Fresse dicke

Von Marion Kraske

Stammtisch also, nicht mehr, aber auch nicht weniger, Pöbelei, Gossensprech: Nicht irgendwer, nein, der Kanzleramtschef höchstpersönlich war es, der sich damit in Szene setzte. Er könne die „Fresse“ von Parteikollege Wolfgang Bosbach nicht mehr sehen, so Ronald Pofalla, weil Bosbach bei der Abstimmung zum Euro-Rettungsschirm die Regierungslinie nicht mittragen wollte. Den Verweis auf das Grundgesetz quittierte der Mann aus dem Kanzleramt mit den Worten: „Lass mich mit so einer Scheiße in Ruhe.“
Auch wenn sich Pofalla inzwischen für seinen Ausfall via Bild-Beschallung entschuldigte, so zeigt er doch eines: Das Grundprinzip freier Willensentscheidung, die kontroverse Debatte als Vorspiel demokratischer Willensbildung, moralische Bedenken bei einer höchst umstrittenen politischen Entscheidung, die die Zukunft Deutschlands nachhaltig beeinflussen könnte – für den Mann aus dem Kanzleramt störendes Beiwerk. Scheiße eben.
Der Fall ist keineswegs eine Petitesse, er beweist einmal mehr, dass die schwarz-gelbe Regierungsmannschaft keinen Anker besitzt, die Protagonisten schwimmen. Sie sind überfordert.

Der Kanzleramtsminister – überfordert mit der Erkenntnis, dass Fraktionszwang und Parteitaktik nicht das alleinige Maß darstellen, nicht laut Grundgesetz, schon gar nicht in Zeiten der Krise. Statt auf die Durchsetzungskraft der Argumente zu bauen, verbreitete Merkels Mann psychologischen Druck, um die vorgegebene, nicht anfechtbare Generallinie zu stützen. Da offenbart sich betonierter Parteiensnobismus, der die Grundsätze demokratischen Handelns auszuhebeln sucht. Die politische Entscheidung kommt als festgezurrtes Diktat daher, dem sich die Abgeordneten wie die Lemminge zu unterwerfen haben. Die Partei, die Partei die hat immer recht….
Überfordert auch – der Vizekanzler und Wirtschaftsminister, ein Jungspund mit Pennäler-Attitüde, der jegliches Gespür dafür vermissen lässt, dass auf das Parteiwohl schielende Herbeireden der Griechenland-Pleite ebenso wie ein chronisch dissonanter Sound im Kabinettschor nicht eben zur Befriedung der nervösen Lage in Europa und an den zittrigen Finanzmärkten beitragen. Überfordert – auch die Kanzlerin selbst, die die Dringlichkeit der griechischen Finanzkrise zunächst gar nicht erkannte und den Hellenen – einmal mehr via Bildlautsprecher – populismusgetränkt vorhielt, selbstredend als Gegenmodell zu den bienenfleißigen Deutschen, die Lauschepper Europas zu sein. Ohnehin ist die Regierungschefin chronisch nicht in der Lage, sich auf klare Positionen festzulegen. Lavieren gilt ihr als oberste Maxime.
Überfordert nicht zuletzt auch der Außenminister, der außer leeren Gemeinplätzen wenig zu bieten hat als Repräsentant dieses Landes, der in der heiklen Libyen-Frage einmal mehr parteitaktische Überlegungen über die nationale Verantwortung und die bislang intensiv gepflegte Partnerschaft mit den Verbündeten stellte.
Die grassierende Überforderung – sie wird so zum Leitmotiv einer Truppe, die in Krisensituationen Nerven zeigt und dadurch die eigene Krise immer brutaler offenlegt. Gepaart ist diese Überforderung mit populistischer Wankelmütigkeit (etwa beim Atomausstieg), gewürzt mit einer Prise Charakterlosigkeit (wie bei den Plagiatoren zu Guttenberg und Koch-Mehrin). Zu allem Überfluss versucht der neue Gesundheitsminister Bahr seinen Bruder-Doktor nun auch noch mit einem neuen Landarztgesetz zu beglücken. Die Hoteliers sind es ja bereits.
So sieht sie also aus, die vollmundig angekündigte geistig-politischen Wende der Koalition. Integrität, dem Gemeinwesen verpflichtetes Verantwortungsbewusstsein, ja gar Visionen zur Lösung der drängenden Probleme – sie sucht man dagegen vergebens.
Ginge es nicht um die Regierung, sondern, ganz profan, um die Nachbarn von nebenan, würde man sich wohl zum Fenster hinauslehnen und den Kopf schütteln: Was sind das bloß für Leute? Bezogen auf die Politik : Gab es jemals eine Koalition, die sich in der Legislaturmitte in einem derart zerrütteten Zustand präsentierte? Wohl kaum. Auch das Wahlvolk, Herr Pofalla, hat die „Fresse dicke“.

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Eine Antwort auf Fresse dicke

  1. Tess sagt:

    I don’t know who you wrote this for but you hleepd a brother out.