Massengrab Mittelmeer: Die Schande der EU

Von Marion Kraske

Nein, das ist es nicht, was wir wollen. Und das ist es nicht, was Deutschland, was Europa braucht. Politiker, die so tun, als ob sie sich um „humanitäre“ und andere Katastrophen sorgen, die große Kulleraugen machen, wenn wieder einmal ein Schiff mit Hunderten von Flüchtlingen kentert, die ihr großes Bedauern ausdrücken und ernst, sehr ernst in die Kamera blicken – und im gleichen Atemzug Maßnahmen beschließen, die die Lebensumstände von Flüchtlingen weiter verschlimmern. Bis zum Tod.

Im Falle des beendeten italienischen Seenotrettungsprogramms “Mare Nostrum” ging es genau darum: EU-Politiker, allen voran der deutsche Innenminister, setzten sich nach einer Reihe von tödlichen Unfällen auf dem Mittelmeer an einen dieser langen wichtigen Tische in Brüssel und beschlossen: So kann es nicht weiter gehen. Man könne nicht dauerhaft so viele Menschen im Mittelmeer retten, weil dadurch – so die perfide Logik – Hilfestellung für Schleuser geleistet würde. Mit gezielten Seenotmaßnahmen würden noch mehr Menschen den gefährlichen Weg über das Mittelmeer nehmen.

Dass die Realität eine andere ist, wissen wir spätestens seit dem letzten Wochenende. Auch ohne forcierte Seenotrettung versuchen Menschen, sich vor Krieg und Vertreibung in Sicherheit zu bringen, versuchen jenes Meer zu überwinden, das auf der Weltkarte so klein und unscheinbar daher kommt und in den letzten Monaten doch immer wieder zu einem Massengrab wurde. Dank der unerbittlichen Politik der EU.

Dass ausgerechnet ein deutscher Politiker mit seiner Uneinsichtigkeit dazu beitrug, dass die Seenorettung im Mittelmeer herunter gefahren wurde, dass das italienische „Mare Nostrum“ im Dezember 2014 beendet wurde, ist das eine. Dass Europa damit aktiv dazu beitrug, dass noch mehr Menschen im Mittelmeer ertranken, ist das andere – und schwer zu ertragen.

Italiener retten am meisten Flüchtlinge, EU nur an Platz 3

In der Praxis retten Italiens Küstenwache und Marine mit Abstand am meisten Flüchtlinge. An zweiter Stelle stehen private Handelsschiffe, erst an dritter Stelle kommen Einsatzkräfte der EU. Das an sich ist eine Schande. Mit dem Programm „Triton“ musste die Mehrheit der Flüchtlinge ertrinken, weil die Rettung aus Seenot auf ein Mindestmaß heruntergefahren wurde. Europas Politiker nahmen eben das mit ihrer Abschottungspolitik billigend in Kauf.

2014 appellierte Pro Asyl an “Herz und Gewissen Europas” und den “Geist der Menschlichkeit”, um das Auslaufen „Mare Nostrums“ zu verhindern. Die zerstrittenen EU-Partner, allen voran Deutschland, weigerten sich, sich an den Kosten für das Rettungsprogramm zu beteiligen. Es ging um 112 läppische Millionen Euro im Jahr. Eine finanzielle Lachpille, die einem angesichts der nicht enden wollenden Toten im Halse stecken bleibt.

Statt weiter das Humanitäre im Umgang mit den Flüchtlingsströmen in den Mittelpunkt seiner Anstrengungen zu stellen, statt den Anspruch eines Friedensnobelpreisträgers mit Leben zu füllen, entschied sich die EU für´s kleine Karo, verließ den Pfad der Menschlichkeit und setzte blind auf Abschottung um jeden Preis. Dass die Innenminister nun, nach dem letzten Schiffsunglück, mit einem Zehn-Punkte-Plan die Seenotrettung wieder ausweiten wollen ist ein Schuldeingeständnis, immerhin.

Doch zeigt sich mit den mehr als 800 Toten vom vergangenen Wochenende, dass sich die Polit-Pokerrunde in Brüssel verspekuliert hat. Der Preis war hoch, zu hoch. Der Zynismus ebenfalls. Europa und seine kostbaren Werte von Menschlichkeit und Humanismus sind mit den Verzweifelten im Mittelmeer untergegangen.

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