Die konservative Dauerrevolution

Von Michael Kraske

Alle wissen: Die neue CDU ist liberal und undogmatisch. Wirklich?

Es ist mittlerweile konsensuales Ritual geworden, sich über den Zustand der FDP und der SPD hämische Sorgen zu machen, was derzeit aufgrund des Spitzenpersonals billige Lacher beim politisch interessierten Publikum garantiert. Erstaunlicherweise sorgt sich niemand um den Zustand der CDU. Angela Merkel hat nicht nur ihre Partei und den politischen Betrieb entpolitisiert, indem sie sich beharrlich und erfolgreich weigert, zu wichtigen Themen Stellung zu beziehen oder auch nur eine Haltung erkennen zu lassen. Diese Strategie scheint vielmehr auch zur Folge zu haben, dass die politische Öffentlichkeit Merkel insofern auf den Leim geht, dass ihr scheinbar rein technokratischer Politikstil die Abwesenheit von Ideologie bedeute. Die CDU eine ideologiefreie Partei der Mitte? Wer´s glaubt wird mit Frau Merkel selig.

Es scheint sich von selbst zu verstehen, dass die CDU von heute zwar ein wenig zahm und weich daherkommt, weil es keine personifizierten Stahlhelme mehr wie Kanther oder Dregger gibt, das schon. Die CDU erscheint ein wenig trutschig und spießig, aber auf keinen Fall mehr konservativ. Immer mal wieder wird das von jemandem bejammert. Schließlich sind die letzten Exemplare dieser scheinbar aussterbenden Spezies wie Koch oder Merz lieber großes Geld verdienen gegangen. Kaum einer nimmt aber zur Kenntnis, dass hinter dem butterweichen Wischiwaschi-Kurs der CDU-Führung beinharte rechtskonservative Mobilisierung betrieben wird. In der CDU kann man gegen Schwule hetzen, die Integration verschiedener Herkünfte als Multi-Kulti-Irrsinn denunzieren und offen Nationalismus propagieren. Die Akteure dieser konservativen Dauerrevolution stehen nicht in der ersten Reihe, aber sie treiben die Partei vor sich her. Sie verhindern, dass die CDU in wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen in der Gegenwart ankommt, und sie schüren auf perfide Weise Vorurteile gegen Minderheiten, für die das Klima seit Jahren ohnehin rauer wird.

Als Reaktion auf die Berliner Erklärung der CDU, mit der sich die Partei einen modernen Anstrich geben wollte, haben besorgte Rechtskonservative die Aktion „linkstrend-stoppen“ ins Leben gerufen. Wer das noch nie gehört hat, reibt sich verwundert die Augen. Wurde nicht gerade erst die gefährlichste Terrorbande seit der RAF enttarnt? War der Nationalsozialistische Untergrund nicht zufällig eine Nazi-Bande? Versuchen nicht überall im Land Neonazis national befreite Zonen zu schaffen? Man kann umgekehrt fragen: Oder werden überall im Land rote Fahnen gehisst und kleine Räterepubliken ausgerufen? Der Befund müsste selbst für Verblendete eindeutig ausfallen. Müsste. Doch all diese so schmerzlich einzugestehenden Erkenntnisse über die deutsche Gegenwart perlen an den Eminenzen am rechten Rand der CDU ab. Sie behaupten den Endsieg linker Gesellschaftspolitik und beklagen eine große Verschwörung, wo alle Journalisten einem linken Meinungs-Mainstream zugerechnet werden, der durch political correctness-Terror die letzten Aufrechten in ihrer freien Meinungsäußerung beschneide. Zu den letzten Aufrechten gehören die Sarrazins dieses Landes. Und sie selbst natürlich. In diesem paranoiden Weltbild feiert der unheilvolle Carl Schmitt mit seinem Freund-Feind-Blödsinn ein unlustiges Revival.

