Europas Scheindemokraten

Von Marion Kraske

Was haben wir, die Wähler, uns wichtig gefühlt, gebauchpinselt, vor einigen Wochen, als der Europa-Wahlkampf tobte und die sogenannten Volksparteien ihre Spitzenkandidaten präsentierten: Jean-Claude Juncker (als Kandidat der Konservativen) und Martin Schulz (Kandidat der Sozialdemokraten) lachten einem von gefühlt jedem zweiten Wahlplakat entgegen. Sie traten in Talkshows auf, die an die Elefantenrunden bei der Bundestagswahl erinnerten. Sie hielten bedeutsame Reden. Sie gingen ins große europäische Rennen, ganz so als ginge es um eine echte demokratische Entscheidung, die das Wahlvolk in den einzelnen Mitgliedstaaten da zu treffen habe.

Einige Wochen später wissen wir: Alles nicht so ernst gemeint. Das Ganze entpuppt sich als schlechter Scherz. Eine Scheinwahl. Eine europäische Fata Morgana.

Statt einer klaren Entscheidung für jenen Kandidaten, dessen Partei als stärkste Kraft aus der Wahl hervorgegangen ist (Juncker), nun also tagtäglich unrühmliche Winkelzüge, gieriges Gerangel und Geschacher um den höchsten Kommissionsposten. Und die hohen Tiere in der Europäischen Union, die angeblich verstanden hatten, die dann und wann Transparenz und Klarheit versprachen, um der zunehmenden Entfremdung der Europäer gegenüber dem europäischen Projekt entgegen zu wirken, verlieren sich wieder einmal in machtpolitischem Ränkespiel.

Zur Abwechslung mal normal?

Allen voran Großbritanniens David Cameron, der mit seiner strikten Ablehnung gegenüber Juncker (und damit auch gegenüber dem Wähler-Votum) einfach nur nervt. Hey, möchte man über den Kanal schreien: Könnt ihr da auf der Insel im Umgang mit Rest-Europa nicht einfach auch mal normal? Könnt ihr einfach mal NICHT quer schießen? Oder euch – als Mindestforderung – zur Abwechslung mal ein wenig an demokratische Spielregeln halten?

Ebenso ein Schrei in Richtung Berliner Kanzleramt: Hey, Kanzlerin! Was soll das Hin und Her, das stete Betonen der Unterstützung des siegreichen Kandidaten bei gleichzeitiger merkel-typischer Ein-bisschen-Hü-ein-bisschen-Hott-Manier? Was soll dieses lächerlich durchschaubare Eierspiel? Es ist nicht zu ertragen, dass die angeblich mächtigste Frau der westlichen Polit-Hemisphäre es nicht schafft, wenigstens ein Mal klar Stellung zu beziehen. Noch dazu bei einem so denkbar einfachen Thema: Es gab Wahlen, es gab eine Entscheidung des Wahlvolkes – und damit eine demokratisch legitimierte Lösung. Schluss aus.

Monarchistisches Gebaren

Statt dessen gebärden sich die einzelnen Protagonisten wieder einmal, als ob Europa ihnen gehöre. Nicht Wählerstimmen sollen über die Zukunft etwa der EU-Kommission entscheiden, sondern Macht und Einfluss der jeweiligen Regierungschefs. So war es schon einmal, urteilt der Historiker und Herausgeber des Europa-Blogs „Der Föderalist“, Manuel Müller, damals in vordemokratischen Tagen, als die europäischen Monarchen in ihren Reichen machten, was ihnen in den Kram passte. Dabei, so Müller, als müsse man den lieben Regierungsvertretern und Staatschefs der EU Nachhilfe in Demokratie geben, entscheiden in Demokratien die Bürger über die Exekutive, nicht das Staatsoberhaupt. Schon vergessen?

Dass man den Regierungschefs und anderen Politakteuren dieses Leitmotiv westlicher Demokratien überhaupt in Erinnerung rufen muss, macht das ganze traurige Ausmaß der Abgehobenheit der derzeit agierenden Scheindemokraten in Europa deutlich.

Kackendreiste Basarmentalität

Ganz besonders dreist mutet vor diesem Hintergrund auch der jüngste Vorstoß der Sozialdemokraten an: Sie wollen auf den Posten des Kommissionspräsidenten verzichten, machte Sigmar Gabriel vor einigen Tagen deutlich – ganz so, als hätten die Sozis einen natürlichen Anspruch auf den begehrten Posten. Wörtlich sagte Gabriel: „Die SPD wird einen Kommissar der Union akzeptieren – sofern Martin Schulz zum Präsidenten des Europaparlaments gewählt wird.”

Man kann es nett ausdrücken. Gabriel formulierte ein Junktim: Man verzichtet (wie ungemein generös) auf einen Posten (,der den Sozialdemokraten laut Wahlausgang eigentlich ja gar nicht zusteht) und fordert dafür ein paar andere Dinge (wie den Posten des EU-Parlamentspräsidenten, die Möglichkeit, die Stabilitätskriterien zu perforieren und – als wäre das noch nicht genug – zusätzlich noch ein paar andere hochrangige Posten im Rat und in der Kommission).

Vergessen wir es, nett zu sein. Denn eigentlich möchte man lieber wieder schreien, diesmal in Richtung Sozialdemokratie: Hallo, geht´s noch? Wie verblendet muss man sein, um Wahlergebnisse so komplett zu ignorieren und statt dessen eine derart kackendreiste Basarmentalität an den Tag zu legen?

Gabriels Vorstoß erscheint umso schlimmer, als er Tage VOR der Europawahl wortgewaltig noch vor einer riesigen “Volksverdummung” warnte.

Die schönen Worte aber – wieder einmal alle nichts wert. Die Wahl ist vergessen, das Wahlergebnis sowieso. Und die Volksverdummung läuft in vollem Gange.

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