Schmuddelkind wird 60: Eine Bild des Jammers

Von Michael Kraske

Zum 60. Geburtstag der Bild-Zeitung wurde ich wie angeblich 41 Millionen andere auch von der öligen Selbstgefälligkeit ihres Chefredakteurs Kai Dieckmann belästigt, der furchterregend von der ersten Seite eines Gratis-Exemplars grinste. Seit Wochen ist Deutschland wieder zugekleistert mit Plakaten, auf denen mehr oder weniger Prominente ihre blöden, peinlichen, anbiedernden oder pseudokritischen Sprüche über die Bild-Zeitung abgeben. Ausgeheckt von der Werbeagentur Jung von Matt lassen sich seit Jahren Maffays, Almsicks, Mario Barths, Veronica Ferres´, sogar vermeintlich Integre wie Altpräsident von Weizsäcker vor den Bild-Karren spannen. Als bräuchte es für das schmierige Geben und Nehmen zwischen Boulevard und Liebessüchtigen mit Aufmerksamkeitsdefizit immer neue Beweise. Neuerdings will die Bild nicht nur vom Volk geliebt und gebraucht werden, sondern auch vom seriösen Journalismus. Auch da wäscht eine Hand die andere: Für die fein selektiert servierten Wulff-Enthüllungen bekam die Bild sogar den renommierten Henri-Nannen-Preis nachgeworfen. Was also ist Bild nach 60 Jahren? Ein zahm gewordener Papier-Tiger oder die alte Dreckschleuder? Vor allem ist sie ein schnöseliger Langweiler.

Nichts zeigt das deutlicher als die erbärmliche „Frei-Bild für alle“. Da behudeln und beturteln sich zwei Seiten lang Gerhard Schröder, dem schon lange nichts mehr peinlich ist, und Bild-Chef Diekmann. Und worüber sprechen sie? Darüber, wie der Gerd sich so fühlt, wenn er mit seinem Freund Wladimir feiert, während draußen Demonstranten niedergeknüppelt werden? Nein, natürlich sprechen sie über Bild. Darüber, dass der Schröder sowohl seine Frau Doris als auch seinen Pressesprecher Bela damals von der Bild-Zeitung abgestaubt hat. Das kann ja nach dem achten Bier ganz amüsant und zotig werden, allerdings nur für den Gerd und den Kai. Warum mehrere Millionen Unbeteiligte dieses Therapiegespräch einer Hassliebe lesen sollten, erschließt sich nicht.

Ihr großes Herz stellt Bild zur Schau, indem sie mehrere glückselige Kaffeefahrt-Opfer zeigt. „Der Bild-Anwalt kämpft um jeden Betrag“ heißt es. „Ohne Bild hätten wir uns nicht getraut, gegen diese Leute vorzugehen“, darf ein um 218 Euro betupptes Paar säuseln. „Bild kämpft für sie“, behauptet Bild. Auf wessen Seite sich das Blatt schlägt, entscheidet im Zweifel die Opportunität. Das sind längst nicht immer Opfer dubioser Geschäftspraktiken. Diejenigen, die sich von Carsten Maschmeyers AWD in den Ruin beraten glaubten, mussten auch noch mit ansehen, wie sich Maschmeyer in der Bild-Zeitung als Saubermann präsentieren durfte. Noch wichtiger als kleine Opfer im großen Finanzspiel sind nämlich große Namen wie Veronica Ferres, die TV-Dauerheulsuse und Maschmeyer-Frau, ohne die Bild ohne Bilder wäre. Da kriegen dann die harten Boulevard-Hunde schon mal eine peinliche Beißhemmung.

Überhaupt bestimmt bei der Bild-Zeitung regelmäßig nicht das Genre Boulevard, worauf eingeprügelt wird. Das wird zwar gern behauptet, stimmt aber nicht. Den systematisch plagiierenden Guttenberg hatte Bild über Monate mit lachhaften Helden-Fotos und schwülstigen Liebesbekundungen zum Kanzler in spe hochgejazzt. Als akribische Internet-Rechercheure dessen Doktorarbeit und damit auch sein freches Krisenmanagement zerpflückten, machte sich die Bild nicht etwa auf die Suche nach der ganzen Wahrheit, sondern startete eine Kampagne, die den Unhaltbaren retten sollte. Ein Journalist, den blasierter Glamour blind macht, ist kein Journalist. „Scheiß auf den Doktor“, schrieb Franz Josef Wagner in verzweifeltem Trotz an Guttenberg. Eine publizistische Bankrotterklärung.

Überhaupt Wagner. Man könnte ihn für eine Witzfigur halten mit seinen Briefen an den Papst, an den lieben Gott oder an die Hells Angels. Was soll schon dabei raus kommen, wenn man einem alternden Schreiberling Geld dafür hinterher wirft, dass er sich in Berliner Edel-Cafés etwas aus den Fingern saugt? Vor allem viel heiße Luft, die man nur bei der Bild mit Poesie verwechselt. Ab und zu darf Wagner briefschreibend eine Kampagne unterfüttern, wenn er den kruden Hobby-Genetiker Sarrazin als mutigen Tabubrecher anschleimt.