Ein Lieblingswort der konservativen Dauerrevolutionäre ist der Terror. Und Terror kommt immer von Links. Da ist der Tugend-Terror, der Öko-Terror und der Meinungs-Terror. Kennzeichen des von Rechtsauslegern ausgemachten Terrors ist, dass keinem dabei auch nur ein Haar gekrümmt wird. Den Nachweis, dass der unterstellte Tugend-Terror reale Opfer produziere, bleiben sie schuldig. Was sie eigentlich meinen ist, dass etwa die krude Eugenik des Herrn Sarrazin nicht unwidersprochen bleibt. Das ist begrüßenswerte Normalität in einer pluralistischen Gesellschaft, kritisierte Rechtskonservative sehen sich aber durch massive Kritik hingerichtet. Drunter machen sie es nicht. Schließlich hat man seinen Ernst Jünger unterm Kopfkissen.

Schuldig bleiben die selbsternannten letzten Konservativen dagegen Aussagen zu dem ganz realen Terror von Mundlos und Böhnhardt und deren Brüdern im Geiste, die getrieben von Ausländerhass und Sozialdarwinismus Menschen in diesem Land ermorden und sogar am Boden liegende Mütter treten und halb tot schlagen. Aber Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Hass auf Schwule und Obdachlose ist nicht die Baustelle dieser konservativen Terror-Jäger. Sie jagen ausschließlich Linke. Und links ist alles, was nicht tickt und denkt wie sie selbst.

Die Website der Linkstrend-Stopper liest sich wie das Manifest einer neuen rechtspopulistischen Partei. Da wird gegen die „Homo-Ehe“ gewettert und gegen eine „gescheiterte Multi-Kulti-Integrationspolitik“ polemisiert. Man warnt vor der Gefahr der Islamisierung. Dem in Schimpf und Schand verabschiedeten Ex-Präsidenten Wulff rufen sie noch hinterher, dass der Islam selbstredend nicht zu Deutschland gehöre. Dem verhassten Multi-Kulti-Gedöns setzt man eine „klare Leitkultur“ entgegen, wobei wie immer offen bleibt, was genau das denn ein soll. Um 12 Uhr Mittag zu essen? Oder deutsche Texte zu angloamerikanischen Hip-Hop-Beats zu machen? Und wer hat überhaupt die Leitung dieser Leitkultur inne und darf festlegen, was denn deutsch und was undeutsch ist. Aber mit philosophischen Fragen gibt sich die Abteilung Frontalangriff der Christdemokraten nicht ab.

Das alles könnte man als Aufschrei der Gedemütigten und Kaltgestellten abtun, aber die Polemik und das Kampfgetöse sind viel wirkmächtiger als man vermuten könnte. Sie verkleistern den Blick auf die Realität im Land, sie setzen den Ton und bestimmen die Richtung mit. Die Zustände durch die rechtskonservative Brille zu betrachten ist christdemokratischer Regefall, und der hat gravierende Folgen. Vor kurzem haben die Wissenschaftler Oliver Decker, Elmar Brähler und Johannes Kiess im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung die Studie „Die Mitte im Umbruch – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland“ veröffentlicht. Darin weisen sie einmal mehr ein erschütternd hohes Maß an Ausländerfeindlichkeit, Chauvinismus, Sozialdarwinismus, Antisemitismus, Befürwortung einer rechten Diktatur und Verharmlosung der Nazi-Diktatur nach.

Die Autoren liefern auch alarmierende Befunde für einen signifikanten Ost-West-Unterschied. Während im Westen immerhin 7,3 Prozent der Befragten ein geschlossen rechtsextremes Weltbild haben, sind es im Osten beunruhigende 15,8 Prozent. Obwohl im Osten deutlich weniger Ausländer leben, ist die Ausländerfeindlichkeit hier sehr viel stärker ausgeprägt. Eine Mehrheit der Ostdeutschen, nämlich 53,9 Prozent, ist der Ansicht, dass Ausländer nur hierher kommen, um unseren Sozialstaat auszunutzen. Im Westen teilen zwar 31,4 Prozent diese Ansicht, aber das sind mehr als 20 Prozent weniger als im Osten. Es gibt also ein empirisch nachgewiesenes Ost-Problem in Bezug auf Toleranz, Rassismus und der Haltung zu Menschen, die man als fremd und bedrohlich wahrnimmt.

