Nach der Bundestagswahl: Scheitern als Chance | #btw13

Von Michael Kraske

Politikblog debattiersalon | #btw13 Kanzlerin Angela Merkel Miss Germany Whalplakat CDU Berlin | Foto: Marcus Müller © 2013Es hätte schlimmer kommen können. Was schlimmer sein könnte als eine Wahl, nach der Journalisten-Karikaturen die triumphierende Kanzlerin endgültig zur „Miss Germany“ hochjubeln? Zum Beispiel, wenn Angela Merkel die absolute Mehrheit geholt hätte. Dann hätte sie ihr ambitionsloses Vor-sich-hin-regieren endgültig und ohne Erklärungsdruck gegenüber einem Koalitionspartner eine ganze Legislaturperiode lang runterspulen können. Oder wenn die Trümmer der einstmals liberalen FDP weiter mitregiert hätten, um sicherzustellen, dass Geringverdiener nur ja keinen Mindestlohn erhalten – als letzte Zuckung eines Marktradikalismus, der bei Billiglöhnern prächtig funktioniert, bei Banken aber auf monströse Weise versagt.

So aber wird die Frau, die auch dafür gewählt wurde, dass sie die Bevölkerung mit Politik und dazugehörigen Konflikten in Ruhe gelassen hat und sie nicht mit dem aufreibenden Ringen um beste Ideen und Argumente belästigt hat, sich erklären müssen. Sie wird verhandeln und Kompromisse schließen müssen. Wahrscheinlich mit der SPD in einer großen Koalition. Die steht nach einem respektablen Wahlkampf von Peer Steinbrück bedröppelt da. Dabei hat sie es jetzt in der Hand, der Kanzlerin gewinnbringend fürs Land ins Handwerk zu pfuschen und nebenbei zentrale Ziele ihres Wahlprogramms umzusetzen. CDU und SPD zusammen könnten den Mumm aufbringen, nicht nur verschämt für die Euro-Rettung einzutreten, sondern für Europa als Projekt zu werben. Sich den populistischen Lächerlichkeiten des kleinen Herrn Lucke mit Idealen und Argumenten entgegen zu stellen.

Merkels Politik der ruhigen Hand hat viele Baustellen zurück gelassen. Die Billiglöhner müssen endlich vor Willkür geschützt werden. Merkel hat zuletzt so getan, als läge ihr das Wohl derer, die für fünf Euro pro Stunde Schweine zerlegen, am Herzen. Eine große Koalition könnte nun die schlimmsten Auswüchse eines sich selbst überlassenen Arbeitsmarktes mit ungebremstem Dumping-Wettbewerb abstellen. Merkel selbst könnte sich dem kaum widersetzen. Ihr Argument, die Tarifparteien hätten dies bislang prima unter sich geregelt, ist einfach zu widerlegen. Viele werden gar nicht von Gewerkschaften vertreten, Tariflöhne sind nicht überall Standard, und mancher Tariflohn liegt deutlich unter den im Wahlkampf multipel ausgerufenen 8,50 Euro. Das betrifft nicht eine kleine Minderheit, sondern die große Gruppe derer, die das Jobwunder der vergangenen Jahre um den Preis miserabler Löhne bezahlen mussten.

Dicke Bretter für eine Große Koalition

Bei Zwei-Klassen-Medizin und Banken- und Finanzregulierung wird es wohl eher auf den kleinsten gemeinsamen Nenner hinaus laufen. Was die Kontrolle des noch immer ungezügelten Finanz-Marktes angeht, kann sich auch eine große Koalition hinter Europa und den unwilligen Partnern verstecken. Nach dem Motto: Was nutzt eine Finanztransaktionssteuer, wenn die anderen nicht mitziehen? Und: Wir müssen verhindern, dass wir Investoren und Anleger aus dem Land treiben. Auf der anderen Seite: Wirtschaftswissenschaftler mahnen, dass die Finanzmärkte strukturell unverändert so aufgestellt sind, dass eine fallende Bank nach wie vor alle anderen mit in den Abgrund reißen kann. Und die absurd beschleunigten Zocker-Mechanismen, bei denen Deals oftmals nicht von Menschen, sondern von Algorithmen ausgelöst werden, bestimmen nach wie vor den weltweiten Finanzhandel. Das ist ein dickes Brett. Wer, wenn nicht eine große Koalition, könnte sich dem annehmen?

