Von Tülin Akkoc
In Deutschland ist der Begriff der „Willkommenskultur“ derzeit in aller Munde. Das gilt selbst für Politiker, deren Parteien jahrzehntelang vor „bedrohlichen Masseninvasionen“, „Überflutungen“ und von „ungesteuerter Zuwanderung“ gewarnt haben. Selbst Kanzlerin Angela Merkel stellte dieser Tage fest: „Es ist normal, verschieden zu sein. Leben wir das!“
Jetzt nun plötzlich also „Willkommenskultur“? Doch wie ist es um die Aufnahmebereitschaft der Bundesrepublik Deutschland wirklich bestellt? Warum sind beispielsweise junge Menschen gezwungen, sich gegen ihre Vielfalt auszusprechen und müssen eine ihrer zwei Staatsangehörigkeiten ablegen? Und warum ist es EU-Bürgern gestattet, zwei Staatsbürgerschaften zu leben, anderen wiederum nicht? Auch bei der rechtlichen Situation zum kommunalen Wahlrecht sind Ausländer aus Nicht-EU-Ländern deutlich benachteiligt. Und so stehen die Aussagen einiger Politiker in vielen Bereichen leider im Gegensatz zur Realität.
Fühlen sich die Menschen mit ausländischen Wurzeln wirklich ernst genommen? Oft genug wird in deutschen Talkshows mit – sogenannten Experten – zu den Themen Migration und Vielfalt diskutiert, es werden Bücher von Politikern veröffentlicht, die sich mit der gelungenen und/oder nicht gelungen Integration von Stadteilen einiger Großstädte Deutschlands beschäftigen. Deutschland versucht mit verschiedensten Instrumenten, Programmen, Gipfeln und Diskussionen zur „Integration“ beizutragen. Nun findet beispielsweise schon der 6.Integrationsgipfel statt. Doch was haben die vorherigen Gipfel gebracht? Haben sie überhaupt etwas gebracht? Oder sind es lediglich Symbol-Veranstaltungen, die als Teil einer Scheinpolitik genutzt werden?
Aufnahmebereit oder doch eher abwehrbereit?
Wenn ich mich so umhöre, in meinem privaten und beruflichen Umfeld, in dem viele Personen ausländische Wurzeln haben, so fällt auf, dass kaum noch einer das Wort Integration hören will und hören kann. Reicht das, was vom Staat und der „Mehrheitsgesellschaft“ erwartet wird, aus, um „gut integriert“ zu sein – also der Deutschen Sprache mächtig sein, eine gute Ausbildung zu haben etc, um im Alltag wirklich 100% akzeptiert zu werden? Wie wird eine Muslima behandelt, die mit einem guten Notendurchschnitt das Jurastudium absolviert hat und auch akzentfrei deutsch spricht? Wird sie wirklich überall mit offenen Armen empfangen? Gilt sie als gut integriert? Auch dann, wenn sie dem guten deutschen Erscheidnungsbild nicht entspricht – oder gar ein Kopftuch trägt?
Nun spricht Kanzlerin Merkel darüber „daß man durchaus auf eine Offenheit in Richtung Zuwanderung“ setze. Deutschland brauche in Zukunft mehr qualifizierte Arbeitnehmer in den unterschiedlichsten Berufsgruppen. Von einer Kompensation des Fachkräftemangels ist man weit entfernt. Dabei war die WM im eigenen Land für Deutschland eine gute Möglichkeit, an ihrem Image zu feilen. Allerdings ist es um das Image bezüglich der Offenheit Deutschlands nicht gut bestellt ist. Die unfairen und nicht differenzierten Debatten über Muslime schaden dem Image Deutschlands im Ausland, so dass Fachkräfte Deutschland meiden. Auch die Skandale um die NSU-Morde wirken eher erschreckend auf das Ausland. Dessen ist sich anscheinend auch Frau Merkel bewusst und plädiert deshalb dafür, dass Deutschland ihre Zuwanderer willkommen heißen und um diese aktiver werben muss.
Sogenannte „Welcome Center“, die es bereits seit einigen Jahren in vielen deutschen Städten gibt, sind ein Indiz dafür, dass die Kommunen sich stark darum bemühen, nach außen hin zu symbolisieren, ihre Zuwanderer „willkommen zu heißen“. Die Zielgruppe dieser „Willkommenszentren!“ sind meistens jedoch die gut ausgebildeten Ausländer, die man in Deutschland glaubt, dringend zu brauchen, um den wachsenden Druck des demographischen Wandels auf dem Arbeitsmarkt abzufedern. Und wenn man nun kein Wissenschaftler oder gutverdienender Ausländer ist?
