Die Nussschalen der Politik

Von Marcus Müller

Wahlkämpfe galten früher als die Hochzeiten der Politik: Es entscheidet sich, wer was kann und wofür er/sie und die Partei steht. Entweder gilt diese Weisheit der professionellen Politikbeobachter nicht mehr, oder es steht noch schlimmer um die Politik als man bisher schon fürchtete. In Schleswig-Holstein hat man sich in einen Schlafwagen gelegt und die Auseinandersetzung einfach verpennt. Und bei der zu Ende gehenden Wahl in Nordrhein-Westfalen jetzt von einem End-Spurt zu sprechen, wäre eine beleidigende Anleihe beim Sport.

Abzulesen war das ganze Elend schon an den Wahlslogans. Die sollen natürlich nicht ganze Parteiprogramme runterleiern – aber ein bisschen Aussage wäre doch auch nicht schlecht. Nehmen wir die großen Parteien: „Für unser Lieblingsland“ plakatierte die SPD in Schleswig-Holstein, und Spitzenkandidat Torsten Albig nannte das in einem Interview ernsthaft „hochpolitisch“. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass man ihm über die Glatze streichen und „ja, ja“ sagen sollte.

In Nordrhein-Westfalen fand Hannelore Krafts SPD den Slogan „NRW im Herzen“ so doll, dass er, neben der Bezeichnung der SPD als Currywurst zur Hauptaussage wurde. Oh, wie schön, beziehungsweise: witzig, witzig!

Natürlich ist damit nicht nichts gesagt. Aber es zeigt den Willen, eben keine politische Aussage zu machen, auf ein diffuses Gefühl zu setzen und einen netten Eindruck bei der Oma zu hinterlassen. Und da wundern sich die professionellen Politikbetreiber dann über maue Wahlbeteiligung und die aufsteigende Protestpartei Piraten?
Für ihre eigene Dämlichkeit bekam die CDU in Nordrhein-Westfalen immerhin sofort den Spott gratis, als sie „Wir haben die Kraft“ plakatierte, die ja, soviel hätte bekannt sein können, doch in herausgehobener Stelle der gegnerischen Partei tätig ist.

Gut waren auch diese Wahlkämpfe immerhin für die kleinen, eher unbeabsichtigt zu Wasser gelassenen Nussschalen, in denen sich die ganze fragwürdige Haltung zeigte. Wie sagte SPD-Mann Albig im Interview mit der SZ? Er wolle ein gutes Gefühl für das Land erzeugen: „Andere wie der Grüne Robert Habeck diskutieren lieber an jedem Ort die Lösung des Haushaltsproblems en Detail. Das ist auch spannend, aber das wird die Aufgabe nach der Wahl sein.“

Über Inhalte sprechen? Ja, was für eine groteske Idee! Albig möchte also alles lieber, als mit den Bürgern seines schönen Landes vor der Wahl über den Haushalt reden? Besser ist selten ausgedrückt worden, dass man sich eigentlich nicht so gerne von Wählern belästigen lässt.

Auch Norbert Röttgen hat offenbar tief in sich das Gefühl, dass Wähler das ganze Polit-Geschäft doch eher mühsam machen. Erstaunlicherweise ist der oft als „Muttis Klügster“ – also Kanzlerin Angela Merkels Primus am Kabinettstisch–Bezeichnete ein Meister im plumpen Verplappern. Anders als bei Albigs seltsamen Aussagen, ist Röttgens Bedauern darüber, dass er nicht gleich von seiner CDU zum Ministerpräsidenten bestimmt werden kann, immerhin genüsslich in den Medien zitiert worden. Es gibt sie also doch noch, die kleinen Momente der Wahrheit im Wahlkampf. Da sie allerdings unfreiwillig zustande kommen, nähern sich die Wahlkämpfe eher den Tiefpunkten der politischen Auseinandersetzung. Über Politikverdruss wundere sich da bitte niemand mehr.

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