LES-BAR: Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus

Von Michael Kraske

debattiersalon | Les-Bar | Logo: Katharina Greve © 2013Sozialdemokraten, Linke, Globalisierungsgegner und Kneipen-Intellektuelle haben einen Lieblingsfeind: den Neoliberalismus. Der soll an allem Schuld sein: an den Finanz- und Wirtschaftskrisen und sämtlichen Ungerechtigkeiten und überhaupt. Neoliberalismus ist ein diffuser Kampfbegriff, der außer Kontrolle geratene Märkte ebenso meint wie alles, was die FDP fordert und zu Tage fördert. Bestseller–Autor Colin Crouch („Postdemokratie“) fragt in seinem Buch, was den Neoliberalismus überleben lässt. Und erklärt nebenbei, was das eigentlich ist: Neoliberalismus.

„Das oberste Credo des Neoliberalismus lautet, dass optimale Ergebnisse immer dann erzielt werden, wenn sich Angebot und Nachfrage auf dem Markt für Waren und Dienstleistungen durch den Mechanismus der Preisbildung selbst regulieren, ohne staatliche und sonstige Eingriffe“, schreibt Crouch. Als Vertreter benennt er die Wirtschaftswissenschaftler „Chicagoer Schule“, die auch dann noch den Markt als Allheilmittel preisen, wenn marktbeherrschende Konzerne entstehen. Big ist demnach nicht nur beautiful, sondern auch notwendig.

Der Autor dekliniert nun durch, dass dieser idealisierte Markt in der Realität gar nicht existiert. Der Zugang zum Markt ist beschränkt. Große Spieler verfügen über größeres Wissen als kleine Krämer. Und sie können der Politik mit ihren Lobbyisten systematisch ihre Wünsche einflüstern. Das Ergebnis der uneingeschränkten Märkte ist nicht mehr Wettbewerb, so Crouch, sondern das Entstehen von Giganten, die den Markt beherrschen und letztlich aushebeln. Staatliche Eingriffe sind für die Chicagoer Ökonomen das Grundübel schlechthin. Crouch dagegen zeigt, dass die Grundannahmen des sich selbst heilenden Marktes systematisch das Versagen des Marktes produzieren. Der freie Markt zerstört sich am Endfe selbst.

Als perfektesten aller Märkte beschreibt Crouch den Börsenhandel mit Risikopapieren. Er nennt das Prinzip „eine Art Schneeballsystem“. Die Risiken wurden in Papiere geschnürt und weiter verkauft. Der zweite Händler kaufte ein Risiko und berechnete den Wert anhand dessen, was wohl der dritte Händler für bezahlen würde. Der dritte orientierte sich anhand des erwarteten Preises, den der vierte zahlen würde. „An jedem Punkt der Kette wurde der Wert des Risikos ein wenig mehr verzehrt“, so Crouch. Das ging in die Hose, wie die Welt nun weiß. Die Zeche zahlten die Staaten. Haben die Banken daraus gelernt. Nein, sagt Crouch, die Banken wissen heute, dass der Staat sie raushauen wird. „Sie gehen jetzt höhere Risiken ein als vorher.“

Der Autor liefert die trockene Analyse, aber keinen Ausweg. Der Leser lernt, dass die Neoliberalen „Großkonzern“ meinen, wenn sie „Markt“ sagen. Das Buch selbst ist so sinnlich wie ein behäbiger VWL-Einführungskurs an der Uni, liefert aber gute Munition für die nächste Party, wenn ein versprengter FDP-Sympathisant mal wieder gegen gleichmachenden Kommunismus wettern sollte oder die Rückkehr der DDR beschwört, sollte sich der Staat in die Wirtschaft einmischen.

Colin Crouch, Das befremdliche Überleben des Neoliberalismus, Suhrkamp Verlag Berlin 2011

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