Griechische Paradoxien: Ran an die dicken Fische!

Von Stergios Papadileris, Rechtsanwalt in Thessaloniki

Griechenland erlebt seit nunmehr über zwei Jahren eine tiefe Rezession. Die Ursachen hierfür sind nicht nur im Land selbst zu suchen, sondern europa- gar weltweit. Die Beispiele von Island, Spanien, demnächst Italien belegen dies eindeutig. Es liegt mir fern, mir weltökonomische Kenntnisse anzumaßen, meine aber dass unser Land heute nicht da wäre, wo es ist, wenn nicht andere „Außenkomponenten“ eine wichtige Rolle gespielt hätten.

Wenn man Gründe für die heutige Misere des Landes sucht, muss man einige Schritte zurückgehen. Man wird dann zunächst in den späten 80er Jahren landen und feststellen, dass die damalige Börsenkrise den Anfang des Endes einläutete. Damals haben die Griechen – an die Ankündigungen des damaligen Premiers Simitis und dessen Wirtschaftsministers Papantoniou glaubend, dass die Börse die 7.000er Marke überschreiten werde – jede müde Drachme, die sie eingenommen haben, an der Börse „verspielt“. Natürlich sind dabei Milliarden verloren gegangen, Heute krebst die griechische Börse nach wie vor an der 1.200er Marke herum…

Anschließend kamen die Banken, die Jedem und für Alles einen Kredit vergeben haben. Es waren die Jahre, an denen man unbestellt fast täglich eine Kreditkarte im Briefkasten fand, und die Banken die Leute inständig gebeten haben, doch bitte einen Kredit in Anspruch zu nehmen. Sei es für den Urlaub, sei es für eine marode Firma, sei es für was auch immer.

Dies war zugleich die Zeit, als sich der Brunnen aus Brüssel öffnete und Milliarden an Fördergeldern hierher flossen. Die Ergebnisse sieht man heute noch: Tausende von Bauten überall auf dem Lande, die lediglich aus einem Gerüst bestehen. Mehr mussten und brauchten die Griechen damals nicht zu tun, um Fördergelder zu bekommen.

Allmählich mussten die Griechen sich damit abfinden – auf Geheiß der EU – dass sie zu gut für die Landwirtschaft und das Baugewerbe waren, ließen mithin Millionen von Arbeitnehmern kommen, um sich für die Olympiade 2004 vorzubereiten, statt auf ihren Feldern zu schuften, kassierten sie lieben „Ackerruhegelder“, die aus Brüssel kamen. Heute leben in Griechenland Millionen von ausländischen Mitbürgern, die keine Aufenthaltserlaubnis haben und trotzdem verschiedene Formen von Sozialhilfe bekommen. Die Agrarprodukte, die man seinerzeit hier anbaute, importiert man heute teuer aus Drittländern.

Ferner kam ein Strom aus den ehemaligen Ostblockländern. Plötzlich wurden aus den wenigen Zehntausenden, die nach dem Bürgerkrieg in den Jahren 1948-1949 gen Osten geflüchtet waren, Millionen, die nun wieder zurückkehrten. Mit Anspruch auf Eingliederungshilfen in Milliardenhöhe.

Und doch haben wir nicht nur Negatives zu bieten: Es wurden olympische Spiele veranstaltet, die zu den besten der letzten Jahrzehnte gehören, wir haben einen Flughafen in Athen, der zu den modernsten in Europa gehört, und wir haben tausende von Kilometern an Straßen gebaut, die jedoch kaum einer nutzt.

Alles mithin Schuld von außen? Gewiss nicht! Ohne die nicht existierende Verwaltung wäre dies alles nicht geschehen. Ohne korrupte Politiker wäre es nicht so weit gekommen. Ohne dieses Maß an Leichtsinnigkeit, wäre alles anders gekommen. Welches Kind sagt aber nein, wenn man ihm plötzlich einen Bonbon vor den Mund hält?

Nun lautet das Schlagwort der Zeit: Reformen. Natürlich muss vieles reformiert werden. Reicht dies aber? Wenn nicht grundlegend einiges geändert wird, kommen wir aus dem Finanz-Debakel nicht heraus. Und schon jetzt zeichnet sich ab, dass das, was heute in Griechenland passiert, aller Voraussicht nach nicht die Lösung ist.