Der sächsische CDU-Innenminister Markus Ulbig fand jedoch nicht das ermittelte Ausmaß an Ausländerfeindlichkeit und rechtsextremer Gesinnung erschreckend, sondern echauffierte sich lediglich darüber, dass eine ganze Region durch die Zahlen an den Pranger gestellt werde. Seit Jahren ist Sachsen Spitze, was die Zahl von Nazi-Kameradschaften und Nazi-Konzerten angeht, aber nach wie vor weigert sich der Minister, einen Zusammenhang zwischen den grassierenden rechtsextremen Einstellungen und den rechtsextremen Taten herzustellen. In einer vermeintlich toleranten Großstadt wie Leipzig werden Schwarze von Türstehern abgewiesen und ausländische Studenten von Nazis angegriffen. Für die Zahlen gibt es also Taten. Der Minister weiß das. Er weiß, dass Neonazismus in einigen Regionen mehrheitsfähige Jugendkultur ist und sächsische Städte seit Jahren von Nazi-Schlägern terrorisiert werden, ohne dass er, Ulbig, geeignete Maßnahmen ergriffen hätte, dies zu unterbinden. Doch anstatt das ganze Ausmaß der Gefahr offen beim Namen zu nennen und endlich eine Strategie vorzulegen und umzusetzen, wird die Wirklichkeit geleugnet. Ganz so, als hätten die Mitarbeiter der Studie selbst die ausländerfeindlichen Antworten gegeben. Was dem eigenen Selbstbild vom heimeligen Vaterland widerspricht, kann nicht stimmen. Das ist die Strategie vom Kleinkind, das die Augen zu macht und glaubt, es sei unsichtbar. Das ist selbst für sächsische Verhältnisse bodenlos.

Einblicke, wie am christlich-rechten Rand gedacht wird, liefern regelmäßig die Broschüren von Peter Helmes, dem langjährigen Geschäftsführer der Jungen Union, der im Namen einer Splittertruppe namens Die Deutschen Konservativen e.V. aus allen publizistischen Rohren feuert. Eines dieser Pamphlete hat er mit „Die blutigen Ikonen der Grünen – Terroristen, Kommunisten und Atheisten“ betitelt. Darin unterstellt er den Grünen, dass ihre Vorbilder und Ikonen Mao, Stalin und Fidel Castro seien. Die Grünen werden in die Nähe eines nicht näher ausgeführten Linksradikalismus gerückt, gibt ja schließlich genug Grüne mit kommunistischer Vergangenheit in einer K-Gruppe. Helmes wäre gern ein deutscher McCarthy, und so hat er auch gleich einen neuen Extremismus für die Grünen erfunden, den er „Ökologismus“ nennt oder schlicht „grünen Wahn“.

Helmes entblödet sich nicht, die Nationalsozialisten zu einer linken Bewegung umzudeuten, schließlich trugen sie ja das Wort Sozialisten im Namen. Als Kronzeugen zitiert er ausgerechnet den Demagogen Joseph Goebbels. Um das Feindbild „Linke“ zu pflegen ist dem ehemaligen Spross der Jungen Union jedes Mittel Recht. Auch um den Preis der Aufgabe jeder argumentativen Redlichkeit. Antisemitismus, Führer-Staat und völkischen Rassenwahn zu einem linken Projekt zu deuten, dazu braucht es gandenlose Unkenntnis oder einen besorgniserregenden Grad an Verblendung.

