Der Fall Edathy: Warum Posing-Fotos von Kindern keine Grauzone sind

Von Marion Kraske

Viel ist in den letzten Tagen geredet und geschrieben worden, seit der Fall Edathy in die Öffentlichkeit platzte. Viel ist gemutmaßt worden über politische Ränkespiele, über Anrufe und Warnungen. Darüber, wer wann was zu wem gesagt hat im Vorfeld und später, im Berliner Polit-Zirkus namens Große Koalition. Und nicht immer hatte man als Beobachter dabei ein gutes Gefühl gehabt. Ganz im Gegenteil – das Unwohlsein nimmt tagtäglich weiter zu.

Wenn da Politiker in Talkshows wie bei Maybritt Illner sitzen, wie der rote Oppermann und der schwarze Herrmann, und sich echauffieren, wenn ihnen ein Strafrechtler Geheimnisverrat und Anstiftung zur Geheimnisweitergabe vorwirft: „Ja wo leben Sie denn?“ fragte Oppermann entrüstet. „Im Strafrecht“, erklärte der Hamburger Strafrechtler Merkel daraufhin kühl. Es klang wie eine Ohrfeige für die Politik, die sich, das ist wohl die Lehre aus dem Friedrich-Gabriel-Oppermann-Verhalten – aus parteitaktischem Kalkül über Recht und Gesetz erhebt, na und?! Wird man ja als Politiker noch dürfen oder?

Schuldbeladen, das ist ja das eigentlich Interessante am Fall Edathy, ist nicht nur der Hauptakteur selbst. Nein, die Vorkommnisse der letzten Tage machen deutlich, dass die erste Riege der politischen Klasse im weiten Feld von Schuld und Sühne anders tickt als der Rest der Republik. Das Selbstverständnis der Volksvertreter lässt dabei arg zu wünschen übrig. Nähe, Kungelei, Herumsdruckserei, geheimnisoffenbarendes Gewisper, schließlich und zuallererst: keine Spur von Selbstkritik. Und, wie sollte es anders ein, eine Kanzlerin, die sich wie immer aus allem heraushält. Das alles zusammen gerührt ergibt Bananenrepubliks-Attitüde, zumindest aber operettenhaftes, unwürdiges Herumgekasper.

Da gab ein nun nicht mehr amtierender Innen- und somit Verfassungsminister (Friedrich) brisante Informationen weiter und ein amtierender bayerischer Länder-Innenminister (Herrmann) findet das nach wie vor genau richtig. Auch er, echauffiert sich, mit dem Strafrecht konfrontiert: „Ja wo sind wir denn?“

Das ist im Kontext der Geheimnisweitergabe zwar eine extrem erbärmliche Äußerung, in der Gesamtcausa Edathy aber vielleicht doch die einzig richtige Frage: Ja wo leben wir denn eigentlich?

Existierende Gesetzeslücke

Die Antwort ist ernüchternd: In einer Gesellschaft, in der es augenscheinlich eine dringend zu schließende Lücke im Strafrecht gibt. An die klammerte sich Sebastian Edathy, als er wohl aus dem dänischen Exil, in das er sich nach Bekanntwerden seiner kruden Gelüste geflüchtet haben soll, via facebook einen Artikel von Heribert Prantl postete, in dem der wortgewaltig unterstrich, dass das Strafrecht derzeit in Deutschland die gefundenen Fotosets und Filme als nicht strafbar einstuft.

Das mag sein. Und dennoch bleibt die Frage: Und? Ist das alles was selbst hoch geschätzten Kollegen wie Prantl zur Sache einfällt? Klar, es ist ein Unterschied, ob Genitalien im Mittelpunkt dieser „Ware“, so heißt das wohl im “Fachjargon”, stehen oder ob es sich, wie im Falle Edathy um Nacktfotos von Kindern und Jugendlichen ohne diesen Fokus handelt. Und doch: Es sind und bleiben Minderjährige, die zu diesen Zwecken ausgebeutet, ja missbraucht, werden. Eine Grauzone ist eine Grauzone und sicherlich keine, in der sich ein deutscher Volksvertreter tummeln sollte.

Das Kinderhilfswerk Unicef stellt hierzu fest:

„Nur, weil etwas nicht strafbar ist, heißt dies nicht, dass Kinder nicht geschädigt werden. Der kommerzielle Handel mit Nacktbildern von Kindern in mehr oder weniger eindeutigen Posen, beeinträchtigt die Rechte von Kindern: sie werden zum Objekt gemacht für andere, haben keinerlei Kontrolle über die Bilder, die jahrelang auf der ganzen Welt weiterverkauft werden. Sie müssen mit diesem Schatten leben und schämen sich möglicherweise ihr Leben lang dafür. Bei der ganzen Diskussion muss es um das Wohl der Kinder gehen – nicht nur um legal oder illegal.“

Fotoware nur durch Ausbeutung von Kindern

Die Frage, ob Edathy strafrechtlich relevantes Material aus Kanada bestellt hat, ist demnach intellektuell zu kurz gesprungen. Zumal jener kanadische Versand, bei dem Edathy in den vergangenen Jahren des öfteren Bestellungen aufgab, auch widerlichste Ware im Angebot hat: Auch Vergewaltigungsszenen mit Kindern. Auch damit verdient diese Web-Seite ihr Geld. Das dürfte auch Edathy nicht entgangen sein. Dass er dennoch aus seinem Fluchtort heraus nun den zu unrecht Verfolgten, gar das Opfer einer bösen Intrige gibt, ist mehr als armselig.

