Eine neue National-Hymne für die USA

Von Michael Kraske

Er hat es wieder getan. Bruce Springsteen ist ein Wiederholungstäter. Jetzt hat der Seismograph amerikanischer Befindlichkeiten mit „We take care of our own“ eine neue Hymne zur Lage der Nation geschrieben, die mit wuchtigem Schlagzeug und emphatischer Melodie so kraftvoll tönt wie einst sein „Born in the USA“. Und so wie Ronald Reagan versuchte, die bittere Abrechnung eines Vietnam-Veteranen als patriotische Kampagnen-Melodie zu vereinnahmen, diskutieren sich Amerikas Kolumnisten wieder die Köpfe heiß, wo der Chronist des amerikanischen Traums und Albtraums das Land im beginnenden Präsidentschaftswahlkampf verortet. Der Kolumnist der LA Times sieht schon wieder nationalen Ruhm und den Stolz der Amerikaner beschworen, während subtilere Beobachter die Diskrepanz zwischen dem amerikanischen Ideal und der bitteren Realität heraus hören. In der Rezeption des Sängers spiegelt sich die ganze Zerrissenheit einer Nation, die sich nicht mal über eine allgemeine Krankenversicherung verständigen kann.

Springsteen hat die jüngste Geschichte Amerikas immer wieder in düsteren Geschichten erzählt. Die Orientierungslosigkeit eines Soldaten im Irak („Devils and Dust“), der sich fragt, ob er nicht das, was er liebt, tötet, wenn er tut, was er tun muss, um zu überleben. Die Lügen der Bush-Jahre, die er im grandiosen „Magic“ als großen Trickbetrug brandmarkt. Darin entwirft er ein apokalyptisches Szenario, in dem am Ende Leichen in den Bäumen hängen. Eine Metapher auf das Amerika, das Guantanamo und Abu Ghuraib zuließ.

Und dann stieg dieser scharfe Beobachter amerikanischer Zustände zu Barack Obama auf die Wahlkampf-Bühne und gab ihm mit dem poppigen „Working on a dream“ romantische Hoffnung mit auf den Weg. Damit verschreckte er endgültig die Konservativen unter seinen Anhängern, die er bereits mit „American Skin“ vor den Kopf gestoßen hatte, wo er beschrieb, wie der Schwarze Amadou Diallo von 41 Polizeikugeln durchsiebt wurde. Man kann dafür getötet werden, dass man in seiner amerikanischen Haut lebt, so sein wütender Protest gegen Rassismus, der das fundamentalistische Amerika schäumen ließ. Der erste schwarze Präsident war schließlich für das tolerante Amerika der Beginn einer neuen Zeitrechnung. Springsteen hat für Obama seine künstlerische Haltung strapaziert. Sein neuer Song ist auch Ausdruck der Ernüchterung über den Präsidenten, der dem liberalen und toleranten Amerika Hoffnung versprach und nicht mal sein Versprechen einlöste, die nationale Schande von Guantanamo zu beenden.

Springsteen beschreibt in seinem neuen Lied die eigene Desillusionierung, sein Klopfen an der Tür der Macht. Die Straße der guten Absichten sei verdörrt. Er spielt auf Obama und Bush an und den Hurricane Katrina, der mittlerweile zur Metapher für Staatsversagen geworden ist. Wir brauchten Hilfe, aber die Kavallerie blieb zu Hause, so der Sänger. Über die ernüchternde gesellschaftliche Wirklichkeit stellt er eine Breitband-Botschaft: „We take care of our own, wherever this flag´s flown“. Man kann daraus die konservative Forderung nach weniger Staat heraus lesen oder die bittere Erkenntnis, dass man in den USA auf sich selbst gestellt ist, weil selbst ein Minimum an Gemeinsinn von Hardlinern wie Newt Gingrich schon als Kommunismus diffamiert wird.

Wie viele große Protest-Songs ist auch „We take care of our own“ subtiler als die einfachen Bilder und hymnischen Refrains suggerieren. Die Euphorie des Refrains wird gebrochen durch eine zerbrechliche, fast schon verzweifelte Stimme. Diese Stimme fragt, was aus dem großen Versprechen geworden ist „from sea to shining sea“. Springsteen zitiert damit aus dem traditionellen Volkslied „America the beautiful“. Obama hatte in seinen „yes we can“-Reden auf diese pathetische Phrase Bezug genommen. Springsteen haut Obama und Amerika dieses Versprechen um die Ohren, beschwört einen verlorenen Gemeinsinn, der uneingelöster Teil des amerikanischen Traums ist. Seine neue Hymne ist der trotzige Realismus einer post-messianischen Ära, in der der Heilsbringer Obama entzaubert ist und der Streit erneut entbrannt ist, was Amerika ausmacht. Springsteens neues Lied ist die Erinnerung an das, was Amerika sein will, aber nicht ist. Ein Weckruf mit der Botschaft: Wir sind das Volk.

Die US-Gesellschaft ist tief gespalten und der Vorwahlkampf lässt erahnen, dass eine ideologische Schlacht bevorsteht, kein ernsthafter Dialog. Bruce Springsteen ist dem konservativen Amerika längst verhasst, ein republikanischer Politiker hat sogar mal zum Boykott seiner Musik aufgerufen. Aber er ist mittlerweile auch eine nationale Ikone, dessen Worte beachtet werden. Nicht zuletzt, seit er dem wunden Amerika mit „The Rising“ Hoffnung nach 9/11 machte. Für März hat er sein neues Album „Wrecking Ball“ angekündigt. Darin wird er seinem Land erneut den Spiegel vorhalten. Mit Titeln, die „This depression“ heißen oder „Death to my hometown“. Ein Ohrenzeuge beschreibt das neue Werk als brutale Beschreibung amerikanischer Zustände. Das Album sei ein musikalischer „Arschtritt“. Mit seiner E Street Band wird er in Kürze durch die Stadien ziehen. Er wird wieder juxen, schreien, flüstern, predigen, beschwören. Und er wird seinem Land wieder in den Hintern treten.

Dieser Beitrag wurde unter Alle Artikel, Politik: Welt, STREIT-BAR abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.