Italien: Demokratische Versager

Von Michael Kraske

Berlusconi einen Clown zu nennen ist eine Beleidigung für alle Clowns. Das hätte nicht erst Bernhard Paul, Chef vom Zirkus Roncalli feststellen müssen. Clowns halten den Spiegel vor, sind freiwillig komisch, unterhalten mit der Bandbreite menschlicher Gefühlsregungen und Gemütszustände. Sie benötigen ein Gespür für die eigene Wirkung und die Reaktion des Publikums. Wenn Peer Steinbrück Berlusconi einen Clown nennt und diese verharmlosende verbale Laxheit zu ernsthaften Verstimmungen mit dem italienischen Staatspräsidenten führt, zeigt das, wie wenig die politischen Rituale mit der Realität zu tun haben.

Die deutschen Kommentatoren und Italien-Kenner drehen und wenden die Tatsache, dass der abgehalfterte Sexparty-Veteran mit dem Paten-Gesicht von den italienischen Wählern wieder in die Nähe der Macht gewählt wurde feinsinnig hin und her. Sie addieren ein verlottertes Gemeinwesen mit bürokratischem Alltagswahnsinn mit dem Frust auf das politische System, das Versagen der Montis mit dem Frust über Steuern und Sparzwänge. Heraus kommt ein Wahlvolk, das fast schon nicht anders kann als die nimmermüde Stehauf-Mann-Karikatur Silvio zu wählen.

Keiner benennt überhaupt noch das demokratische Desaster. Das Komplett-Versagen nicht der Italiener, sondern derer, die Berlusconi gewählt haben. Sein Wahlerfolg zeigt die Grenzen der Demokratie auf. Nicht, weil das demokratische System in Italien nicht zu retten wäre, sondern weil es ein großer Teil der Bevölkerung ablehnt, sich wie Demokraten zu verhalten. Berlusconi hat in seinen Regierungsjahren die Gesetze so verbogen, dass er sich dem überfälligen Zugriff der Justiz auf dreiste und niederträchtige Weise entziehen konnte. Er hat aufrechte Staatsanwälte verhöhnt und verunglimpft, er hat Italien ein gehirnbetäubendes Medienimperium mit allgegenwärtigen Busenblitzern und willfährigen Pseudo-Journalisten übergestülpt, aber er hat das Land nicht in eine autoritäre Quasi-Diktatur verwandelt.

Historisch einmalig ist, wie sich ein Wahlvolk multipel und unbelehrbar verweigert, aus demokratischen Versündigungen ihres gewählten Volksvertreters die Konsequenzen zu ziehen. Die Liste der juristisch verfolgten und zumeist eingestellten Verfehlungen des Silvio B. würde jeden Spielfilm-Plot unglaubwürdig machen: Bestechung, Korruption, Steuerhinterziehung, Beihilfe zur Prostitution, Sex mit Minderjährigen. Dann wird der Grinser mit dem Habitus eines dauergeilen Polit-Bocks auch noch erstinstanzlich wegen Steuerbetrug und Schwarzgeldkassen verurteilt und dafür bei seinem x-ten Comeback prompt mit neuen Wählerstimmen belohnt. Einen derart verhaltensauffälligen Politiker mit den Zügen eines narzisstisch Persönlichkeitsgestörten immer wieder zu wählen sagt natürlich etwas über das Versagen seiner Konkurrenten und die Größe der italienischen Probleme aus. Aber vor allem stellt sich die Frage, wie mit einem kollektiven demokratischen Defekt umzugehen ist.

Demokratie lebt von der der Korrektur falscher Entscheidungen. Sie ist anfällig für Populisten, die das Blaue vom Himmel versprechen, aber sie ist in der Lage, diese falschen Wege und uneingelösten Verheißungen abzustrafen. Sie ist ein immerwährendes Trial-and-error-Verfahren. In Italien funktioniert dieses Korrektiv durch Wahlen nicht mehr. Es gibt keine Tabus. Man kann sein Staatsamt hemmungslos für die eigenen wirtschaftlichen Interessen ausschlachten, sich an den Gesetzen vergreifen und die Gewaltenteilung perforieren, ohne dass das den politischen Tod bedeutet. Mit demokratischen Wahlen lässt sich Korruption und Machtmissbrauch legitimieren.

Martin Schulz, der Präsident des EU-Parlaments hat nach dem Clown-Vergleich von Steinbrück Respekt für die Wahlentscheidung der Italiener gefordert. Respekt? Wie bitte? Berlusconi zu wählen ist eine demokratische Perversion. Wenn es sich ein Wähler verdient hat, beschimpft zu werden, dann der unbelehrbare Silvio-Wähler. Dessen Wahl zeigt auf, wie weit sich ein formal weiter demokratisches Gemeinwesen von den Prinzipien einer Demokratie entfernen kann. Umgekehrt zeigt Berlusconi, wie weit man eine Demokratie zu seinem Ego-Projekt machen kann, ohne sie abzuschaffen. Es gibt übrigens neue Ermittlungen gegen Berlusconi. Seinen Wählern ist das egal. Schwamm drüber. Der Mann ist pures Viagra. Der hat steht, bis er umfällt. Italien stellt ihn auf, bis es umfällt. Das Land kann einem nicht nur leid tun. Es kann einem Angst machen.

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