Und dann sind da noch die Geheimdienste. Die NSU-Untersuchungsausschüsse haben offen gelegt, dass die Verfassungsschutzämter ein unkontrolliertes Eigenleben führen. Verfassungsschützer haben die Parlamentarier hingehalten, sie haben gemauert und getäuscht. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) hat das zu verantworten. Als oberster Dienstherr des Bundesamtes für Verfassungsschutz hätte er dafür sorgen müssen, dass die Geheimdienste lückenlos zur Aufklärung des NSU-Skandals beitragen und sich der parlamentarischen Kontrolle unterwerfen.

Stattdessen besteht ein demokratiegefährdendes „Schattenreich“ weiter, wie es der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke bezeichnet. Die Reform des Verfassungsschutzes ist bitter nötig, aber sie ist ein Minenfeld, an die sich weder CDU/CSU noch SPD von allein heran wagen werden. Da das Interesse an der Aufarbeitung des NSU erwartungsgemäß eingeschlafen ist, droht nicht mal öffentlicher Druck. Für die innere Verfasstheit unserer Demokratie ist ein kontrollierbarer und politisch mit strikten Grenzen und Regularien versehener Geheimdienst eine uneingelöste Voraussetzung. Die Chancen dafür würde eine Große Koalition bieten, sie stehen aber schlecht.

Ruhe in Frieden, FDP

Es fällt schwer, das Dahinscheiden der FDP ganz ohne Häme zu kommentieren. Von einer Ein-Themen-Partei (niedriges, einfaches und gerechtes Steuersystem unter Westerwelle) war sie zuletzt zur Kein-Thema-Partei verkommen, abzulesen etwa an dem sinnfreien Wahlplakat: „Weil es Deutschland besser macht. Nur mit uns.“ Wer so wenig will und kann, hat den Untergang verdient, selbst wenn er nicht so würdelos um Stimmen gebettelt hätte wie Rainer Brüderle. Richtig ist aber, dass eine Partei, die leidenschaftlich Bürgerrechte verteidigt, dringend gebraucht wird. Das tut die Schriftstellerin Juli Zeh bislang überzeugender als alle Parteien zusammen.

Ob die Grünen dieses liberale Vakuum ausfüllen können, wird sich zeigen, wenn sie die nächste Generation nach vorn gewählt und die Wunden eines missglückten Wahlkampfs geleckt haben. Den Grünen wird jetzt ihr Steuerkonzept um die Ohren gehauen. Richtig daran ist, dass der Deutsche beim Geld keinen Spaß versteht. Richtig ist aber auch, dass Investitionen in Bildung und Infrastruktur sowie die Entlastung der unteren Einkommen finanziert werden müssen. Der grüne Ansatz, dass mehr zahlen muss, wer mehr zahlen kann, war richtig. Nachdem sie sich damit heftig die Finger verbrannt haben, ist die Gefahr groß, dass sie das heikle Thema wieder den anderen überlassen werden.

Vor allem anderen haben die Grünen aber sicherzustellen, dass die Opfer von Kindesmissbrauch in ihrem Milieu ermittelt und gehört werden. Die von den Grünen in Auftrag gegebene Studie von Franz Walter darf kein Schlussstrich sein. Bei ihrem Versuch, Randgruppen zu entkriminalisieren, wollten die Gründerzeit-Grünen Kinder schutzlos der pädophilen Sexualität von Erwachsenen aussetzen, wenn diese denn „gewaltfrei“ abläuft. Das ist eine so unfassbare und beschämende Verirrung, dass selbstkritische Ursachenforschung auch dann weiter gehen muss, wenn der Abschlussbericht abgeheftet werden kann. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben die politischen Gegner dieses sensible Thema aus dem Wahlkampf heraus gehalten, jetzt müssen die Grünen die schmerzhafte Selbstreinigung betreiben.

Wie dick sind die Eier von Sigmar Gabriel?

