Von Marion Kraske
Der vermeintliche Migrationsaufklärer Sarrazin tourt derzeit mit seinem zweiten, nicht minder populistischen Buch über den Euro, den angeblich keiner brauche, durch deutsche Talkshows und verbreitet das, was er am besten kann: Apokalyptisch anmutende Halbwahrheiten und zusammen geschustertes und “kreativ” interpretiertes Zahlenmaterial. So geschehen auch bei seinem Erstlingswerk, in dem er vor dem Hintergrund der Zuwanderung nach Deutschland den Untergang des Landes herbei schrieb – ein Traktat gegen Migranten, vor allem gegen jene muslimischen Glaubens, das die Berliner Humboldt-Universität in einer eigenen Studie zerpflückte wie die mangelhafte Arbeit eines Fünftklässlers. Sarrazins Anspruch, die vermeintliche Migrationsproblematik mit wissenschaftlich belastbaren Aussagen zu belegen, wird darin als dreiste Hochstapelei entlarvt.
Doch auch wenn die Sarrazinschen Thesen nach Meinung führender Integrationsexperten mit den Realitäten wenig gemein haben, so war die Befürchtung doch groß, dass der ehemalige Bundesbanker mit seinem hysterisierenden Tremolo das Klima zwischen Einwohnern und hier lebenden Menschen mit fremden Wurzeln nachhaltig vergiftet hat. Dem ist nicht so.
Das soeben vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration herausgegebene Jahresgutachten 2012 samt Integrationsbarometer zeichnet ein anderes Bild: In der breiten Mitte der Einwanderungsgesellschaft verfestigt sich vielmehr ein pragmatisch-positives Integrationsklima. Es überwiegt ein verhaltener Optimismus – und das auf beiden Seiten der Gesellschaft, bei Deutschen und Zuwanderern.
Es ist ein wichtiges Signal, das von dem jüngsten Barometer ausgeht: Die Menschen im Lande, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund, lassen sich von brutal in Szene gesetzten Tabubrüchen nicht beirren. Die Mehrheit hat demnach begriffen, dass Zuwanderung funktioniert. So wird Integration am eigenen Wohnort in der Regel besser bewertet als an anderen Orten. Dies macht deutlich, dass das Zusammenleben im Alltag weit weniger Probleme aufwirft als uns marktschreierische Analysten Glauben machen wollen.
Während die Bevölkerung offen ist für eine neue, rational ausgestaltete Zuwanderungspolitik, hinkt die Politik jedoch nach wie vor hinterher. Viel zu lange, so der renommierte Migrationsforscher Klaus Bade am Mittwoch Abend auf einer Podiumsdiskussion der Körber Stiftung in Hamburg, habe man sich in „defensiver Erkenntnisverweigerung“ geübt. Dadurch sei über Jahrzehnte eine wirksame Integrationspolitik blockiert worden.
Wenn Politiker (wie Angela Merkel, die erst im Herbst 2010 Multi-Kulti für gescheitert erklärte) und andere Apologeten einer gescheiterten Zuwanderungspolitik heute also eine mangelnde Integrationsfähigkeit der Zugewanderten beklagen, müssen sich die Verantwortlichen zunächst einmal die eigenen Versäumnisse vorhalten lassen.
Bestes Beispiel: Das Anerkennungsgesetz, mit dem seit dem 1. April ausländische Berufsabschlüsse endlich auch in Deutschland gültig erklärt werden können. Hunderttausende Hochqualifizierten war bislang der Zugang zu ihren Berufen in Deutschland verweigert worden. Während andere Länder wie Kanada gezielt Menschen mit entsprechenden Qualifikationen anwerben, waren sie in Deutschland dazu verdammt, sich jenseits ihrer beruflichen Spezialisierung zu tummeln, etwa als Kellner oder Taxifahrer. Eine Ressourcenverschwendung sondergleichen. Das Gesetz daher – längst überfällig. Auch wenn es, wie Migrationsforscher Bade sagt, leider „ein Vierteljahrhundert zu spät kommt“.
Dass die Politik sich jedoch noch immer als unfähig erweist, in wesentlichen Bereichen die notwendigen Integrationsweichen zu stellen, beweist nicht zuletzt das soeben beschlossene Betreuungsgeld. Migrationsexperten befürchten, dass gerade Kinder aus Zuwandererfamilien, die ein besonderes Maß an Frühförderung benötigen, infolge des Gesetzes zu Hause bleiben werden. Integrationspolitisch also genau das Gegenteil von dem, was angeraten ist, sprich frühe (Sprach-)Förderung und gezielte Bildung. Der Merkel-Regierung sei dank: Wieder einmal ein Schritt in die falsche Richtung. Und ein Beleg dafür, wer hier im Lande die eigentlichen Integrationsverweigerer sind.