Friede den Hütten, Krieg den Glaspalästen?!

Von Michael Kraske

Das Ungeheuerliche an den Demonstrationen vor der New Yorker Börse ist ja nicht, dass sie stattfinden, sondern dass nach dem bankenverschuldeten Kollaps so lange Grabesruhe herrschte. Über Jahre haben wir uns kollektiv gehirnwaschen lassen, akzeptiert, dass die Gier der Zocker dem Wohle aller diene. Die Wirtschaftsblätter haben Investmentbanker und ihr aberwitziges Milliardenspiel angebetet. Wer sich keine Aktien zulegte und stattdessen brav sein Geld zur Sparkasse trug, galt als zurückgebliebenes Weichei. Nun dämmert es nicht mehr nur linken Sentimentalisten, sondern auch eingefleischten Konservativen wie Frank Schirrmacher, dass etwas schrecklich aus dem Ruder gelaufen ist. Dass wir von Banken erpresst werden. Dass sie die Gewinne kassieren und wir die Zeche zahlen, wenn sie sich verspekuliert haben.
Wir haben weiter daran geglaubt, in einer sozialen Marktwirtschaft zu leben, als Hedge Fonds ganze Wohnsiedlungen und kommunale Stadtwerke als „Investment“ schluckten, um anschließend Profit aus Mietern zu pressen. Wem da mulmig wurde, war ein Kommunist und Ewiggestriger. Wir haben geglaubt, als man uns sagte, dass Heuschrecken zwar nicht schön, aber notwendig sind.
Jetzt ruft eine weltweite Organisation namens avaaz.org zum Kampf gegen korrupte Regierungen und für echte Demokratie auf. „Besetzt die Wall Street!“, ist der Schlachtruf. Deutsche Jungspunde, politisch grün hinter den Ohren, organisieren einen Marsch vor die Frankfurter Glastürme. Die Aktivisten beschwören ein neues 68 und fordern soziale Gerechtigkeit. Ist das eine Revolution? Die Suche nach dem vergessenen dritten Weg? Der Protest ist naiv, er ist vage, und natürlich haben die Aktivisten keinen blassen Schimmer, wie die Weltmacht der Börsen gebrochen werden kann. Aber jede soziale Bewegung beginnt mit Kritik. Mit Fragen, nicht mit Antworten. Fragen, die wir uns verkniffen haben, weil man uns weis gemacht hat, davon verstünden wir eh nichts. Man muss nur dem lächelnden Hauptgeschäftsführer des Deutschen Bankenverbandes zuhören, wie hochkomplex das Bankengeschäft sei, um zu wissen, dass sich nichts an der herablassenden Arroganz geändert hat.
Schon das Nachdenken über die Finanzwirtschaft war lange tabu. Es geht schon mit der Sprache los. Jeden Abend müssen sich die Tagesschau-Schauer anhören, dass „die Märkte nervös reagieren“. Die Märkte, wer ist das eigentlich? Seit wann leben die? Wir haben uns an die hohlen Phrasen von Pseudoexperten gewöhnt, die keiner versteht und die nichts erklären. Ein Mausklick macht keine Revolution, aber ist der Ruf nach Kontrolle und Finanztransaktionssteuern so viel naiver als die Propaganda von der „Selbstregulierung der Märkte“? Warum verbieten die Regierungen nicht den Derivatemüll, der die Welt verseucht hat? Warum dürfen die Bankmanager weiter „Finanzinnovationen“ auflegen, die nichts mit realer Wirtschaft, aber viel mit Pferdewetten, zu tun haben?
Nichts hat sich geändert, seit die Welt in den Abgrund blickte. Die Zocker setzen auf Staatspleiten und dealen mit den Weltmarktpreisen für Rohstoffe und Lebensmittel. Die Banken schwatzen ihren Kunden munter weiter Produkte auf, die sie nicht verstehen. Verkaufen Schulden als Investment. Bestimmen die Regeln, anstatt politisch in die Schranken gewiesen zu werden. Geld gibt es wie Heu, es kommt nur darauf an, wie man es verteilt, orakelt der knittrige Yoda der deutschen Politik, Heiner Geißler.
Die Demonstranten vor den Börsen dieser Welt werden diese nicht zum Einsturz bringen, das besorgen die „Finanzmärkte“ im Zweifel selbst. Aber ein bisschen 68 wär ja schon was. Freie Gedanken, Träume von einer Marktwirtschaft, in der es echte Märkte gibt und die wirklich sozial ist. (Sorry, das mit dem „allen gehört alles“ hatten wir schon mal, ging ziemlich in die Hose) 68 reloaded ist vor allem eine Kulturrevolution. Die Angst vor dem Untergang gepaart mit dem Glauben an eine absurde Zockerphilosophie wird ersetzt durch den reanimierten gesunden Menschenverstand und die freie Liebe. Make love not money.
Keiner würde sich mehr trauen, von nervösen Märkten zu faseln oder davon, dass eine Aktie sexy ist. Die Strickpullis und Bärte schenken wir uns diesmal. Ebenso den Marsch durch die Institutionen (denkt bitte an Joschka Fischer) und die stundenlangen Strategiediskussionen. Wir sollten auch keine Verschwörungstheorien konspirativ miteinander korrumpierender Politiker und Banker stricken. (Ich weiß, das fällt schwer) Wir sagen einfach, was Sache ist. So kann es nicht weiter gehen. Punkt. Wir zeigen den Jungs in den Glaspalästen, wer Koch ist und wer Kellner. Wir treiben unsere Politiker so lange vor uns her, bis sie darüber entscheiden, was in den Glaspalästen gespielt werden darf und was nicht. Parlamentarier und Außerparlamentarier aller Länder, vereinigt Euch!

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