Nach dieser Wahl werden die Karten ganz neu gemischt. Dazu gehört auch, dass sich die SPD nicht länger von der CDU mit Antikommunismus erpressen lassen wird. Die Linke hat eine hässliche Historie als SED-Nachfolgepartei und uneinsichtige Altgenossen in ihren Reihen, dazu Sektierer und Spinner, aber auch Angela Merkel trug das FDJ-Hemd, Sachsens CDU-Ministerpräsident Tillich gehörte in der DDR der Blockpartei CDU an und arbeitete beim Rat des Kreises Kamenz in staatstragender Funktion. Die sozialen Forderungen der Linken sind weitreichender als die der anderen, aber sie als Kommunismus zu bezeichnen ist politisches Denunziantentum. Zwischen 8,50 Euro und 10 Euro Mindestlohn liegt keine Demokratiegefährdung. Verstaatlichung schien in der Bankenkrise auch Christdemokraten ein gangbarer Weg im Angesicht des Abgrunds. Strömungen innerhalb der Linken wie die kommunistische Plattform sind in der Tat fragwürdig und auf üble Weise ewig gestrig, aber sie bestimmen nicht den Kurs der Partei.

Für diese Wahl hat sich die SPD festgelegt. Kein Bündnis mit den Linken. Dafür gab es gute Gründe. Und nach der Wahl darf man nicht das Gegenteil von dem machen, was man vorher versprochen hat. Der Schleswig-holsteinische SPD-Landesvorsitzende Ralf Stegner hat aber bereits angekündigt, dass dies die letzte Wahl war, vor der die SPD ein Bündnis mit einer demokratischen Partei ausgeschlossen hat. Das ist gut so, denn die Wähler brauchen Alternativen. Im Osten ist vielerorts der autokratische CDU-Regierungsstil weit demokratiegefährdender als das Wirken der Linken gegen neonazistische Strukturen. Die beschlossene Enthaltsamkeit der SPD in Bezug auf die Linke bedeutet aber auch, dass sie sich nicht vor einer Großen Koalition drücken darf. Die SPD hat Angst, von der großen Angela klein gemacht zu werden. Jetzt kann Sigmar Gabriel zeigen, ob seine politischen Eier so groß sind wie die Töne, die er gern spuckt.

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2 Antworten auf Nach der Bundestagswahl: Scheitern als Chance | #btw13

  1. Nach der Analyse der Online-Ausgaben der BILD, BamS, FR, SZ, ZEIT, FAZ, Welt seit dem Wahlsonntag, glaube ich, tatsächlich von einer Verschwörungstheorie überzeugt zu sein:

    Ich bin immer noch fest davon überzeugt, dass die oben genannten Medien seit der Kandidatenkür Steinbrücks die GRÜNEN und die SPD runter geschrieben haben und dass dies den Wahlausgang entscheidend beeinflusst hat.

    Diesen medialen Einfluss will Prof.Korte aus Duisburg allerdings nur gegen 199,-€ am Monatsende bei der ZEIT einem ausgewählten Publikum mitteilen. Schon ausgebucht!!!

    Und nahezu Sekunden nach der Wahl sind plötzlich die GRÜNEN für eben die gleichen Medien die geeigneten Koalitionspartner, wenn sie nur ihre Spitzen und ihr Programm ein wenig austauschen.

    Und die SPD muss natürlich dem Land dienen und nicht der Partei, staatspolitische Verantwortung usw.usw.

    Das sind Vokabeln, mit denen die STASI Mitarbeit gewonnen hat – z.b. Lutz Bertram vom RBB, der genau diese Vokabeln in einem Interview artikuliert hat! “Und sie wollen ihrem Land nicht dienen???”

    Und bei Neuwahlen drohen die Medien mit dem totalen Vernichtungskrieg gegen die Opposition.

    Was wäre aber los, wenn Hannelore Kraft gegen Merkel anträte?

  2. Marion sagt:

    Auch der Spiegel hat die SPD klein geschrieben. Tenor: Steinbrück sei narzisstisch und aggressiv, charakterlich nicht fürs Kanzleramt geeignet. Was ist denn dann mit einer Kanzlerin, die sich aus allem raushält? Und: Wie wär es mit Charaktertests für Spiegel-Autoren?