Der Tod hinter´m Bretterzaun

Von Marion Kraske

Bretter über Bretter

Das Gebäude ist freundlich und hell: Eingeschossig, optisch aufgeklappt wie ein offenes Buch kommt es daher, an den Wänden der für die Gegend typische rote Klinker. Nichts Bedrohliches. Nichts Abstoßendes. Im Gegenteil. Ein schöner Ort. Auch zum Sterben.
Das finden auch das Deutsche Rote Kreuz Harburg und der Hospizverein Hamburger Süden. Gemeinsam wollen sie hier das erste Sterbehospiz südlich der Elbe eröffnen. Bislang müssen Angehörige von unheilbar Kranken lange Wege zurück legen, die nächsten Einrichtungen liegen allesamt im Norden der Stadt. Das soll sich ändern.
Kauf und Umbau des bisherigen Gemeindehauses der Kirchengemeinde Sinstorf kosten rund 2,8 Millionen Euro, es soll Raum geschaffen werden für Menschen, die keine Perspektive mehr haben. Die auf das Ende warten. Was eigentlich Routine sein sollte, wächst sich indes immer mehr zum peinlichen Sittengemälde aus: Anwohner laufen Sturm gegen das Projekt, sogar Anwälte wurden eingeschaltet. Der Grund: Einige der betroffenen Nachbarn lehnen das Hospiz ab. Man befürchte, so heißt es lapidar, einen Wertverlust der Grundstücke.
Es ist wie immer: It´s all about money.
Die Gegend: Durchschnitt, keine Villengegend, eher gepflegtes Mittelmaß. Hier gehen Kinder zur Kita, zur Schule, zum Fußball. Für das Lebensende aber ist hier, im Otto-Normal-Idyll südlich von Hamburg, augenscheinlich kein Platz. „Wie schützen wir unsere Kinder vor dem Anblick der vielen Leichenwagen, die kommen werden?”, fragte vergangene Woche ein junger Vater bei einer Informationsveranstaltung aufgeregt, ganz so, als ob zu erwarten sei, dass die „Gäste“ des Hauses, wie sie von den Heimleitern genannt werden, wie die Fliegen der Reihe nach umfallen und Bestattungswagen im Minutentakt die unscheinbare Anwohnerstraße verstopfen.
Mein Haus, mein Garten, meine Straße. Alles schützenswerte Güter. Echte, lebendige Werte, da passen Zerfall und Vergänglichkeit nicht hinein, Bestattungswagen schon gar nicht. Der Tod – keine gesellschaftliche Normalität, sondern störendes Beiwerk menschlichen Miteinanders. Abschied nehmen, Dahinscheiden – für viele offenbar die reinste Horrorvorstellung.
Gezielt sucht vor Baubeginn das Rote Kreuz den Kontakt zu den Anwohnern. Viele begrüßen das Vorhaben, andere eben nicht. Ein ganz normaler Vorgang, mag man einwenden. Projekte werden angedacht und abgelehnt, es wird demonstriert, es wird kritisiert. Keine besondere Sache also.
Und doch ist dieser Fall anders. Hier geht es nicht um irgendeinen Bahnhof, an dem sich die Geister scheiden. Hier geht es nicht um krankmachenden Fluglärm. Hier geht es um Grundsätzliches, um das Fundament unseres Zusammenlebens. Denn was sagt das aus über eine Gesellschaft, in der sich Anwohner vor einem Hospiz fürchten, das gerade einmal für eine Handvoll Todkranke ein friedliches Refugium schafft, damit sie sich langsam von der Gesellschaft verabschieden können? Einer Gesellschaft, die zunehmend von Single-Haushalten geprägt ist, in der das Abschiednehmen nicht mehr im Familienkreis stattfindet, sondern allzu oft in Isolation und Einsamkeit?
Was sagt das aus über eine Gesellschaft, in der Kitas regelmäßig als Quelle von Lärmbelästigung angeprangert werden? So manche Kindergruppe musste in der Vergangenheit umziehen, weil sie in der Gegend nicht gut gelitten war. Zu laut der vermeintliche Lärm, zu dünnhäutig die armen, geplagten Nachbarn.
Das, was lange als normal galt, wird nun zur Kampfzone unterschiedlichster Indivdualinteressen erklärt. Wo es ging, wurden Schallschutzwände errichtet – Bollwerke gegen Spiel, Spaß und Kinderlachen. Der moderne Schutztrieb macht es erforderlich.
Selbst die ach so familienorientierte CDU, genauer: die lärmempfindlichen Senioren, machten mit kruden Angriffen auf den Dezibel verursachenden Nachwuchs Front.
In der öffentlichen Debatte verglich der NRW-Landeschef der Unions-Senioren Kinderlärm gar mit Presslufthämmern.
Rattttatatttttattttatt.
Kein Wunder, dass sich angesichts derart abstruser Vorstellungen eine ganze Generation junger Frauen in Sachen Fortpflanzung in strikter Verweigerung übt. Immerhin hat sich die Regierung mit einem Gesetz klar gegen diesen grassierenden Schwachsinn positioniert und Klagen künftig so gut wie unmöglich gemacht. http://www.tagesschau.de/inland/laermschutzgesetz104.html
Es darf also wieder gelacht und gespielt werden. Aber gestorben?
In Harburg bieten die Anwohner selber Lösungen gegen die ungewollten Kranken an: Ein Sichtschutz müsse her, so die Forderung der alarmierten Grundstückbesitzer. Ein Wall, mit dem man den Tod vom Alltag abtrennen kann. Outsourcing in einer ganz neuen Variante. Hier das pralle Leben und dort, hinter dem Bretterzaun, das Dahinscheiden. Vielleicht könnten die Leichenwagen ja auch grellbunt oder quietschepink angemalt werden, damit sie dann in die Lila-Laune-Umgebung deutscher Normalbürger passen. Liebe Häuslebesitzer, keine Angst. Der befürchtete Werteverlust – er hat längst begonnen.

Dieser Beitrag wurde unter Alle Artikel, STREIT-BAR, Unsere Pappenheimer abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Eine Antwort auf Der Tod hinter´m Bretterzaun

  1. Knallkopp sagt:

    Ich könnte mir vorstellen, dass die Hospizbewohner selbst sich woanders viel wohler fühlen als in Sinsdorf: In einem idyllischen Industriegebiet, wo ihnen keine Doppelhaushälften-Besitzer beim mühnsamen Sterben zuschauen. Aus der Ferne weht der Wind dann das Geräusch der Gabelstpler und Kreissägen heran. “Ach, das waren schöne Zeiten, als ich noch voll im Saft stand und das Sozialprodukt kräftig mehren konnte”, kann sich der Todeskandidat dann denken. Kein Vogelgezwitscher im Frühling und kein Kinderlachen im Sommer reißt die Sterbenden aus seiner morbiden Gedankenwelt. Und gestorben wird in dem Gewerbegebiet-Hospiz nur am Wochenende – damit die Angestellten sich beim Anblick der Leichenwagen nicht daran erinnern, dass das Leben begrenzt ist und sie von Montags bis Freitags wertvolle Lebenszeit mit stupiden Tätigkeiten verschwenden. Ich denken, diese Lösung wäre im Sinne der Bewohner von Sinsdorf. Ihr Seelenfrieden wäre wieder hergestellt. Und vielleicht würden sich dann ihre Herzen in der Adventszeit sogar gaaaanz weit öffnen und sie würden den Hospizlern mit ihren Kindern ein paar krüppelige Weihnachtsplätzchen mit verschmierter bunter Glasur backen – fürs eigene Gewissen.