Die vernagelte Republik: Mas Integracion!

Von Marion Kraske

50 Jahre ist es nun her, dass Deutschland mit der Türkei ein Abkommen über die Anwerbung türkischer Arbeitskräfte abgeschlossen hat. Das war im Oktober 1961. Und sie kamen in Scharen, diese für viele so hinterweltlerisch anmutenden „Kanacken“. „Gastarbeiter“ wurden sie genannt, die irgendwann, nach getaner Arbeit, möglichst unauffällig und geräuschlos das Land wieder verlassen sollten.
Das war die Idee.
Doch sie blieben, und mit ihnen zogen auch andere Fremde ins Land die Griechen, die Italiener („Itaker“) und ihre arbeitswilligen Brüder aus Jugoslawien, die „Jugos“. Auch meine Mutter ist so eine „Jugo“: Geboren im Armenhaus des damaligen südslawischen Vielvölkerreiches, in Bosnien-Herzegowina, kam sie Mitte der sechziger Jahre nach Deutschland. Wie viele andere wollte sie für die vielköpfige Familie daheim etwas Geld verdienen, um dann, nach einiger Zeit, zurückkehren, zu ihren Geschwistern, zu ihren Eltern, ins Land der würzigen Cevapcici und des selbstgebrannten Sliwowitz. Doch das Leben hielt eine andere Dramaturgie für die junge Frau bereit: Sie verliebte sich in einen jungen Deutschen, einen gebürtigen Ostpreußen. Die beiden heirateten, bekamen Kinder. Kinder, die, wenn man nicht ausdrücklich darauf hinweist , heute keinem mehr als Deutschjugos oder Jugodeutsche auffallen – man nennt dieses Untergehen kultureller Unterschiede wohl Integration. Die junge Bosnierin wurde auch höchstoffiziell Deutsche, eine echte „Schwabo“, wie sie in ihrer Heimat nunmehr genannt wurde, erhielt den deutschen Pass, kochte Königsberger Klopse, Schweinebraten und grüne Götterspeise, und führte, bei aller Anpassung, Zeit ihres Lebens doch einen unerbittlichen Kampf gegen die deutschen Artikel. Ihr Lebenslauf ist exemplarisch für Millionen Migranten, die in Deutschland eine neue Heimat fanden und dem Land seither ein buntes, vielfältiges Antlitz verleihen.
Wenn sich die Bundesrepublik dieser Tage bewusst wird, dass sie eine Zuwanderungstradition hat, dann ist das immerhin ein minimaler Fortschritt. Zu mehr aber reicht es nicht. Jahrzehntelang arbeitete sich die politische Elite manisch daran ab, zu negieren, was seit langem gesellschaftliche Realität war. In der Ära des großen Europäers Helmut Kohl hieß, munter an den Fakten vorbei fabulierend: „Deutschland ist kein Einwanderungsland“. In der öffentlichen Debatte verkamen Zuwanderung und Migration zu lausigen Schimpfwörtern, Einwanderer wurden wahlweise zu Sozialparasiten oder gedungenen Mafiosi erklärt. Und auch heute noch tut sich Kanzlerin Merkel schwer, den gesellschaftlichen Entwicklungen Rechnung zu tragen. Auf einem CDU-Parteitag erklärte sie im Herbst 2010 mit geballter Faust, Multi-Kulti sei tot. Das ist, mit Verlaub, Humbug. Auf welchem Planeten lebt die Dame? Auf welchem ihre applaudierenden Parteigenossen? Denn selbstverständlich ist Deutschland ein multi-kulturell geprägtes Zuwanderungsland, in dem unterschiedlichste Ethnien aufeinander treffen, sich fröhlich mischen – die Zahl der binationalen Ehen, so wurde dieser Tage offiziell vermeldet, steigt. Multi-Kulti ist also keine Phantasterei linker Utopisten. Es ist viel profaner: Multi-Kulti ist gelebte Wirklichkeit. Selbst der Deutsche Fußballbund wirbt inzwischen mit seiner sehr erfolgreichen interkulturellen Truppe: Mas Integraction, lautet die Losung des Kickerbundes. Mehr Integration! Genau an diesem Willen zur Einbindung der Menschen mit fremden Wurzeln aber mangelt es in weiten Teilen der deutschen Gesellschaft noch immer. Laut einer OECD-Studie haben Migranten-Kinder selbst bei gleicher Qualifikation nach wie vor schlechtere Karten, einen Job zu finden. Das ist ein Armutszeugnis. Wer nur, fragt man sich angesichts solcher Studien, ist denn nun integrationsunfähig? Lange wurde der Schwarze Peter ausschließlich den vermeintlich nicht eingliederungswilligen Zuwanderern zugeschoben. In dieser Einseitigkeit grenzt das aber an Selbstbetrug. Der aber könnte Deutschland langfristig teuer zu stehen kommen: Denn gut ausgebildete Türken, allen voran Akademiker, verlassen bereits scharenweise das Land, das sie als sozial vernagelt erleben, wo ihre Herkunft immer noch mehr zählt als ihre Qualifikation. In der Türkei mit ihrer boomenden Wirtschaft werden die „Rückkehrer“ mit Kusshand genommen, weil man gerade ihre binationalen Potenziale – im internationalen Business ein handfester Wettbewerbsvorteil – schätzt und zu nutzen weiß. Während die jungen Türken am Bosporus steile Karriere machen, versuchen deutsche Unternehmen hierzulande vergeblich, ihre offenen Stellen mit Fachkräften zu besetzen. Deutschland paradox. Der Politik aber fehlt es an Mumm und Einsicht, den Schalter umzulegen und lautstark um Besserqualifizierte zu werben: Kommt her und bleibt hier, die deutsche Gesellschaft braucht euch. Wir haben verstanden.
Doch das Signal kommt nicht. Statt dessen stellt sich ein mittlerweile medial zum Oberyoda stilisierter Altkanzler Schmidt hin und gesteht zwar Versäumnisse der deutschen Politik in Sachen Integration ein, auch seine eigenen, beharrt aber darauf, dass es wohl ein Fehler gewesen sei, die Gastarbeiter einst überhaupt ins Land geholt zu haben. Wann nur, schickt sich Deutschland an, aus den Fehlern der Vergangenheit endlich einmal die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen? Den Kampf um die besten Köpfe jedenfalls werden wir so nicht gewinnen.

