Die vergessene Freiheit: Zum politischen Handeln in der Spähaffäre

Von Ursula Birsl & Samuel Salzborn

Man sollte sich nicht wundern, dass Geheimdienste alle verfügbaren technischen Mittel zur Informationsbeschaffung anwenden. Denn es entspricht ihrer Eigenlogik, so zu agieren. Und, so traurig es ist: dazu gehört durchaus auch, Gesetze zu unterlaufen. Was hingegen nicht der Eigenlogik entspricht, nämlich der des Politischen, ist, zu tolerieren, dass sich Geheimdienste der politischen Kontrolle entziehen. Denn der Souverän ist in einer Demokratie das Volk, also die Bürgerinnen und Bürger – und nicht eine Behörde.

Insofern sind in der Affäre um die Datenausspähprogramme nicht die Geheimdienste das vorrangige Problem, sondern es ist die Rolle der Bundesregierung. Denn diese ist, vermittelt über das Parlament, mit der Wahrnehmung der Souveränitätsrechte aller Bürger/innen beauftragt, sie hat diese nicht nur in einem positiven Sinn (vor Angriffen durch Dritte) zu schützen, sondern auch in einem negativen Sinn: vor dem Eingriff in ihre elementaren Freiheitsrechte. Was die Bundesregierung aber gegenwärtig tut, ist nicht weniger als die Verletzung des Wertes der Freiheit.

Die Freiheit ist vielleicht das zentralste Demokratieprinzip. Ideengeschichtlich fußen die demokratischen Verfassungen der Gegenwart auf emanzipatorischen Kämpfen, in deren Zentrum die Erringung von Freiheit für das Individuum stand. Ohne Freiheit keine Demokratie. Und insofern kann auch gelten, dass es ohne das „Recht der Freiheit“ (Axel Honneth) keine individuellen Entfaltungschancen, keinen Schutz vor staatlichem Zugriff und keine Chancen, sich autonom eine politische Meinung zu bilden und am politischen Willensbildungsprozess teilzuhaben, gibt. Wird das Recht der Freiheit ausgehebelt, kann sich keine politische Öffentlichkeit entfalten und politische Herrschaft entzieht sich der Kontrolle. Am Grad der Freiheit misst sich also die Qualität der Demokratie. Wodurch wird nun der Wert der Freiheit in der aktuellen Affäre unterminiert? Zwei Beispiele.

Der Verlust von Herrschaftskontrolle

Die Bundesregierung gibt vor, von den Aktivitäten der ausländischen Geheimdienste nichts gewusst zu haben. Was wiegt nun schwerer: Wenn die Bundesregierung tatsächlich nichts weiß? Oder wenn sie lediglich den Eindruck erwecken will, nichts gewusst zu haben? Beide Szenarien sind demokratiepolitisch bedenklich. Im ersten Szenario hätte sie weder die Kontrolle über geheimdienstliche Aktivitäten auf ihrem staatlichen Territorium, noch über die nachgeordneten Behörden. Damit stellte sie ihre Regierungsfähigkeit und ihre öffentliche Verantwortung in Frage. Im zweiten Szenario verletzte sie ihre politische Rechenschaftspflicht.

Sie entzöge sich gezielt ihrer Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und der Bevölkerung. Diese hätte keine Möglichkeit, sich über das Handeln der Regierung ein Bild zu machen und dem eigenen politischen Willen gegenüber ihren Repräsentanten Ausdruck zu verleihen – etwa beim Gang zur Wahlurne. Dies wiegt insofern so schwer, als man argumentieren kann, dass geheimdienstliche Aktivitäten freilich nicht im Vorhinein öffentlich gemacht werden können (so würden sie sich selbst ad absurdum führen). Allerdings müssen alle geheimdienstlichen Aktivitäten im Nachhinein für den Souverän, also die Bürgerinnen und Bürger, prinzipiell prüfbar und damit bewertbar sein. Prüfbar im parlamentarischen Rahmen, aber auch prüfbar in der Arena der öffentlichen Auseinandersetzung.

Sicherheit gegen Freiheit

Durch das flächendeckende Ausspähen persönlicher Internetdaten wird das informationelle Selbstbestimmungsrecht und damit ein zentrales negatives Freiheitsrecht verletzt. In einem demokratischen Rechtsstaat ist es dabei unerheblich, ob Daten von Staatsangehörigen oder Angehörigen anderer Länder ausgespäht werden. Denn Freiheitsrechte sind ihrem Anspruch nach universale Menschenrechte.

In den vergangenen Wochen wurde – etwa vom Bundesinnenminister – argumentiert, dass Berichte der NSA, die auf Erkenntnissen aus der Datenerfassung beruhen, Terroranschläge in Deutschland vereitelt hätten. Eine Lesart dieser Argumentation ist: der Zweck legitimiert die Mittel. Damit wird jedoch Sicherheit einseitig gegen Freiheit in Stellung gebracht. Ohne Frage ist es ein ebenso wichtiges Prinzip der Demokratie, in Sicherheit leben zu können. Denn Sicherheit ist die wesentliche Voraussetzung für Demokratie.

Und: Beide Demokratieprinzipien bedingen sich, ohne Sicherheit keine Freiheit, wobei der Staat für Sicherheit zu sorgen hat. Aber: Sicherheit und Freiheit stehen eben auch in einem Spannungsverhältnis. Sicherheit ist kein Wert an sich, sie muss – und das ist ihre zentrale demokratische Dimension – Freiheit ermöglichen und absichern. Es muss also eine Balance zwischen den Demokratieprinzipien gefunden und immer wieder neu austariert werden – etwa über rechtsstaatliche Regelungen und über öffentliche Auseinandersetzungen zur Sicherheitspolitik.

Es bedarf der beständigen und immer wieder neuen gesellschaftlichen Reflexion, was Freiheit in der Demokratie bedeutet. Wer aktuell aber nur über Sicherheit spricht und die Freiheit durch Schweigen vergisst, kann letztere zum Zweck der ersteren opfern. Sicherheit ohne Freiheit wäre allerdings eines gewiss nicht mehr: demokratisch.

Prof. Dr. Ursula Birsl ist Professorin für Demokratieforschung an der Philipps-Universität Marburg. Prof. Dr. Samuel Salzborn ist Professor für Grundlagen der Sozialwissenschaften an der Georg-August-Universität Göttingen.

Der Text ist am 7. August 2013 in der Frankfurter Rundschau erschienen.

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