Apropos armselig: Eben in solchen Verhältnissen leben jene Jungen in Rumänien, die der Deutsche Markus R. vor die Kamera zerrte, sie nackt in sogenannten Posing-Situationen filmte, später verkaufte er das heikle Material an den kanadischen Versand. Eben diese Mechanismen machen deutlich, warum das in Deutschland zwar vom Strafrecht nicht abgedeckte Material eben doch Anlass zur scharfen Beanstandung geben muss: Weil hier Minderjährige mit ihrem Körper ausgebeutet werden, weil damit andere Geschäfte machen. Und abkassieren.

Und weil Männer wie Edathy sich diese Körper ansehen und ihre kruden Neigungen damit befriedigen. Auch wenn es sich hierbei um keine pornographischen Aufnahmen handelte – die betroffenen Kinder sind und bleiben Opfer. Das ist die eigentliche Moral von der Geschichte. Ein bisschen mehr Sühne auf Seiten des Beschuldigten wäre daher angebracht.

Statt offenem Bekenntnis und selbstkritischer Offenbarung flüchtete sich Edathy jedoch augenscheinlich ins Ausland, manipulierte offenbar Teile von Festplatten, verweigerte die Schlüsselherausgabe für die staatsanwaltlich angeordneten Wohnungsdurchsuchungen und meldete einen Bundestag-Laptop erst Tage später als vermeintlich abhanden gekommen. Hält er die deutsche Öffentlichkeit für dämlich? All das verleiht der ohnehin traurigen Geschichte um den SPD-Aufsteiger, der im NSU-Ausschuss zu brillieren verstand und dem Rechtsstaat zu parlamentarischen Glanzstunden verhalf, eine weitere, bittere Note.

Deutschland muss nachbessern

So bleibt der Verdacht, dass es wohl noch anderes Material gab, schlimmeres, härteres, menschenverachtendes. Diesen Verdacht hat Edathy mit seinem Verhalten selbst genährt. Dass ein Mann, der bei der Aufarbeitung der NSU-Morde schneidig und analytisch die Schwächen der deutschen Sicherheitsarchitektur sezierte und nun argumentiert, dass Kinder ausbeutende Fotos und Filme doch ganz in Ordnung seien, diskreditiert ihn für jedes weitere öffentliche Amt.

Wenn nun ein Sexualmediziner wie Klaus Michael Beier, Direktor des Instituts für Sexualmedizin an der Berliner Charité, ausführt, dass in Deutschland rund 250.000 Menschen mit pädophiler Neigung leben, ist das die eine Sache, wenn er weiters ausführt, dass seiner Meinung nichts dagegen spricht, „wenn ein pädophiler Mann eine exponierte Position in der Gesellschaft übernimmt, solange er die volle Verantwortung für seine sexuelle Präferenz übernimmt und sein Verhalten sicher kontrollieren kann”, wirft das zumindest Fragen auf. Hat ein Mann die Kontrolle über seine Krankheit nicht bereits dann schon verloren, wenn er Material ordert, dass als Folge von Kinderausbeutung entstanden ist? Wo ist sie, diese Schwelle, an der MAN beginnt, die Kontrolle über seine pädophilen Neigungen zu verlieren? Und: Ist das deutsche Strafrecht nicht entschieden zu lax, auch im internationalen Vergleich?

Markus R. übrigens, der sich als Karate-Lehrer das Vertrauen rumänischer Familien und ihrer Kinder erschlich, der sie mit einem Planschbecken für die schmutzige Arbeit anlockte, wurde wegen seiner Kinderfilme von rumänischen Gerichten zu zwei Jahren Haft verurteilt. Markus R. ließ Minderjährige posieren, angeblich ja alles ganz harmlos.

Leider scheint Sebastian Edathy und mit ihm jene Verteidiger, die einzig und allein auf die existierende strafrechtliche Grauzone pochen, vergessen zu haben, unter welchen Umständen solche Filme entstehen. Es wird daher Zeit, dass Deutschland nachbessert und Posing-Fotos unter Strafe stellt. Sexualmediziner Beier: „Sie stellen ganz eindeutig einen Missbrauch dar, eben weil die Kinder für sexuelle Interessen Erwachsener benutzt werden.“ Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen.

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