Medienversagen: Blut muss fließen

Von Michael Kraske

Jedes Jahr werden die Gebührenzahler dazu gezwungen, etwa 7,5 Milliarden Euro in 22 öffentlich-rechtliche Fernseh-Sender und noch mehr Radiosender zu blasen. Mit der horrenden Summe werden Sendungen wie diese finanziert: „Rennfieber – Motorsport in der DDR“ (MDR), „Dahoam is dahoam“ (BR), „So lacht Rheinland-Pfalz“ (SWR), „Leckeres Hessen“ (HR) oder „Reisewege Lykien“ (RBB). Das ist nur die völlig willkürliche Auswahl eines Tages, ein Griff in die Belanglosigkeiten-Kiste, die sogar darauf verzichtet, hirnentkernte Volksmusik-Massenverdummungen der ARD zur besten Sendezeit zu erwähnen. Das wäre zu billig. Zu plakativ. Was die Öffentlich-Rechtlichen seit der Film-Premiere auf der Berlinale vor über einem Jahr nicht zeigen ist „Blut muss fließen – Undercover unter Neonazis“. Der Film, der hinter die geschlossenen Türen der beinharten Nazi-Musikszene blickt. Der Film, der zeigt, wie die deutsche Polizei seit Jahren Straftaten von Neonazis toleriert.

Schnitt. Ein kleiner Kinosaal in Leipzig, das Szene-Kino „Cineding“. Der Platz reicht nicht für alle Interessierten aus, die gekommen sind, es werden Stühle dazu gestellt, damit alle „Blut muss fließen“ sehen können. Der Film ist das Ergebnis der heimlichen Filmaufnahmen, die der Undercover-Journalist, der sich Thomas Kuban nennt, über Jahre in der Maskerade eines Neonazis mit versteckter Kamera gedreht hat. Unter Lebensgefahr. Denn wenn die Nazis ihn entdecken, das haben sie im Internet angekündigt, werden sie ihn erschlagen oder anzünden, was auch immer. Kuban sagt, auf jedem von ihm besuchten Konzert, das konspirativ organisiert wurde, habe es Straftaten gegeben. Kein einziges habe die Polizei beendet. Der Film zeigt kollektive Hitlergrüße und immer wieder den Kulthassgesang, der den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt: „Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, lasst die Messer flutschen in den Juden-Leib. Blut muss fließen knüppelhageldick und wir scheißen auf die Freiheit dieser Juden-Republik.“

NSU-Terror ohne Folgen

Der Film zeigt auch, wie regelmäßig Polizei-Wagen vor den Konzert-Hallen stehen und den widerlichen Rechtsbruch bewachen anstatt ihn zu beenden. Seit über einem Jahr tourt der Regisseur, Peter Ohlendorf, der Kuban über Jahre begleitetet hat, mit seinem Film durch kleine Kinos und Jugendzentren. Kein Fernsehsender hat bislang dieses Dokument staatlichen Dauer-Versagens gezeigt. Während das Fernsehvolk mit Volksmusik, Nostalgie und Heimattümelei zugeschüttet und eingelullt wird, weigern sich die Redakteure das zu tun, was ihr ureigenster Auftrag, ihre einzige Daseinsberechtigung ist: zu informieren, über unhaltbare Zustände, über das eingeschliffene Versagen der Polizei vor allem in Bayern und Sachsen, wo über Jahre immer wieder von den Behörden ungestört die meisten Nazi-Konzerte stattfinden konnten.

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat gerade seinen über 1300 Seiten langen Abschlussbericht vorgelegt. Die Mitglieder einigten sich auf 47 Empfehlungen an die Politik. Dazu gehört, Gewalttaten künftig immer auf ein rassistisches Motiv hin abzuklopfen. Auch nur denkbare Ansätze für einen Verdacht sollen dokumentiert werden müssen. Tatsache ist, dass sich an dem vertuschenden, verschleiernden modus operandi, wie mit rechter Gewalt von Seiten der Polizei und der Staatsanwaltschaften umgegangen wird, seit Auffliegen des NSU-Terrors nichts geändert hat. Beispiel Kaufbeuren, wo kürzlich ein 34-Jähriger Kasache auf einem Volksfest mutmaßlich von einem einschlägig bekannten Neonazi ermordet wurde. Es gibt Hinweise, dass vor der Tat rassistische Beleidigungen fielen. Der Täter war offenbar vor einem Jahr auf einem Fest durch den Hitler-Gruß aufgefallen. Gleichwohl ließ die Polizei in einer ersten Pressemitteilung die Hinweise auf eine rechte Tat einfach weg, ein Polizeisprecher konnte keinen rechtsmotivierten Hintergrund erkennen. Am Ende ist es so: Wenn die Polizei nicht in diese Richtung ermittelt, kann das rechte Tatmotiv vor Gericht auch nicht festgestellt werden. Dann kommt nicht raus, was nicht sein darf.