Griechenland erlebt derzeit ein Mammut-Sparprogramm, das vorne und hinten nicht ausreichen wird. Der Staat erhebt ständig Steuern (in den letzten zwei Jahren weit über 100 verschiedene), die allesamt den kleinen Mann treffen. Die Gehälter, Löhne und Renten sind bei den meisten um die Hälfte gesunken, gleichzeitig sind die Steuern und Abgaben um ein Vielfaches gestiegen. Spätestens im Juni – nach den Wahlen – sollen weitere Einschnitte folgen. Wer soll das aber noch bezahlen können? Die Vorräte sind bei der Börsenkrise verloren gegangen, die Quellen versiegen, die Arbeitslosigkeit steigt (offiziell ist sie nahe der 20% Grenze, die wirkliche Quote liegt viel jedoch weitaus höher).

Zum gleichen Zeitpunkt unterhält der griechische Fiskus nach wie vor 300 Abgeordnete, jeder natürlich mit einigen dutzenden Gefolgsleuten, die ebenfalls vom Staat unterhalten werden, Minister und Parteien stellen Leute ein, um Wahlstimmen zu sichern, die Haushaltslücke will und will sich nicht schließen.

Nun hat man die Mehrwertsteuersatz auf 23 % erhöht. Und? Wer soll diesen Steuersatz zahlen, wenn man denn keine Aufträge bekommt? Unternehmen – beginnend mit der Bauwirtschaft – schließen Tag für Tag. Ein Spaziergang durch die Städte im Land liefert den Beleg: Es wird gestorben, an jeder Ecke schließen Firmen, auch die kleinen Gewerbebetriebe. Der Staat hat nicht das Geringste getan, um die wirtschaftliche Lage anzukurbeln. Und ohne Entwicklung kann man aus der Rezession beim besten Einsparprogramm nicht rauskommen.

Die Hoffnung ist, dass die Löhne, wenn sie erst mal auf Bangladesch-Niveau liegen (und dahin geht die Entwicklung), die Investoren in Strömen anziehen und die Wirtschaft auf diese Weise wichtige Impulse erfährt. Ich teile diese Auffassung nicht. Denn die Menschen, die jetzt für 300 Euro monatlich brutto arbeiten sollen, haben ein oder mehrere Darlehen zu bedienen, sie müssen Steuern und Abgaben zahlen, ihre Lebenshaltungskosten bestreiten. Sie leben am Existenzminimum in einem Europa, das ihnen teure Straßen gebaut und hohen Lebensstandard versprochen hat.

Was nun? Es sind meiner Ansicht nach Fehler begangen worden, die durchaus noch korrigiert werden können. Dennoch kann man nicht nur von den kleinen Leuten das wieder einkassieren, was in den letzten Jahren irgendwo im Lande versickert ist. Das Geld aus der Börsenkrise haben andere einkassiert. Die Zuschüsse sind irgendwohin geflossen. Die Schmiergelder, die der Staat bezahlt hat, haben wiederum andere genommen. Sie alle sollten einen Teil davon zurückzahlen. Bei ihnen sitzt das „große“ Geld, nicht beim kleinen Mann. Wenn man 100 Politiker und Geschäftsleute in Haftung nehmen würde, die großen Fische, würde man ungleich mehr bewirken, als wenn man nun Millionen mühsam auspresst.

Ein kleines Beispiel: in Deutschland wurden führende Organe der Siemens und Thyssen Group wegen Bestechung in Griechenland verurteilt. Die Angeklagten haben zugegeben, dass sie heimische Politiker schmierten, um an Aufträge in Milliardenhöhen zu kommen. Die Rechnungen wurden bezahlt. Diese Rechnungen waren jeweils um die Schmiergelder erhöht worden. In Griechenland wurde niemand zur Rechenschaft gezogen. Als man dem damaligen Verteidigungsminister Tsochatzopoulos zu nah kam, drohte er, er werde auch andere mit ins Gefängnis nehmen. Seitdem genießt er nach wie vor sein schönes Leben.

Fest steht: Das Volk ist bereit, Opfer zu bringen. Es hat gezeigt, wenn es in den letzten Monaten gerufen wurde, dass es willens ist, alles zu geben. Nur: Das Volk hat keine Opfer mehr, die es bringen könnte. Nun ist es an den „Großen“ – auch sie müssen zeigen, dass sie bereit sind, etwas dazu beizutragen, dass dieses wunderbare Land weiter existieren kann.

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