Theorie und Realität klaffen auseinander
Wo geht man sonst hin, wenn es darum geht, seinen Aufenthaltstitel zu beantragen oder zu verlängern? Leider sind für sie die „gewöhnlichen“ Ausländerbehörden zuständig, jene Behörden, von denen man vieles hört: von mangelnder Informationsfreudigkeit, von abschreckendem und unfreundlichen Verhalten, von dunklen Räumen, unangenehmen Gerüchen, von verängstigt wartenden Menschen. Viel hört man über die Ausländerbehörden in Deutschland, aber auf keinen Fall etwas, was auch nur annähernd mit Willkommenskultur zu vereinbaren wäre. Vielleicht ist es dort von einigen Politikern überhaupt nicht gewollt, eine gelebte Willkommenskultur aufzubauen, da in ihren Augen die dortige Zielgruppe keine Wählerstimmen bringen?!
Gerade in Deutschland, wo mittlerweile jeder fünfte Einwohner einen Migrationshintergrund hat, muss es darum gehen, eine echte Willkommenskultur zu leben und diese nicht nur in der Theorie zu diskutieren. Deutschland ist mittlerweile gar kein Einwanderungsland mehr. Betrachtet man die Zahlen, kommt man zu dem Ergebnis, dass Deutschland ein Abwanderungsland ist.
Unternehmen: Statt Willkommenskultur Benachteiligung bei Bewerbungen
Willkommenskultur in Deutschland darf sich nicht auf die herzliche Begrüßung von gut ausgebildeten Fachkräften aus Spanien oder Griechenland begrenzen, sondern muss auch den Umgang mit schon über Generationen hinweg im Land lebenden Einwanderern beeinflussen, auch wenn eine hohe Anzahl von Ihnen aus muslimischen Familien mit türkischem Migrationshintergrund stammen. Gäbe es schon diese gelebte Willkommenskultur – und nicht nur in der Theorie – , dann würden vielleicht auch nicht so viele hier ausgebildete Hochqualifizierte mit türkischem Wurzeln frustriert in die Heimat ihrer Eltern abwandern. Dass Viele arabisch- und türkischstämmige Bewerber wegen ihrer schon am Namen ablesbaren Herkunft bei der Jobsuche klar benachteiligt werden, ist längst kein Geheimnis mehr. Das belegen aktuelle Studien.. Von Willkommenskultur geschweige denn von Chancengleichheit ist auch in den Unternehmen hierzulande häufig nichts zu spüren.
Das Denken in “Wir” und “Ihr”-Kategorien sollte daher endlich ein Ende nehmen. Es sollte vielmehr alles dafür unternommen werden, Strukturen zu schaffen, um eine gemeinsame Basis für das Zusammenleben und den interkulturellen Austausch zu bilden und sich dabei auf gemeinsame Interessen und Überzeugungen, wie demokratisches Denken und Handeln zu konzentrieren. Natürlich darf man nicht ignorieren, wenn sich Menschen durch das Fremde verunsichert oder bedroht fühlen. Es sollten alle Ängste ernst genommen werden, aber in keinem Fall dürfen die Ängste populistisch genutzt werden, um gegen Menschen anderer Herkunft, insbesondere aber gegen Muslime, mobil zu machen. Dies zu verhindern, sollte auch Aufgabe der Politik sein.
In Anbetracht des Fachkräftemangels, des demografischen Wandels und der Tatsache, dass Zuwanderung und die Heterogenität der Gesellschaft ein prägendes und an Bedeutung gewinnendes Charakteristikum insbesondere der deutschen Stadtgesellschaften ist, wird es für Großstädte mit einer hohen Heterogenität immer wichtiger, bei der Stadtentwicklung die Voraussetzungen für eine tolerante Atmosphäre zu schaffen. Neben einer Bildungs- und Qualifikationsoffensiven Politik im Inneren muss eine aktive Zuwanderungspolitik betrieben werden, bei der die Städte sowohl für qualifizierte Zuwanderer attraktiver gestaltet werden müssen, aber auch die Bedingungen für das Bleiben potentieller Abwanderer verbessert werden, die erheblich zur Finanzierung des Sozialstaats beitragen.
