“Demokratische Werte werden nur halbherzig verteidigt”

Neuer Bericht der Amadeu Antonio Stiftung: Staatsversagen. Wie Engagierte gegen Rechtsextremismus im Stich gelassen werden. Ein Report aus Westdeutschland

Die Amadeu Antonio Stiftung hat heute in Berlin ihren neuen Report zum Staatsversagen im Kampf gegen den Rechtsextremismus veröffentlicht. Das Fazit: die Verharmlosung durch die Behörden macht es den Rechtsextremen allzu leicht. Über viele Jahre wurde der Rechtsextremismus systematisch unterschätzt und allenfalls reflexhaft der Osten als „braun“ wahrgenommen. Der Report „Staatsversagen“ untersucht nun beispielhaft die Zustände in zehn Orten aus sechs westdeutschen Bundesländern. Viel stärker noch als im Osten dokumentiert er die Bagatellisierung der alltäglichen rechten Gewalt durch Polizei, Justiz und Politik. Dem gegenüber steht das jahrelange beispielhafte Engagement von zahlreichen Initiativen gegen Rechtsextremismus. Doch diese werden allein gelassen und diskreditiert. Betroffene werden nicht ernst genommen, Behörden ermitteln einseitig. Der Terror des NSU kann und darf nicht ohne diesen Kontext betrachtet werden.

Die Botschaft des Bundestags nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie und dem Versagen deutscher Sicherheitsbehörden war eindeutig. “Wir müssen gerade jetzt alle demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren”, forderten die Abgeordneten aller Parteien am 22. November 2011. Ob diesen Worten auch Taten folgten, hat die Journalistin, Politikwissenschaftlerin und debattiersalon-Gründerin Marion Kraske im Auftrag der Amadeu Antonio Stiftung untersucht. Heraus kam der erste Report “Das Kartell der Verharmloser. Wie deutsche Behörden systematisch rechtsextremen Alltagsterror bagatellisieren.”

Ein Jahr später machte sich die Autorin erneut auf den Weg, um sich ein Bild vom alltäglichen Umgang mit Rechtsextremismus zu machen. Nicht in den vielgescholtenen Osten, sondern in den Westen der Republik. Dort, wo die Terroristen des NSU fast all ihre Morde begangen haben. Und wo laut aktuellen Studien jeder Fünfte ausländerfeindliche Überzeugungen vertritt. „Quer durch die Republik machen es Polizei, Justiz und Politiker rechten Demokratiefeinden allzu einfach, immer mehr gesellschaftlichen Raum einzunehmen, indem sie demokratische Werte nur halbherzig verteidigen“, so das Fazit der Autorin Marion Kraske. „Auch dort, wo man sich lange Zeit immun glaubte: Im Westen der Republik.“ Und: “Das staatliche Versagen ist weitreichend”, betont sie in einem Interview auf dem Portal “Mut gegen rechte Gewalt“.

Erschütternde Beispiele im Bericht machen deutlich: rechtsextreme Straftaten werden von der Polizei nicht konsequent verfolgt, Betroffene schikaniert. Nicht selten werden die Opfer selbst verdächtigt. “Zu oft werden rassistische Motive bei Straftaten bagatellisiert, werden Opfer zu Tätern gemacht. Rassistische Haltungen sind in Polizei und Justiz ebenso weit verbreitet wie im Rest der Gesellschaft”, so der Befund von Anetta Kahane, der Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung.

“Im Westen des Landes konnten sich unbemerkt rechte Netzwerke und Kameradschaftsstrukturen verfestigen. Das Verharmlosen durch Behörden und Kommunen – ein folgenreicher Fehler”, so Kahane weiter. Die Amadeu Antonio Stiftung fordert daher eine strafrechtlche Verfolgung der Verfehlungen innerhalb der Institutionen sowie eine enstprechende Ausbildung der Beamten. Bei Straftaten muss ein rassistisches Motiv automatisch geprüft werden, damit rechte Delikte systematisch erfasst und verfolgt werden können. Außerdem müssen Beratungsstellen flächendeckend eingerichtet und dauerhaft gefördert werden. Nur so kann die Bekämpfung des Rechtsextremismus nachhaltig gelingen. Rechtsextremismus ist ein gesamtdeutsches Problem und muss auch so angegangen werden.

Auch der Schirmherr der Amadeu Antonio Stiftung, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, teilt diese Einschätzung. “Justiz, Polizei und Landes- sowie Kommunalpolitik machen es Rechtsextremen oft leicht, Fuß zu fassen. Trotz dringender Notwendigkeit gibt es keine dauerhaften und verlässlichen Strukturen zur Prävention und Intervention bezüglich rechter Gewalt und Bedrohung. So gibt es beispielsweise noch keine flächendeckende Opferberatung. Die nun vorliegende Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung lenkt den Blick auf diese Probleme und erinnert erneut, wie wichtig es ist, engagierte Bürgerinnen und Bürger im Kampf gegen Rechtsextremismus zu unterstützen.”

debattiersalon | Report Staatsversagen Titelbild | © Amadeu Antonio Stiftung 2013Der Bericht “Staatsversagen. Wie Engagierte gegen Rechtsextremismus im Stich gelassen werden. Ein Report aus Westdeutschland” ist am 10. April von der Amadeu Antonio Stiftung veröffentlicht worden. Bestell-Info: „Staatsversagen. Wie Engagierte gegen Rechtsextremismus im Stich gelassen werden. Ein Report aus Westdeutschland.“ Amadeu Antonio Stiftung, bebildert, 44 Seiten, ISBN 978-3-940878-14-4. Als PDF herunterzuladen: hier.

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