Von Marcus Müller
Hurra, endlich ein Konsens-Kandidat, den das Volk will! Ich finde es ja noch immer angebracht, sehr vorsichtig zu sein, wenn das deutsche Volk jemanden so innig liebt wie nun gerade offenbar den Herrn Gauck. Denn es gilt tatsächlich das kaum schöner zu formulierende Bonmot des Drehbuchautors Sascha Arango aus der Süddeutschen Zeitung über den Wert doller Zustimmung: „Die beste Quote in Deutschland hatte immer noch die NSDAP. Und: Was bitte sagt diese gute Quote aus über die NSDAP?“ Also: Die quasi-religiöse Verehrung von Herrn Gauck reicht dann auch. Es beängstigt ja schon, wenn Franziska Augstein sich in der Süddeutschen Zeitung fast zu entschuldigen genötigt sieht, nur weil sie ein paar Äußerungen von Gauck in seinem neuen Buch (zu Recht) für nicht so dolle und vage hält.
Nach Lage der Dinge wird Gauck dennoch ein besserer Präsident werden, als sein Schnäppchen und Glamour liebender Vorgänger Wulff. Inhaltlich so grau und mau verwalten wie Wulff wird Gauck das Amt dank seines mächtigen Egos gar nicht können. Als die beiden vor zwei Jahren gegeneinander antraten, stimmte, wie man nun weiß, der böse Satz von SPD-Chef Sigmar Gabriel durchaus, dass Gauck „ein Leben mit in seine Kandidatur“ bringe und Wulff nur „eine politische Laufbahn“.
Mit dieser Lebenserfahrung und dem deutlich größeren intellektuellen Format kann Gauck bestimmt den einen oder anderen Unsinn erklären, den auch er schon so dahergeredet hat. Was Gauck jetzt vorgeworfen wird, waren größtenteils Äußerungen aus längeren Interviews, die in voller Schönheit eben doch nicht ganz so knackig waren, wie eine Nachrichtenagentur es gerne hätte oder es in eine Schlagzeile passt. Von Tweets ganz zu schweigen. Die Shitstorm auslösenden Äußerungen zu Thilo Sarrazin, Hartz-Vier-Demos, Vorratsdatenspeicherung und dem Kapitalismus als solchem, sind längst so weit in den Zusammenhang gerückt worden, dass ein paar der dümmsten Vorwürfe gegen Gauck doch eher haltlos erscheinen. (Übrigens, zur Sicherheit hier für alle Über-Vereinfacher und Schlagzeilen-Bastler: Nein, ich habe oben nicht gesagt, dass Herr Gauck irgendetwas mit der NSDAP am Hut hätte!)
Die Chance, noch einmal darüber nachzudenken, ob er Sarrazin tatsächlich irgendeinen Mut zusprechen möchte, sollte man Gauck geben – angesichts eines nun bekannten rechtsradikalen Terrors des NSU und fataler fremdenfeindlicher „deutscher Zustände“, die Soziologe Wilhelm Heitmeyer außerdem als „rohe Bürgerlichkeit“ mit Ellenbogenmentalität beschreibt. In einer ordentlichen Rede wird Gauck sich angesichts dessen vielleicht auch seinen seltsam oberflächlichen Nationalstolz noch einmal etwas genauer vornehmen, den er gern in die Fernsehkameras sagt. Der hört sich so kurz gefasst immer nach einer dieser pseudo-romantischen Eindampfungen auf hübsche Bäume und Balltreter an, was dann doch etwas unter seinem Niveau sein dürfte.
Sicher ist aber doch, dass er leidenschaftliche Debatten über alle diese Themen wird anstoßen können. Er wird dabei auch nicht bloß Tiefgründigkeit simulieren wie Vorgänger Wulff. Joachim Gauck wird sich bestimmt als alter, konservativer, vielleicht neoliberaler Mann erweisen. Das muss man nicht mögen. Man kann auch, wie Bürgerrechtler Friedrich Schorlemmer, deutlich fordern, dass Gauck sein „Loblied auf die Freiheit ergänzt durch ein Loblied auf die Gerechtigkeit“.
Es kann aber bei auch sein, dass Gauck überhaupt nicht Schubladen-gerecht wird. Auch alte Männer müssen gar nicht immer im Unrecht sein: Schließlich werden ja sogar einstige CDU-Raubeine wie Heiner Geißler oder Ex-CSU-Kanzlerkandidaten-Berater wie Michael Spreng auf ihre alten Tage überraschend aufgeklärt. (Das Gegenteil beweist der notorische Schräge-Ansichten-Haber Norbert Geis mit seiner Meinung zum Ehestand des künftigen Staatsoberhauptes. Aber Geis ist bekanntermaßen derjenige CSU-Mann, den Journalisten nun mal anrufen, wenn sie eine eher beklopppte Meinung zitieren wollen, wie schon seine Auslassungen zu Abtreibungen , Homosexualität , Internetprangern und Parkplatzsorgen beweisen.)
Was der alte Gauck aber tatsächlich einfädeln sollte: das Amt des Bundespräsidenten abzuschaffen. Nicht, weil nach einem in Volkes Meinung Gottgleichen sowieso niemand mehr im Schloss Bellevue über das Parkett flitzen dürfte. Nein, das Amt ist im 21. Jahrhundert überflüssig. So wenig, wie es in anderen Ländern noch eine Rest-Monarchie braucht, so wenig benötigt dieses Land ein billiges Ersatz-Rest-Monarchentum.
Der Bundespräsident ist meistens doch nur ein winkender und Hände schüttelnder Polit-Kastrat. Tatsächlichen Einfluss, etwa indem er Gesetze nicht unterzeichnet, nimmt er fast nie. Die weitere Stellen-Anforderung, ordentlich für gesellschaftliche Debatten zu sorgen, dabei aber bitte niemandem – vor allem keiner Partei – zu nahe zu treten, ist ohnehin ein Widerspruch in sich und eine Beleidigung der Demokratie. Direktwahl? Noch katastrophaler, weil dann neben dem Bundestag ein weiteres direkt gewähltes und somit aufgewertetes Verfassungsorgan entstünde, das aber keine eigentliche Macht besäße – was gefährlich wäre, wenn ein ambitionierter Amtsinhaber einfach mal ausprobieren würde, wie weit er gehen kann. Also: Einmal Gauck und gut! Dafür könnte er seine Lebenserfahrung und seine überwältigende Popularität in den kommenden fünf Jahren nutzen.