Die irrwitzige Spezies der Frauenausdeuter

Von Marion Kraske

Politikblog debattiersalon | Die Zeit erklärt im neuen Hamburgteil wie Frauen ticken: Die irrwitzige Spezies der Frauenausdeuter | Foto: Marion Kraske © 2014Nun haben wir gedacht, dass wir sie endlich los geworden sind, diese unermüdlichen Quälgeister, die uns permanent erzählen wollen, wie wir Frauen (mit oder ohne Familien) zu leben haben. Die uns vorschreiben wollen, was gut ist und was gaaaanz ganz schlecht ist.

Allen voran die liebe Alice Schwarzer, die den Frauen, den Deutschen, ja vielleicht der ganzen Welt von oben oktroyieren wollte, was sie unter Emanzipation versteht. Und das quälend lang auch konnte, weil die lieben Redaktionen bei der Befüllung ihrer tagtäglichen Talkgemeinde zum Stichwort Frauenpolitik offenbar keine andere Karteikarte fanden als die von Alice Schwarzer.

Und was wurde da nicht alles vorgebracht: Mal durften muslimische Frauen kein Kopftuch tragen (weil sie damit in die Nähe von Terroristen rückten), mal erklärte die liebe Alice Mutterschaft und Kinderkult zur effektivsten Waffe gegen die Emanzipation, und prostituieren dürfen sich Frauen schon gar nicht. Weil Alice meinte, das gehe alles nicht, saß sie wie in Stein gemeißelt in allen erdenklichen Runden dieser Quassel-Republik und durfte ungefiltert und unkommentiert ihren zähen Ich-bin-die-einzige-und-alleinige- Oberfrauenausdeuterin-Senf zum besten geben.

Gut, dass es da diese klitzekleine Sache mit der Steuer gab, seither ist Ruhe im Karton. Und was man nie für möglich hielt: Die Dauerdüse des deutschen TV ist abgetaucht. Die Frauenerklärerin par excellence ist verstummt. Thank God.

Sturmgeschütz der Ahnungslosigkeit

Weg vom Fenster ist auch die wohl unerträglichste Familienministerin aller Zeiten, dieses Sturmgeschütz der Ahnungslosigkeit, ein Zögling der Hessen-CDU – Kristina Schröder. Mit Tantchengehabe und trotziger Das-weiß-ich-aber-besser-Attitüde bescherte uns Schröder das bescheuertste Gesetz der vergangenen Jahre: Das Betreuungsgeld. Es befördert Frauen wieder da hin, wo sie schon mal monopolhaft standen, in den verkrusteten 60er Jahren, weil sie nun Geld dafür kriegen, dass sie zu Hause bleiben und ihre Kindchen am heimischen Herd betreuen, weil es da so heimelig und kuschelig ist. Familienpolitischer und finanzieller Unfug, der im Übrigen genau jene Kinder von frühkindlicher Förderung fernhält, die diese bitter nötig hätten: Kinder aus Migrantenfamilien und bildungsfernen Milieus. Und für diese Maßnahme, die Integration neuerlich um Jahre zurückwirft, gibt die Bundesregierung nun allein bis 2017 mehrere Milliarden aus.

Zum Glück ist die Ulknudel im Familienministerium Geschichte. Ihr Irrwitzgesetz freilich, das auf Drängen des nicht minder irrwitzigen Familiendeuters Seehofer koalitionsintern bei der inzwischen abgwählten Schwarz-gelben Regierung durchgeboxt wurde, bleibt. Bis auf weiteres.

Gerade also konnte frau sich von diesen Irrläufern und Irrwegen erholen, da tritt eine andere, bislang unbekannte Frauenausdeuterin aufs Parkett. Das Gebiet ist schließlich heiß begehrt, kann man doch ohne fachliches Wissen und profunde Kenntnis mit krudesten Thesen öffentlichkeitswirksam mitsabbeln.

Und so erschien jüngst im lange angekündigten neuen Hamburg-Teil der Zeit eine, die
es wirklich wissen muss, wie es um Frau und Familie bestellt ist: Hebamme Livia Görner.
Auf einer ganzen Seite (liebe Zeit-Redaktion, wie kommt ihr überhaupt auf solch eine abstruse Idee?) durfte die emsige Ins-Leben-Hol-Fachkraft, die mehr als 3000 Hamburgern beim Schlüpfen geholfen hat, über die komplexe Welt der Familie philosophieren.

