Helden wie Hoeneß: In den Nebeln der Verklärungsrepublik

Von Marion Kraske

Plumps – wieder einer vom Sockel gefallen, wieder eine dieser strahlenden, blitzenden Lichtgestalten, die aus schwindelerregender Höhe auf den Boden der Tatsachen – oder sollten wir sagen Steuerrealitäten – gestürzt ist. Uli Hoeneß war ja streckenweise nicht Wurstfabrikant, nicht Fußballpromi, sondern schlicht: Gottgestalt. Manager. Macher, heilige Rampensau. Einen, den die Öffentlichkeit (nicht nur die Bayern-Fans) kraft distanzierter und zugleich unverhohlener Verehrung mit einem hell leuchtenden Heiligenschein ausstattete. Einen, den sie überhöhten. Und auch er stand wie selbstverständlich über den Dingen. Predigte Moral und Anstand. Bis zur Selbstanzeige.

Seit Tagen talkt sich die Republik die Kopfe heiß, das heißt im teutonischen Talkmus, dass die immer gleichen Köpfe die immer gleichen Phrasen absondern. Uli Hoeneß und kein Ende. Wie konnte das nur passieren? Warum ER? Ausgerechnet ER. Der Schock sitzt tief. Unser Uli, unser Held. Einer mit einer riesenhaften Lebensleistung. Zugegeben, er war ja schon immer ein Zocker. Hat er nicht gerade mit diesem Zockertum aber den FC groß und größer gemacht? Die Message ist fast immer dieselbe: Zocken gehört zum Geschäft – zumindest für die wirklich Wichtigen im Lande. Nur so lässt sich Großes erreichen. Der Rest versackt dort, wo der Rest eben hingehört: im Mittelmaß.

Und wenn der Uli eines nicht war, dann das. Nein, er war die personifizierte frohe Botschaft einer Geisteshaltung, die keinen Funken Zweifel, die nur eine Richtung kennt: Schneller, weiter, höher. Mehr und nochmals mehr. Mit dieser kompromisslosen Haltung hat er allen gezeigt, was eine Harke ist – auch auf internationaler Bühne. Hat demonstriert, was FUßBALL ist. Was Bayern ist.

Und so sitzen in den abendlichen TV-Zirkeln immer auch Vertreter der Hoeneßschen Anbetergemeinde und trauern vor allem der Tatsache nach, dass es das Objekt der Vergötterung gewagt hat, nicht ganz so göttlich zu sein wie man es ihm andichtete. Selbst Journalisten wie die ZDF-Moderatorin Müller-Hohenstein glänzen weniger durch Analyse als durch Ratlosigkeit, außer ihrer Bewunderung für den potenten Bayern-Boss hatte sie bei ihrem Auftritt vergangene Woche bei Illner so rein gar nichts zu bieten.

Kein geringerer als Franz Beckenbauer schoss allerdings den Vogel ab: Hoeness habe es ein wenig übertrieben, erklärte er der Süddeutschen Zeitung weichspülend. Er sei ein Arbeitstier, die Zockerei sei eben sein Ausgleich. Ein Betrüger aber? A Schmarrn! Doch nicht der Uli!!!!

Während anderswo in der Republik Verkäuferinnen wegen Bagatelldelikten
den Job verlieren, gar wegen Brötchen, die aus dem Müll gefischt werden, gelten bei einigen wenigen Superstars ganz offensichtlich andere Maßstäbe, im Zweifel jene, die diese eigene Kaste Prominenter für sich und andere definiert hat. Selbst Erwin Huber, immerhin ehemaliger Bayern-Minister und Steuerprüfer, wollte am Sonntag bei Jauch den lieben Uli partout nicht als kriminell bezeichnen.

Wie Müller-Hohenstein, Beckenbauer, Huber geht es vielen. Die Bewunderung gegenüber dem Fußballheiligen Hoeneß überwiegt. Eine Bewunderung, die nicht sterben darf. Mal wieder ist die Republik in Anbetungsstarre verfallen. Mit ihr werden mit schöner Regelmäßigkeit aus Menschen Helden gezimmert. Überflieger. Mythengestalten. Verklärung als oberstes Prinzip.

Es ist noch gar nicht lange her, da wurde aus einem gegelten Adligen Söhnchen mit einer grotesk zusammen geschusterten Doktorarbeit die neue Lichtgestalt fürs Kanzleramt gestrickt. Damals tat sich wie so oft BILD hervor, das Hoch- und Höherschreiben (vor dem obligatorischen Fallenlassen) ist bekanntlich ihr Job. Und auch die übrige Öffentlichkeit jazzte fröhlich mit, ein politisches Ausnahmetalent, ein deutscher Kennedy, so hallte es einem in den sozialen Netzwerken oder auf Parties entgegen. Da feierte man einen, der nicht den Mief der Merkel-Republik verbreitete, der nicht diese spießige Seriösität deutscher Nadelstreifen-Politiker versprühte, sondern mit Ray Ban und Ugg-Boots-beschuhter Gattin ein bisschen verwegene Ramboattitüde lebte, ein bisschen blaublütige Distingiertheit, ein bisschen auch weite Welt. Adlige wurden fortan in Gänze blindwütig zu besseren Menschen stilisiert. Am unerträglichsten war das monarchistische Geschwurbel in den Springer-Postillen, aber auch in den diversen Talkrunden wurden die Blaublüter rauf und runter zur verantwortungsbewussten Kaste, zur Erlösermasse verklärt. Erlösung eigentlich – wovon?

