Irgendwo in Indien

von Marion Kraske

Deutsche und Österreicher sind einander in penibel gepflegter Hassliebe zugetan. Dass sie in unausgesprochener Solidarität an einem Strang ziehen, ist eher selten. Wenn es um die Frage männlicher Vorherrschaft geht, ist man indes ganz auf einer Linie – die fortgesetzte Benachteiligung von Frauen vereint. Ah geh, so a Schmarrn – wird nun wohl so mancher einwerfen – dieses ewige Gesudere von Gleichberechtigung, das seit Jahrzehnten von Feministinnen und linken Vorkämpferinnen bis zur Erschöpfung vorgetragen und repetiert wird. Nicht ganz, werte Bedenkenträger, cholerische Kampfamazonen waren auch mir seit jeher verhasst, weil sie in Diskussionen schmerzfrei aus jedem „man“ eine „frau“ machten, die Welt in gut (Frau) und böse (Mann) einteilten und reflexhaft von den testosterongesteuerten Ungeheuern unserer Gesellschaft fabulierten. Ich habe sie belächelt angesichts ihres geistigen Missionarismus – ebenso wie die von ihnen geforderte Frauenquote.

Bis jetzt.

Nun aber ist der Zeitpunkt gekommen, sich einzugestehen, dass es so nicht mehr weitergeht. Weder Deutschland noch Österreich haben es geschafft, sich aus eigener Kraft fortzuentwickeln. Sie haben sich abgekoppelt vom Geist der Moderne, sind stehen geblieben in ihrer hinterweltlerischen Verfasstheit, haben sich zu verstaubten Trutzburgen längst überholter Riten entwickelt, in der Männer vorneweg laufen und Frauen in die Röhre schauen.

Nehmen wir Österreich: Hier verdienen Frauen in der Privatwirtschaft bis zu 23 Prozent weniger als die Herren der Schöpfung. Ein Teil, sagen Experten, sei durch andere Wege der Schulbildung oder die andere Berufswahl erklärbar. Sei’s drum. Rund zwölf Prozent aber lassen sich rational nicht ergründen. In diesen Fällen kann man also guten Gewissens von Diskriminierung sprechen. Österreich belegte bei der Besoldung von Frauen 2010 im EU-Vergleich den vorletzten Rang – nur Estland hatte für weibliche Arbeitskräfte noch weniger zu bieten. Und auch sonst haben Frauen weithin das Nachsehen: Die geringfügig Beschäftigten in Österreich sind zu 70 Prozent weiblich, was sonst?

Jenseits der Grenze ist die Situation mindestens ebenso miserabel: 98 Prozent der Vorstände der größten deutschen Unternehmen sind Männer, nein, kein Witz, sondern das Ergebnis einer Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Um ehrlich zu sein, erinnert mich das an die trostlose Truppe im einstigen DDR-Politbüro oder die graue Staatsratsriege in Nordkorea. Doch zurück zum Land der Tüftler und Denker, das sich gerne für seinen zukunftsgewandten Geist brüstet. Im Kreise der elf wichtigsten Industrie- und Schwellenländer belegt Deutschland hinsichtlich der Frauenquote jedenfalls den letzten Platz – gleichauf mit (man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen): Indien. Jenem Land also, das seit Jahren zwar mit rasanten Wachstumsraten auf sich aufmerksam macht, aber nach wie vor von seinem wenig durchlässigen, kastenkonservierenden Gesellschaftssystem geprägt ist.

Zugegeben, es ist ja nicht so, dass wir Frauen die besseren Menschen wären. Aber darum geht es nicht. Es geht um Fragen von Chancengleichheit und Gleichberechtigung in einer modernen Gesellschaft. Stattdessen dominieren verstaubte Altherrenclubs, die es sich augenscheinlich zum Ziel gesetzt haben, ihr männerbündlerisches Terrain notfalls bis auf die (dritten) Zähne zu verteidigen.

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