Ergüsse aus dem Elfenbeinturm

Da erfährt man dann, dass sie selber im schönen Blankenese lebt (sie liebt es), dass die Kinder im schmuddeligen Wilhelmsburg ganz schlimm dran sind (war sie jemals da?), dass die Familien in Ottensen in den neunziger Jahren alles stinkende Ökos waren, die ihren Kindern nur Heilwolle auf den Po taten (Achtung Originalzitat) und dann das Allerschlimmste: Dass es den guten alten Sonntagsspaziergang nicht mehr gibt. Heul.

Statt dessen, so jammert die aufstrebende Alice-Nachfolgerin, würden die Familien nun sonntäglich stumpf und dumpf nebeneinander herlaufen, Mutter, Vater, ein Kind joggend an deren Seite und im Kinderwagen, nein im JOGGER, diesem gruseligen neumodischen Gefährt, sitze auch noch so eine bedauernswerte kleine Kreatur, meist ohne Blickkontakt zur Mami. Görners Fazit: „Schrecklich!“ Heulheulheul.

Mal im Ernst: Das einzige, was hier schrecklich ist, ist die unendlich entrückte Weltsicht der lieben Hebamme. Gibt es nicht andere, zu kritisierende Lebensumstände – auch in Hamburg, die größere Bedeutung hätten als Sport treibende Familien? Etwa die Tatsache, dass in der so reichen Hansestadt rund 50.000 Kinder leben, die in Armut aufwachsen, die kein Frühstück bekommen, geschweige denn ausreichend frühkindliche Förderung? Mit denen keiner Sport macht, weil man ihnen vieles, was sie für eine gesunde Entwicklung bräuchten, vorenthält?

Und ich frag mich, was schlimmer ist: Die abgehobenen Hebammen-Ergüsse, mit der das Blankeneser Muttchen Frauen und Familien mit kruden Schubladisierungen eindeckt oder die Tatsache, dass eine hochbezahlte Redaktion wie die der Zeit die satten und selbstgerechten Blankeneser Elfenbeinturmerkenntnisse für relevant genug erachtet, sie auf einer ganzen Seite zum Besten zu geben? Und auch die Talkshows werden sich vermutlich drauf werfen wie die Fliegen auf den berühmten Güllehaufen: Hauptsache wir haben ENDLICH wieder jemanden, der uns sagt, wie wir, wie Frauen, wie Familien hierzulande so ticken.

In einigen Tagen ist Ostern. Ich freu mich drauf, wir besuchen Opa und Oma – und ich geh mit meinen kids erst mal ne Runde joggen.

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Eine Antwort auf Die irrwitzige Spezies der Frauenausdeuter

  1. Eike Rudat sagt:

    Ich kann nur beipflichten – und hab’ noch einiges draufzupacken. Mein Sohn ist inzwischen volljährig – aber der Ärger über all die halbtags-wohltätig-stundenweise-wohlmeinenden Muttis wirkt noch nach. Wie oft musste ich mir dieses lang-gedehnte “Iiiiich könnte das ja nicht” anhören, wenn ich mich als voll-berufstätige Mutter geoutet hatte……der Rabenmutter-Stempel war immer wohlfeil und gratis……die hundertste Nachfrage, ob ich nicht doch wenigstens ein paar Stunden als Kantinenmutter……das sei doch für die Allgemeinheit und so……daraufhin hab ich einer dieser porschefahrenden haushalts-hilfe-unterstützten Maklergattinnen schließlich geantwortet, dass ich mit meinen Steuern vermutlich mehr für die Allgemeinheit geleistet habe, als sie das ihr Leben lang tun wird…….und dass mein Mann sich nicht nur als Event- und Freizeit-Vater verstanden hat…….das wurde naserümpfend als Verstoß gegen den Natur- und Männerschutz gewertet……denn die sollen doch in erster Linie Madame den Großstadt-SUV verdienen……..puh…..ich weiß, alles ungerecht………aber manchmal ist mein Herz noch ne Mördergrube………warum nur fällt uns leben und leben lassen bloß so unendlich schwer…….???