Europas unheimliche Heimatschützer

Von Michael Kraske

Europa hat rechts gewählt. Den radikalen Wahlsiegern geht es nicht allein um die Ablehnung der Europäischen Union. Das gemeinsame Projekt der neuen Rechten ist ein Kulturkampf gegen gesellschaftlichen Pluralismus.

Wenige Tage bevor Marine Le Pen mit ihrem Wahlsieg ein politisches Beben in Frankreich auslöst, steigt ein schmaler, dunkelhäutiger Mann in die Pariser Metro. Er trägt ein abgenutztes Keyboard unter dem Arm, dessen Tasten mit Klebeband notdürftig zusammen gehalten werden. Er beginnt zu spielen und singt dazu eine traurige Waise, voller Schmerz und Wehmut. Sie mag von verlorener Heimat handeln und von Entbehrung, ein verzweifeltes Gebet ohne Hoffnung, von erhabener Schönheit, in einer fremden Sprache. Der Mann sieht aus, als besitze er nur, was er anhat. Eine dieser Gestalten, denen man nicht an den Bistro-Tischen der Cafés unter klischeehaft französischen Markisen begegnet, nur in den kalten Katakomben unter der Stadt. Er verkörpert all das, was jeder vierte Franzose zu fürchten und zu hassen scheint. Falsche Herkunft, zugewanderte Armut, Fremdheit. Überall in Europa regt sich ein Abwehr-Reflex gegen alles, was fremd ist. Gegen Nordafrikaner, Sinti und Roma, Muslime. Die rechten Parteien erheben Herkunft zur zentralen Kategorie der Politik. Von Franzosen für Franzosen. Daham statt Islam. Geld für Oma statt Sinti und Roma.

Hinter der Ablehnung von Euro, EU und Fremdbestimmung durch „Brüssel“ bricht sich die Sehnsucht nach kultureller Identität Bahn, basierend auf einer Vorstellung von ethnischer Gleichheit und Reinheit. Kultur ist das Zauberwort, das die Abwehr-Reflexe legitimiert. Der französische Vordenker der Neuen Rechten, Alain de Benoist, hat vor Jahren das Recht auf kollektive kulturelle Verschiedenheit als intellektuelles Konzept ausgearbeitet. Homogene Völker in einer heterogenen Welt, nicht umgekehrt, so eine Parole der Neuen Rechten. Der Einzelne hat in dieser Weltsicht die Kultur seines Volkes zu bewahren. Jede Vermischung der Kulturen führe zum Volkstod, der zynisch als „Genozid“ gegeißelt wird. Der Zuwanderer wird zur Bedrohung der eigenen Kultur. Menschen mit anderer Kultur werden respektiert, aber nur, wenn sie bleiben, wo sie vermeintlich hingehören.

Wo sich Bürgertum und Rechtsextremisten treffen

Heute verbindet die Idee des Ethnopluralismus bürgerliche und rechtsextreme Heimatschützer in ganz Europa. In Leipzig rief eine CDU-Politikerin eine Petition gegen den geplanten Bau einer Moschee ins Leben. Am Ende trug ein NPD-Aktivist über 10000 Protest-Unterschriften ins Rathaus. Der bürgerliche Protest gegen die liberale muslimische Gemeinde beruft sich auf eine berechtigte Kritik am Islam und vermeintlich berechtigte Sorgen und Ängste der Bürger, kann aber nicht begründen, warum Religionsfreiheit nicht auch für Muslime gelten soll. Umgekehrt kann sich der undifferenzierte Anti-Islam eines Geert Wilders darauf berufen, westliche Werte wie Gleichberechtigung schützen zu wollen.

Für die nächsten 100 Jahre könne er sich nicht vorstellen, dass ein Minarett nach Sachsen passe, so ein Leipziger Krimi-Autor auf einer Podiums-Diskussion. Er artikuliert damit das diffuse Unbehagen der Alteingesessenen vor fremder Kultur. Eine Mehrheit der Ostdeutschen spricht sich in einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung dafür aus, die Religionsfreiheit für Muslime einzuschränken. In der bürgerlichen Islam-Kritik verschwimmen die Kategorien. Kritik an Erscheinungsformen des Islam dient als Rechtfertigung dafür, demokratische Grundrechte außer Kraft zu setzen. Die etablierte Ur-Bevölkerung, wer immer das auch sein mag, soll darüber entscheiden dürfen, wer und was zur Mehrheitskultur passt oder nicht.