Die krude Schrift ist kurz nach Auffliegen des NSU-Terrors erschienen. Doch zum offenen Nazi-Terror von rechts findet sich kein Wort. Stattdessen beschwert sich Helmes über die grüne Haltung, wonach es zwar gut sei, „gegen Rechts“ vorzugehen. Das einseitige Vorgehen gegen Rechts prangert er scharf an. „Und was ist gegen links?“ fragt Helmes. Diese Haltung ist christdemokratisches Mantra. Wann immer über Rechtsextremismus und neue Nazis gesprochen wird, stellen sie in der CDU besorgt fest, dann müsse man aber auch gegen die Linken vorgehen. Gegen welche genau spielt keine so große Rolle. Während Neonazis und Sympathisanten versuchen, die kulturelle Hegemonie in ihrer Region zu erobern und mit brutaler Gewalt Jagd auf Opfer machen, übt sich die CDU ritualisiert in Scheingefechten gegen einen unsichtbaren linken Feind. Der christdemokratische Vorsitzende des sächsischen NSU-Untersuchungsausschusses erklärte, er habe durch die Arbeit im Ausschuss gelernt, dass die Rechten so schlimm seien wie die Linken. Das muss sich für die Angehörigen der Mordopfer des NSU wie hohngetränkter Zynismus anhören. Sein Realitätsverlust ist dem Christdemokraten nicht mal aufgefallen.

Der Kampf gegen Rechtsextremismus fällt der CDU vor allem deswegen so schwer, weil sie sich nicht mit der Ideologie der kollektiven Ungleichheit, dem Rassismus, der Ausländerfeindlichkeit und dem Sozialdarwinismus und Biologismus auseinandersetzen will. Weil sie also nicht über das sprechen will, was Rechtsextremismus ausmacht, weil es Schnittmengen zum eigenen Weltbild gibt, was Verehrung der Nation und biologistische Ansätze zur Erklärung kollektiver Unterschiede von Menschen angeht.

Lieber spricht man allgemein über einen Extremismus, dann braucht man sich mit Menschenverachtung, vor allem auch der eignen, nicht zu beschäftigen. Als der Plauener CDU-Stadtrat Dieter Blechschmidt Schwulsein zu einer Krankheit erklärte und davor warnte, diese Krankheit zur gesellschaftlichen Normalität werden zu lassen, wurde ihm zwar bundesweit der Kopf gewaschen, nicht aber von der eigenen Partei. Stattdessen müssen sich die Schwulen in der CDU vom sächsischen Fraktions-Chef auf dem Bundesparteitag erklären lassen, Gott habe sich schon was dabei gedacht, als er Männlein und Weiblein schuf. Steffen Flath scheint ganz genau zu wissen, welche Sexualität dem lieben Gott gefällt und welche nicht. Diese selbstgefälligen Bettdeckenbekenntnisse sondern Christdemokraten in unschöner Regelmäßigkeit ab. Schwulenhass oder wenigstens Verachtung für die, die nicht Vater Mutter Kind mit Trauschein leben, ist nach wie vor Wesenskern der Partei. Bei den testosterongesteuerten Hammelsprüngen in den eigenen Reihen gibt man sich dagegen gnädig. Sünder sind immer die anderen. Pragmatisch wie immer schlug sich Angela Merkel denn auch auf dem Bundesparteitag auf die Seite der Diskriminierer, die gleichgeschlechtlichen Paaren die volle Gleichberechtigung verwehren wollten.

So macht Merkel das immer. Im Zweifel erst mal nicht festlegen, und sich am Ende auf die Seite der gefühlten Mehrheit schlagen. Doch auch, wer sich nicht festlegt, legt sich damit fest. Auch Rückgratlosigkeit ist eine Haltung, wenn auch keine besonders ehrenwerte. Noch immer will Merkel nicht sagen, ob die Bundesregierung den neuerlichen Anlauf eines NPD-Verbotsverfahrens unterstützt. Es gibt gewichtige Gründe gegen ein neues Verfahren, technische Gründe, die Gefahr des Scheiterns. Und es gibt meterweise Aktenbelege, die beste Gründe liefern, eine Partei zu verbieten, die unsere parlamentarische Demokratie abschaffen, Ausländer staatlich diskriminieren und aus dem Land jagen will, die mit verurteilten Schlägern und Straftätern gemeinsame Sache macht und die Grundsätze unserer Verfassung bekämpft. Alle Argumente liegen auf dem Tisch. Angela Merkel müsste nur mal hü oder hott sagen. Wer sich aus allem raus hält, trägt die Verantwortung für das, was durch sein Unterlassen geschieht.

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