Dieser Beitrag wurde unter Alle Artikel, Politik: Deutschland, STREIT-BAR abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

2 Antworten auf Die vernagelte Republik: Mas Integracion!

  1. Jonas Weber sagt:

    “Türken, allen voran Akademiker..”
    Wieviel sollen das sein? 10,vielleicht 100?
    Wohlgmerkt spreche ich nur von denen,welche die deutsche Sprache beherrschen!
    Ich erlebe sie täglich im Betrieb,das Land ist voll von solchen Gestalten die ihre Schulabschlüsse mit objektiven Maßstäben nie hätten bekommen dürfen-doch wer braucht sie wirklich?Richtig;
    niemand.Und sollte es irgendwann einmal soweit sein daß man sie doch braucht,wäre dies lediglich ein Zeugniss dafür,daß wir dem Ende nahe sind.

  2. Marion sagt:

    Lieber Leser, Polemik bringt da mal wieder NIX. Die Fakten sprechen für sich: Wenn Deutschland unter Fachkräftemangel ächzt und gleichzeitig gut ausgebildete Türken in die Heimat ihrer Eltern zurück gehen, ist das nicht nur dämlich, sondern auch volkswirtschaftlich betrachtet: Humbug. Dass die Zahlen bei den Abschlüssen verbesserungswürdig sind, steht in der Tat auf einem anderen Blatt. Die Existenz allerdings von gut oder best ausgebildeten Menschen mit Migrationshintergrund zu negieren, wie Sie es suggerieren wollen, entbehrt leider jeder Sachkenntnis.