Das ist kein Einzelfall, sondern deutsche Normalität. Obwohl der Haupttäter des grausam zu Tode geprügelten Obdachlosen Andre K. aus Oschatz durch Fotos eindeutig als aktiver Neonazi entlarvt wurde (Reichskriegsflagge im Zimmer, Teilnahme an einer NPD-Aktion), lehnte die Leipziger Staatsanwaltschaft es ab, diese Fotos als Beweismittel im Prozess zu berücksichtigen. Diese permanenten Willkürakte an der Grenze zur Rechtsbeugung finden in den ARD-Anstalten und im ZDF so gut wie nicht statt.

Huren ja, aber bitte keine Nazis

Undercover-Journalist Kuban hat mit seinem Nazi-Film der Gesellschaft Augen gegeben, um sehen zu können, wie die gewaltbereite Nazi-Szene sich auf Rassenhass und Gewalttaten gegen Minderheiten einschwört. Wie sie in Szeneläden nicht nur Propaganda anbietet, sondern auch Waffen. Die Redaktionen könnten ganz bequem von Kubans Mut und der dokumentarischen Beharrlichkeit des Regisseurs Peter Ohlendorf profitieren, sie bekommen eine einzigartige, hochbrisante und exklusive Recherche auf dem Tablett serviert – und lassen ein Projekt an der ausgestreckten Hand verhungern, das all das einlöst, was Sonntagsredner wie Bundeskanzlerin Angela Merkel immer wieder einfordern.

Nach der Filmvorführung im Leipziger Szene-Kino bestürmen die Besucher Regisseur Ohlendorf mit Fragen: Warum greift die Polizei nicht ein? Gab es Reaktionen von Polizei und Politik? Finden solche Konzerte immer noch statt? Interesse und Bestürzung sind in dem kleinen Kinosaal greifbar. Die Sender müssten nur zugreifen. Dem MDR zum Beispiel ist die Schlüsselloch-Perspektive gar nicht so fremd. Neulich setzte der Sender voll auf dieses Stilmittel: Was passiert im Geheimen? Unter unseren Augen? Direkt nebenan? Der Report zeigte jedoch keine Nazis, sondern Prostituierte in kleinstädtischen Wohnungs-Puffs. Es darf also ruhig ein bisschen schmuddeln, dann kann man sich um die schmutzigen Wahrheiten weiter herum drücken.

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8 Antworten auf Medienversagen: Blut muss fließen

  1. Verdammt, der Film wurde gestern bei mir umme Ecke gezeigt. Mist. Das ärgert mich jetzt…

  2. Ist doch logisch, daß das Fernsehen vor dem Film zurückschreckt. Er stört das geschönte Bild der Deutschen.
    Es gibt auch andere Mißstände, die – auf allgemeinen Wunsch hin – hinter der Mauer des Schweigens verbleiben. Zum Beispiel all die Rechtsbeugungen in der Justiz, d.h. daß es ständig so zugeht, wie es die veröffentlichten Dokumente im Fall von Herrn Gustl Mollath beweisen, ist für öffentlich-rechtliche Medien auch kein Thema.

    Nur wenn die Justiz allzu übertreibt und jemanden wegen einer angeblichen Körperverletzung und einer angeblichen Sachbeschädigung mit sieben Jahren Psycho-Gefängnis bestraft, schaut man schließlich kritisch hin.
    Jedoch die tagtäglichen Willkürurteile werden gerne akzeptiert.
    Ich habe keinen Fernseher, aber ich hätte gewiß davon gehört, wenn es je eine Sendung gegeben hätte, die die Wahrheit über die BRD-Justiz bringt.

    Es hat ja auch noch nie jemand beantwortet, WARUM wir heutzutage eigentlich alle so sein müssen, wie es der Psycho-Branche gefällt.
    Worin noch unsere persönliche Freiheit bestehen soll, da wir durch die Psycho-Diktatoren zum Mitläufertum verpflichtet sind.
    Was ist mit den Menschen, die Heuchelei verabscheuen? Die sollen bald alle per Psychopharmaka und/oder “Therapie”, also Gehirnwäsche, zu ihrem Glück gezwungen werden, daß für korrekte Deutsche nur das saubere Bild auf dem Papier zählt, jedoch der Blick auf die ganz und gar andere Realität gemieden werden sollte. Zumindest darf keine Aktion daraus entstehen, wenn gelegentlich ein Bericht die Wahrheit aufzeigt.

    Vermutlich ist festgelegt, zu welchem Prozentsatz Unschönes über die BRD gebracht werden darf, und der Film konkurriert mit anderem zu Kritischem.
    16.04.2012: “Vielleicht liegt es daran, dass der Film nicht nur die Nazikonzerte dokumentiert, sondern auch die Hilflosigkeit der Politiker entlarvt.” http://www.ndr.de/kultur/kino_und_film/blutmussfliessen103.html

  3. Besucher sagt:

    Ist euch denn schon mal der Gedanke gekommen, dass der Film noch (!) nicht im TV gelaufen ist, eben weil er noch in den Kinos läuft?