Gefragt ist eine kreative und bunte Stadtpolitik
Die zunehmende Wichtigkeit von Zuwanderung für Städte in einer globalisierten Welt erfordert ein Umdenken hin zu einer positiv besetzten aktiven Migrationspolitik. Es ist „kreative und bunte“ Stadtpolitik gefragt. Es gibt kein Patentrezept, denn jede Stadt ist anders und die verantwortlichen Stadtakteure müssen die Besonderheiten und Kernkompetenzen einer Stadt aufdecken und überzeugend kommunizieren. Dazu ist es notwendig, authentische Wege der Profilierung und Vermarktung zu finden und realistische Zielsetzungen zu definieren.
Zwar sind bestimmte Regelungen wie beispielsweise die Zuwanderungs- und Integrationspolitik auf Bundesebene geregelt, dennoch gibt es durch regionale Ansätze eine Vielzahl an Möglichkeiten die Migrationspolitik mitzugestalten. Im Folgenden sollen Handlungsoptionen insbesondere für die Akteure eines umfassenden Stadtmarketingprozess gegeben werden, um den Aufbau und die Förderung einer authentischen und gelebten Willkommenskultur zu gewährleisten.
Die folgende Aufzählung hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern soll lediglich einige Impulse für geben, wobei die finanziellen Rahmenbedingungen für jede Stadt und Kommune unterschiedlich ist, und sich dadurch unterschiedliche Handlungsmöglichkeiten ergeben.
1. Hochschulen als „internationale Talentpools“ stärker mit einbeziehen Besonders die Hochschulen fungieren als Multiplikatoren für eine Stadt.
Aufgrund ihrer hohen internationalen Vernetzung (durch Kooperationen, Austausch-Programme, Gastdozenten etc.) und ihrem Pool an internationalen Talenten, ist es für das Stadtmarketing deshalb besonders wichtig, die universitären Fakultäten in ihre zukünftigen Talentstrategien mit einzubeziehen. Für die Hochschulen ist es zudem wichtig, als „Bildungsheimat“ für die ausländischen Studenten ein mehrsprachiges Mensamenü, Willkommenswochen und/oder Willkommenspakete anzubieten.
2. Zielgruppenansprache beim Stadtmarketing von Migranten und Migrantenorganisationen – Netzwerke schaffen – Potentiale von Migrantenorganisationen bündeln
Migranten und Migrantencommunities werden kaum oder nicht genügend in den Stadt-marketingprozess mit eingebunden. Gerade sie als „Botschafter der Stadt“ und „Globale Netzwerker“ könnten jedoch als Multiplikatoren der Stadt fungieren. Der Aufbau und die Förderung eine Willkommens- und Toleranzkultur könnten dafür förderlich sein. Migranten sind nicht nur „weiche“ Faktoren im Sinne von Attraktivitätssteigerung für die Kreativen, sondern gelten als Voraussetzung für die Gewinnung der Hochqualifizierten und Investoren. Bei der Ansprache von Migranten gilt es, folgende Punkte zu beachten:
• Bei Veranstaltung möglichst persönlich einladen und Mund-zu-Mund-Propaganda nutzen
• Feiertage beachten – als Aufhänger und um zu wissen, welche Tage man nicht verplanen sollte
• Integrationsproblematik nicht als Einstieg nehmen: Nach vielen Jahren in Deutschland fühlen sich die
meisten gut integriert
• Schriftliche Materialien nur als Ergänzung zum direkten Gespräch nutzen
• Zweisprachige Faltblätter verwenden oder die Überschrift/Anrede in der Landessprache; auf gute
Übersetzungsqualität achten
• Bilder und Grafiken verwenden, Textlastigkeit vermeiden
• Emotionale Botschaften mit Bezug zum eigenen Leben hier oder zum Herkunftsland
Migrantenorganisationen spielen als Brücke zwischen Behörden und Bevölkerung der Stadt eine wichtige
Rolle, weshalb das Stadtmarketing diese stärker in ihren Prozess einbinden sollte. Es sollten
Ausstellungen, in der erfolgreiche Unternehmer portraitiert werden, im Kommunikationsprozess stärker mit
einfließen. Für die Zusammenarbeit mit Migrantenorganisationen sollte folgenden Aspekte berücksichtig
werden.