Die Kampagnen der Bild-Zeitung sind mal hysterisch, mal lächerlich. So schrieb man den bereits ausrangierten Lothar Matthäus vor der WM 1998 zum Retter hoch, bis der dann tatsächlich seinen schnelleren Gegenspielern hinterher laufen durfte. Deutschland schied im Viertelfinale aus. Bei Sarrazin war das Bild-Geschrei gefährlicher. Angst vor integrationsunwilligen Fremden zu schüren bleibt eine billige, gefährliche Masche. Dass viele von Sarrazins vermeintlich objektiven Zahlen nicht stimmten, scherte Bild nicht. Die meisten Kampagnen bewegen sich jedoch weit unterhalb der gesellschaftlichen Relevanz-Schwelle und sind der Versuch, Spontanfrust zu antizipieren. Da geht es dann um Steuer-Wut, Renten-Wut oder Benzin-Wut. Erklärt wird nichts. Hintergründe sind egal. Was nicht zum eindimensionalen Aufschrei taugt, ist zu kompliziert.

Bemerkenswert ist, wie wenig Substanz die riesige Bild-Maschine produziert. Wie wenig Enthüllung denjenigen gelingt, die sich für die ganz großen Wühler halten. Wo ist der relevante Bild-Beitrag über das monströse Versagen von Polizei und Verfassungsschutz beim NSU-Terror-Netzwerk? Mit ganzer Kraft und vollem Körpereinsatz stürzt man sich lieber auf Prominente und prangert deren private Verfehlungen an. Die Autorin Hera Lind wurde als vermeintliche Rabenmutter fix und fertig gemacht, weil sie sich von ihrem Mann getrennt hatte.

Das Boulevard-Argument ist immer, dass man nur über das schreibt, wofür sich die Leute interessieren. Dass man ein natürliches Interesse an Neid, Wut, Eifersucht, Schadenfreude und Voyeurismus bediene. Ein Naturgesetz, das vorgibt, eine Mutter, die sich in einen anderen verliebt, zum öffentlichen Fraß vorzusetzen, gibt es nicht. Gern beten auch Journalisten den Unfug wider, man fahre mit der Bild im Fahrstuhl rauf und auch wieder runter. Wer sie einmal ins Bett lasse, werde am Ende auch so richtig von ihr durchgenommen. Man fragt sich in der Tat, warum sich so viele bekannte Menschen auf Promi-Prostitution einlassen. Aber wie muss man gestrickt sein, um sein Selbstverständnis daraus zu ziehen, dass man diejenigen, die man groß gemacht hat, da hin bringt, wo es dunkel und schmutzig ist? Nicht, weil ein unhaltbarer Zustand aufgedeckt wird, sondern weil man gern zusieht, wie andere im Schmutz versinken.

Das Schmuddel-Image reicht der Bild aber nicht mehr. Man wär gern beides: Der härteste, aber auch der smarteste Hund im Land. Um das zu schaffen, schickt man Nikolaus Blome, den stellvertretenden Chefredakteur in die Talk-Shows. Der kann so nachdenklich und sensibel wispern und flüstern, dass die Bildzeitung glatt als seriöser Journalismus durchgeht. So konnte sich Bild in der Wulff-Affäre als medialer Fels in der Demokratie-Brandung aufspielen. Der kalkulierte Einsatz von Wulffs peinlichem Patzer auf dem Anrufbeantworter verblasste angesichts des gelungenen Marketings.

Es heißt, Bild könne keine Stimmung machen, nur erfolgreich verstärken. Mit intuitivem Gespür in Worte fassen, was im Volk ohnehin gärt. Da ist etwas dran, aber es ist nur die halbe Wahrheit. Medien, zumal wenn sie millionenfach mit großen Buchstaben gedruckt werden, setzen Themen. Die Angst vor Asyl-Betrügern und Hartz 4-Abzockern kann man wecken, man kann nicht nur diffusen Vorbehalten Argumente liefern, sondern auch die Wahrnehmung verändern. Man kann Einzelfälle wie den Regelfall erscheinen lassen und unrühmliche Ausnahmen zur System-Krise aufblasen. Und man kann Themen totschweigen und unhaltbare Zustände dadurch zementieren, dass man sie links liegen lässt. Noch immer versucht Bild, nicht nur Gefühle, auch die niedrigen anzusprechen, sondern auch Politik zu machen. Das klappt nicht immer. Guttenberg wird nicht Bundeskanzler. Vorerst.

Einige Betrachter meinen, Bild wäre auf dem Weg ins Seniorenalter harmloser geworden. Gut möglich, dass sie fehlende Relevanz und Langeweile meinen. Wie schmuddelig Bild ist, liegt natürlich im Auge des Betrachters. Ganz bei sich war Bild, als sie das vollmundig abgeschaffte Seite 1-Girl im Blattinnern wieder nackt machte. Denn wenn wir nicht gerade Papst sind, machen die Mandys von nebenan dem Bild-Leser noch schönere Gefühle als jede Zeile über faule Griechen.

Was Bild noch immer ist, zeigte eine Titelseite im März, als ein Bus mit belgischen Kindern in der Schweiz verunglückt war. Der Pressekodex regelt, dass die Presse bei Unglücken in der Regel keine Fotos und Namen der Opfer zeigen darf. Die Bildzeitung zeigte Fotos der Kinder. In einer ARD-Doku zum 60. Geburtstag versichert Kai Diekmann, man habe über den Bürgermeister die Genehmigung der Eltern eingeholt. Die Sprecherin des Bürgermeisters dementiert diese Darstellung. Solange die Bildzeitung nicht vor toten Kindern halt macht, hat sie keinen Platz außerhalb der Schmuddel-Ecke verdient.

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