mit artig angemeldeter Staatsanwaltschaft, die nicht mal einen Durchsuchungsbeschluss mitbringen musste, weil der Herr Wulff ja so kooperativ war? So viel gepflegten Umgang sollte er auch mal moralisch zeigen, indem er seinen Ehren-Sold möglichst bald spendet.
Und das alles passierte nur in der vergangenen Woche. Erinnern wir uns: In den Wochen und Monaten davor gab sich die regierende Koalition untereinander Gemüse- oder Tiernamen, beschimpfte ein Außenminister Hartz-Vier-Empfänger, betrieb dessen Partei die schamloseste Klientelpolitik seit langem, traten außerdem zwei Bundespräsidenten zurück, gingen hintereinander zwei Verteidigungsminister, weil sie es mit der Wahrheit nicht so genau nahmen, wendete die Kanzlerin mindestens einmal strahlend ihre Politik um 180 Grad und so fort. Weiterhin machte die SPD ihrem Spitznamen als Spezialdemokratie alle Ehre und verkündete, keinen Lagerwahlkampf gegen Kanzlerin Merkel führen zu wollen. Will sie zu der Zeit in den Urlaub, oder was?
Auch in dieser Woche geht es schon munter weiter, da erfährt man, dass Schnäppchen-Wulff aber unbedingt wie alle anderen Ex-Präsidenten behandelt werden will und deshalb eine Staatskarosse und eine vom Steuerzahler bezahlte Sekretärin benötigt. Die salbungsvollen Aussagen Wulffs zur Ehrensold-Höhe („Da muss ein Zeichen gesetzt werden“) aus der Zeit vor seinem Absturz sind – bisher zumindest – natürlich längst vergessen. Es war kaum anders zu erwarten. Und erdreiste sich dann niemand zu sagen, dass komischerweise ausgerechnet die Ruhekissen der Politiker, die sie sich selbst nähen, vergleichsweise kräftig aufgeplustert sind! Das ist dann nämlich plötzlich eine typisch deutsche Neiddebatte. Aber es bleibt eben doch eine Frechheit, dass Bundestagsabgeordnete nach acht Jahren im Parlament und schon ab dem 60. Lebensjahr Ruhegeldansprüche in einer Höhe haben, die ein normaler Beitragszahler kaum je erreichen kann. Kommen noch Ministerzeiten hinzu, wird es grotesk.
All das führt schon längst über Politikverdrossenheit hinaus und geht über schulterzuckendes Desinteresse. Schert sich in der Politik tatsächlich jemand um das runde Drittel Nichtwähler, das es bei der vergangenen Bundestagswahl gab? Es hat nicht den Anschein. Sehr viel akribischer arbeitet sie daran, die Thesen zur Postdemokratie mit Leben zu füllen, also an einer formalen, schein-demokratischen Hülle herumzubasteln, hinter der jeder seinen egoistischen Zielen folgt. Was ist, fragte kürzlich eine Moderatorin im Deutschlandfunk, der Unterschied zwischen Theater und Politik? Im Theater bekommen gute Schauspieler zu wenig Geld. Es ist eine sehr höfliche und gewitzte Umschreibung der Ohnmacht, die einen derzeit beim Betrachten der Politik erwischen kann.

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