Heimat – ein unheilvoller politischer Kampfbegriff

Europa erlebt die Renaissance von Heimat als politischer Kategorie. Heimat ist ein zutiefst persönliches Gefühl. Es speist sich aus Erfahrungen und Bindungen, Gerüchen und Bildern der Kindheit. Heimat ist der Ort von Familie, Küssen und Freundschaften, aber auch von Angekommen- und Aufgehobensein. Heimat nimmt von einem Besitz, mehr als dass man sie bewusst wählt. Heimat ist gewachsener Sehnsuchtsort und intimes Gefühl. Als politische Kategorie wirkt der Heimatbegriff unheilvoll, weil er Herkunft über alles stellt. Heimat müsse man sich verdienen, so eine Teilnehmerin der Leipziger Podiums-Diskussion in ehrfürchtigem Ton. Die Nachfrage, wer denn Heimat gewähre und bei wem man darum bitten müsse, Heimat empfinden zu dürfen, konnte sie nicht beantworten. Als Kampfbegriff wirkt Heimat exklusiv, schließt Zugewanderte aus und fordert Etabliertenvorrechte.

Die rechten Parteien Europas treffen mit ihrem aggressiven Wir-Gefühl einen Nerv. Das Europa der offenen Grenzen und schrankenlosen Begegnung hat seinen Reiz verloren. Die Faszination ist durch Gewöhnung verblasst. An die Stelle der aufklärerischen Vision ist permanente Krisen-Intervention getreten. Die Reaktion auf die Krise des Finanz-Systems ist nicht dessen Umbau, sondern die Rückbesinnung auf archaische Scheinsicherheiten. Angst war immer schon ein miserabler politischer Ratgeber. Gemessen am Wahlergebnis ist Deutschland glimpflich davon gekommen. Aber die Angst ist auch bei uns größer als das Wahlergebnis der AfD vermuten lässt. Sie demonstriert vor Asylbewerber-Heimen und tobt in Internet-Foren. Konservative und Sozialdemokraten wirken gleichermaßen ratlos. Für den Moment bleibt nur die Erkenntnis, dass Toleranz, Offenheit und gesellschaftliche Vielfalt europaweit auf dem Rückzug sind.

Dieser Beitrag wurde unter Alle Artikel, Politik: Welt, STREIT-BAR abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

3 Antworten auf Europas unheimliche Heimatschützer

  1. fufu sagt:

    Die Vielfalt sowohl der Arten als auch der Kulturen ist ein wertvolles Gut und muss bewahrt werden. Multikulti traegt dazu nicht bei, deshalb liegen Sie falsch.

    • Michael sagt:

      Das Recht auf kollektive Verschiedenheit beinhaltet laut Neuer Rechter auch die Pflicht, dieses Recht umzusetzen, also alles Heterogene und Artfremde auszustoßen. Das ist aber die Legitimation ethnischer Säuberungen bis hin zum Genozid, denn diese vermeintlich gefährliche Vermischung der Kulturen wird ja von Menschen begangen, konkret von Einwanderern. Der Ethnopluralismus bietet bei konsequenter Auslegung die Rechtfertigung von Genoziden. In einer demokratischen Gesellschaft ist aber niemand nur entmündigter Erfüllungsgehilfe zur Bewahrung einer statischen Kollektiv-Kultur. Vielmehr darf jeder Staatsbürger nach seiner Facon leben. Homogene und unvermischte Kulturen gibt es ebensowenig wie Rassen. Kulturen sind dynamische Konstrukte, sie entwickeln sich permanent durch neue Einflüsse weiter und sind nicht das Ergebnis von Zucht oder Abschottung. Der einzige unverhandelbare Wert ist die Würde des Menschen. Keine Idee von einer reinen Kultur, Rasse oder Volksgemeinschaft steht über dem Menschenrecht. Genau so ist es in den Verfassungen der westlichen Demokratien festgeschrieben.