Selbst der SPIEGEL beteiligte sich an diesem hochnotpeinlichen Guttenberg-Hype: „Die fabelhaften Guttenbergs“ lautete eine Titelstory mit a la Hollywood-Flair inszeniertem Theoder samt Gattin auf dem Cover. Für eine Schmierenzeile des Boulevard gelungen – für ein Nachrichtenmagazin: unterirdisch. Dass die realen politischen Erfolge des blaublütigen Sprößlings eher mau bis nicht existent waren, dass die persönliche Inszenierung dafür umso inbrünstiger betrieben wurde (hierzu gibt es ein wunderbares Buch: „Inszenierung als Beruf – der Fall Guttenberg“, Edition Suhrkamp) – wen kümmerte es. Die Anbetungs-Republik war im Vollrausch, man berauschte sich an einer Größe, die keine war. Für zweifelnde Untertöne gab es kein Gehör.

Und auch als der falsche Doktorzauber aufflog und das moralinangesäuerte Pathos des jungen Freiherrn anfing, in sich zusammen zu krachen, hielt eine treue Fangemeinde an seiner Majestät fest. Auf Facebook gründeten sie eine eingeschworene Fangemeinde, die verzweifelt gegen die bösenbösen Enthüllungen anposteten. Was nicht sein durfte, durfte eben nicht sein. Dass am Ende Plagiatsfragmente auf 94,4 Prozent der Seiten und in 63,8 Prozent der Zeilen
nachgewiesen wurden, unterstrich die Lächerlichkeit des Festklammerns an einen, der wie kein Zweiter Moral und Tugendgefühl predigte und doch an den keck verkündeten Ansprüchen selber jämmerlich scheiterte.

Auch die sonst so kühl kalkulierende Kanzlerin folgte streckenweise instinktlos der galoppierenden Beweihräucherungsgemeinde, indem sie erklärte, sie habe ja keinen wissenschaftlichen Mitarbeiter eingestellt sondern einen Politiker, ganz so, als sei der moralische Abgrund, der sich unter ihrem holden Verteidigungsminister auftat, mit dieser flappsigen Solidaritätsbekundung erledigt. Wir wissen: war er nicht. Der Druck, den eine eifrig recherchierdende Geisteselite mit immer neuen Fundstücken im Netz aufbaute, war am Ende einfach zu groß, der Intellekt siegte damit über die schönredende vernebelnde Politik. Ein Hoch darauf, dass dieses Korrektiv hierzulande noch funktioniert(e).

Auch im Falle Wulff lief die Verklärungsmaschinerie streckenweise auf Hochtouren. Da saß ein junger Konservativer im Schloss Bellevue, ein toller Hecht, wenn auch politisch ein echter Langeweiler, ohne Charisma, ohne Visionen, der es immerhin geschafft hatte, eine rasante Blondine aufzureißen, noch dazu eine mit Tattoo. Monatelang wurden die Wulffs vom Boulevard mit bewundernden Blicken begleitet: Frischer Wind, das neue Patchwork-Modell, die jüngste Familie seit jeher im hohen Haus, ein Hoch auf die Moderne!

Dass dort ein mäuschengrauer CDU-Apparatschik Einzug gehalten hatte, einzig und allein dem Machtkalkül der Kanzlerin gedankt, scherte nur wenige. Erst als die Recherchen der BILD um den dubiosen Hauskredit und andere Mauscheleien nahelegten, dass da ein mutmaßlicher Schnäppchenjäger ins höchste Staatsamt katapultiert worden war, ließ die Bewunderungsmaschinerie ins Stottern geraten. Allmählich verkehrte sie sich in ihr Gegenteil: Häme und Spott brachen sich Bahn. Die Verklärungsrepublik wandelte sich in ihr Gegenteil, fortan war Verdammung angesagt. Zu gering der Widerstand, zu klein die Verteidigungsfront – mitunter saß nur noch ein einsamer Pastor Hintze da, der Wulff gegen immer neue Vorwürfe in Schutz nahm. Als die Staatsanwaltschaft schließlich Ermittlungen aufnahm, blieb folgerichtig nur noch der Rücktritt. Der jüngste Vertreter im Präsidalamt wurde so flugs auch zum kürzesten Verweiler gekürt.

Anders derzeit bei Hoeneß: Seine Spezln stehen weiterhin noch treu an seiner Seite. Da wird gemauert und gebunkert. Da wird verniedlicht und verkleistert. Ist ja alles nicht so schlimm. Die paar Milliönchen am Fiskus vorbei. Unter Kavalieren – beinahe nicht erwähnenswert. Oder, um mit Beckenbauer zu sprechen: „Da ist ihm irgendein Fehler unterlaufen“. Hach, diese kleinen Fehlerchen! Man darf gespannt sein, wie lange die Verklärungsnebel sich noch halten.

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2 Antworten auf Helden wie Hoeneß: In den Nebeln der Verklärungsrepublik

  1. Friedrich sagt:

    marion, toller artikel! hast Du auch schon die beiden interviews mit dem göttergleichen hoeneß gelesen?

    ich glaube, nichts war so schön, wie der spruch von th.denkler(SZ) : elfmeter für die spd.
    das problem ist, die unionisten und neoliberalen fdp-ler können den hoeneß nicht öffentlich verteidigen. und die causa hoeneß ist schon ein echter hammer für die schwarz/gelben.

    und so rätseln sie, wie man vorgehen könnte. und mir scheint, sie haben sich für mitleid entschieden, wir alle sollen es zumindest nachvollziehen können, was dieser steuerhinterzieher so angestellt hat, wir sollen uns in seine Seele einschmiegen.

    Aber offensichtlich lassen sich die BundesBürgerInnen dieses mal einfach nicht ablenken!

  2. Marion sagt:

    Und nun wird über alles auch noch die Opfer-Soße ´drüber gegossen. Zocker-Sucht. Das Schicksal kann so grausam sein…