    Kommt schon, sooo furchtbar böse sind die ÖR nun auch wieder nicht, der Film wird da schon noch laufen. Und auch ohne die Nennung von Volksmusik ist es meines Erachtens eine recht billige und plakative (eure Wortwahl) Art, sich Sendungen herauszupicken, die man selber doof findet, um den Sendern auf diese Weise Belanglosigkeit zu attestieren.

    By the way: Ja, der mdr ist auch nicht mein Lieblingssender. Bei dem im letzten Absatz erwähnten mdr-Sendung über verborgene Prostitution handelte es sich aber nicht zufällig um den artour-Bericht zum Roman von Clemens Meyer? In diesem Fall hättet ihr irgendwas nicht verstanden.

  4. ringo sagt:

    Na vielleicht ist der Film des tapfern, todesverachtenden Kuban nur nichts wert. Der GEZ Einheiz-Rotfunk übernimmt doch dankbar jeden Mist, im ewigwährenden “Kampf gegen Rechts”! (Wohlgemerkt, gegen “Rechts”, nicht etwa “Rechtsextrem”. Als ob in einer demokratie nur linksgrünrote einheitsmeinungen zu tolerieren seien. Jakobinertum der schlimmsten Sorte! Der forsche Kuban wurde von den “Nazis” im Internet bedroht? Vielleicht setzen Sie auch die entsprechenden Links herein? Und wenn ständig die Bullen da sind, muss die ganze Chose doch nicht sooo geheim sein, dass nur ein Kuban inkognito sie dokumentieren kann. Dann sitzen sicher auch genügend V-Männer drunter.

    Vielleicht sollte sich der Kuban mal um eine anständige Arbeit umsehen, anstatt im “K(r)ampf gegen Rechts” offene Türen einzurennen und solchen Schmarrn zu verbreiten. Schließlich vergeht in dieser Republik kein Tag ohne dass im Rotfunk und in der MS-Presse das Thema “Kampf gegen Rechts” nicht erwähnt wird. Selbst wenn kriminelle Türkenbanden Menschen wie Daniel S. aus Kirchweyhe oder Jonny K. aus Berlin brutal zu Tode treten, wird noch von den Offiziellen die Verstärkung des K.g.R. gefordert, als ob diese durch “Nazis” totgetreten worden wären.

    • Michael sagt:

      Tatsache ist, dass auf diesen Neonazi-Konzerten (Aufruf zum Mord sollte man nicht Rechtsrock nennen) permanent Straftaten verübt werden bis hin zum Aufruf zum Mord, die die Polizei vielerorts nicht ahnden. Ob das geheim oder bekannt ist, ist völlig irrelevant. Dass dieser permanente Rechtsbruch unter den Augen der Sicherheitsbehörden anhält, ist ein untragbarer Zustand, den die Öffentlich-Rechtlichen zu dokumentieren haben. Die eingangs erwähnten Sendungen und Formate sind wie gesagt nicht willkürlich zusammen geklaubt, sondern stellen das Angebot eines einzigen Tages dar. “Blut muss fließen” zeigt das menschenverachtende, gewaltaffine und hochkriminelle Milieu, aus dem der NSU entstanden ist. Die Berichterstattung rund um den NSU blendet diese Entstehungsbedingungen und Unterstützerstrukturen in fahrlässiger Weise aus. So ensteht das falsche Bild von Einzelgängern. Dagegen gehen Experten mittlerweile von einem breiten neonazistischen Unterstützernetzwerk aus. Der Film dokumentiert Straftaten ebenso wie die Tatenlosigkeit staatlicher Behörden und dreiste Verdrängung seitens der Politik. Er ist relevant, brisant, wichtig. Er sollte öffentlich gezeigt werden.

  5. Besucher sagt:

    Ach, übrigens: NDR am 16. April 2012.
    http://www.ndr.de/kultur/kino_und_film/blutmussfliessen103.html

    Das ist jetzt schon auch ein bisschen peinlich, finde ich. Bin gespannt, ob ihr euch dazu äußert.

    • Michael sagt:

      Der Link verweist auf einen Beitrag über den Film, nicht auf die Ausstrahlung des Films durch den NDR. Thomas Kuban als skurrile Figur ist den Medien seither berichtenswerter als seine recherchierten Missstände im Detail und zusammenhängend darzustellen.

      • Besucher sagt:

        Stimmt, mein Fehler. Hast du denn mal Anfragen an die Sendeanstalten – insbesondere an den NDR – gerichtet, warum sie den Film nicht ausstrahlen?