• Schlüsselpersonen ausfindig machen (z.B. Präsident des Kulturvereins oder Übersetzer) und als
Multiplikatoren einbinden
• langfristige, kontinuierliche Arbeit anstreben
• Persönliche Beziehungen etablieren, auch um die eigene Unsicherheit zu reduzieren
• Kompetenzen aller Beteiligten einbeziehen und nutzen, nicht mit festen Konzepten auftreten
• Geringe Ressourcen der Migrantenselbstorganisationen beachten und ihnen Unter¬stützung anbieten
• Kooperationspartner suchen, die zu den Maßnahmen und Projekten passen, z.B. weil sie auf der gleichen
Ebene aktiv sind, gemeinsame Interessen teilen oder passende Angebote haben
• Sichtbarmachen der Projekte und Initiativen, die bereits heute Internationalität und Weltoffenheit fördern und entwickeln.
3. Lesbarkeit der Internationalität einer Stadt
Um Migration als Potential für Städte sichtbar zu machen, sind veränderte Sichtweisen und gezielte Maßnahmen notwendig. In einer heterogenen Stadt sollte die Internationalität auch nach außen sichtbar sein. Durch Straßenzüge oder die Akkumulation von Restaurants und Geschäften kann die Stadt auf ihre internationale Qualität hinweisen. Dies bietet nicht nur „Adressen“, Kontaktmöglichkeiten und zeigt die Heterogenität der Stadt.
Die offiziellen Stadtportale sollten eindeutig weltoffener und internationaler gestalten werden, wenn die Stadt den Anspruch verfolgt, nach außen als internationaler Standort wahrgenommen zu werden.
Dazu sollte der Webauftritt in mehreren Sprachen angeboten werden. Der Teil, der Serviceleistungen- und Informationen für Migranten anbietet, sollte mehr Informationen in Bezug auf Migrantenorganisationen oder religiöse Gottesdienste beinhalten. Angesichts der teilweise erheblichen Qualitätsunterschiede bei der Bereitstellung migrantenspezifischer Informationen, sollte es bestimmte Standards geben, die bei jeder Seite berücksichtigt werden sollten. Mit Hilfe mehrerer Sprachen sollte deshalb auf einen migrantenspezifischen Bereich verwiesen werden, welcher sämtliche Informationen für Zugezogene bündelt.
Aufbau und Förderung einer umfassenden Willkommenskultur in der Stadt.
Ran an die Zusammensetzung der Verwaltung
Zu einer Willkommenskultur und einem diskriminierungsfreien, toleranten Stadtklima gehört eine interkulturell geöffnete, mehrsprachige und serviceorientierte Verwaltung (einschließlich Ausländerbehörde), welche kontinuierlich gefördert und verbessert werden muss. Mit Instituten wie einem „Welcome Center“ können positive Signale ins Ausland gesendet werden. Diese als Anlaufstelle für Neuzuwanderer sollten hinsichtlich ihres Service-Angebotes keine Differenzierung zwischen hochqualifizierten und geringer qualifizierten Personen machen. Durch internationale Allianzen von Welcome Centern könnten Synergiepotentiale stärker ausgeschöpft werden (z.B. „Welcome Center Arbeitskreis“).
Willkommenspakete und Neujahrsempfänge für Neuzuwanderer könnten das Willkommensgefühl verstärken. Auch „Patenschaften“ oder Mentorenprogramme zwischen Neuwanderern und einheimischen Familien innerhalb der Kommune könnten dabei helfen. Die „Talentansprache“ sollte durch die mehr dimensionale Betrachtung von Willkommenskultur stattfinden. Zum einen müssen Strategie darauf abzielen, potentiellen Neu-Zuwanderern zu vermitteln „Wir wollen euch, ihr seid herzlich willkommen“, zum anderen müssen den hier lebenden qualifizierten Migranten im selben Ausmaß vermittelt werden „Wir brauchen euch – Bleibt in der Kommune/ in Deutschland“. Denn vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklungen gibt es keine Alternative zum Konzept der „offenen“ Stadt, die durch eine Toleranz und Willkommenskultur international auf sich aufmerksam macht.
Tülin Akkoc (32) ist Kulturwissenschaftlerin und Leiterin des Hamburger Einbürgerungsprojekts „Ich bin Hamburger!“, das Einbürgerungswillige jedweder Herkunft unterstützt. Der Titel ihrer Magisterarbeit lautet „Kulturelle Vielfalt und Toleranz als Standortfaktoren deutscher Städte – Handlungsempfehlungen für das Stadtmarketing – Eine empirische Studie am Fallbeispiel Hamburg“.