Braune Zonen

Von Stefan Heijnk

Am 30. Januar 1933 wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt. Dieser Tage jährt sich dieses fatale Ereignis zum 80sten Mal. Im Bundestag hat Kanzlerin Angela Merkel deshalb auf einer Gedenkveranstaltung zum Holocaust daran erinnert, dass Demokratie immer neu verteidigt werden muss: “Eine lebendige Gesellschaft mit menschlichem Antlitz braucht Menschen, die Achtung und Respekt voreinander haben, die Verantwortung für sich und andere übernehmen, die couragiert und offen Position beziehen – und damit auch bereit sind, Kritik und Gegenwind in Kauf zu nehmen.”

Gebraucht wird eine solche Haltung überall im Land, vor allem aber dort, wo politische Extremisten an Einfluss gewinnen. 80 Jahre nach Hitlers Ernennung gehört es leider zu den Fakten: In Deutschland gibt es Kommunen und Regionen, in denen Rechtsextremismus kein Randphänomen ist. Der SPIEGEL hat dies kürzlich in einer Datenkarte mit dem Titel “Braune Zone” (Stand: 2012) haarklein für die ostdeutschen Bundesländer aufgeschlüssselt.

Der Karte ist zu entnehmen, dass die NPD bei den jeweils jüngsten Landtagswahlen vor allem in Thüringen, in Sachsen und in Mecklenburg-Vorpommern mehr als nur beachtlichen Wählerzuspruch erhalten hat. Punktuell erreichte die NPD in diesen drei Bundesländern Stimmenanteile von mehr als 30 Prozent. Rechtsextreme, so der SPIEGEL, genössen damit in manchen Gegenden “den Status einer Volkspartei”.

Besondere Verantwortung für regionale Zeitungsverlage
Warum das so ist, wird sich monokausal sicher nicht beantworten lassen, schon gar nicht in einem knappen Blogpost. Wenn es aber zutrifft, dass unabhängige Zeitungen für ein demokratisches Gemeinwesen unerlässliche Instanzen sind (wovon ich sehr überzeugt bin), dann kommt den Zeitungen in den sogenannten “braunen Zonen” eine besondere Verantwortung zu. Sie wird in den drei besonders betroffenen Bundesländern getragen von 19 regionalen Tageszeitungen, die sich im Wesentlichen im Besitz von nur fünf Medienhäusern befinden (Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft, Madsack, Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag, Südwestdeutsche Medienholding [SWMH] und WAZ-Gruppe):

In Mecklenburg-Vorpommern sind es die Ostsee-Zeitung (Madsack/73 v.H.), die Schweriner Volkszeitung (Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag/100 v.H.; eigene Recherche), Norddeutsche Neueste Nachrichten (Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag/100 v.H.; eigene Recherche) und der Nordkurier/Uckermark Kurier (Augsburger Allgemeine, Kieler Nachrichten [Madsack/49 v.H.], Schwäbische Zeitung/jeweils 33,3 v.H.).

In Sachsen sind es die Freie Presse (Medien Union [SWMH]/100 v.H.), die Sächsische Zeitung (Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbh, Hamburg/40 v.H.), der Döbelner Anzeiger (Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbh/40 v.H.), die Leipziger Volkszeitung (Madsack/100 v.H.), die Torgauer Zeitung (Madsack/24,9 v.H.), die Dresdner Neueste Nachrichten (Madsack/100 v.H.), die Dresdner Morgenpost (Gruner+Jahr/60 v.H.) sowie die Serbske Nowiny.

In Thüringen sind es die Thüringer Allgemeine (WAZ/50 & Mitarbeiter/50 v.H.), die Ostthüringer Zeitung (WAZ/60 v.H.), die Freies Wort (Süddeutscher Verlag [SWMH]/70 v.H., Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbh/30 v.H.), das Meininger Tageblatt (Mediengruppe Oberfranken/50 v.H., Süddeutscher Verlag [SWMH]/~50 v.H.), die Südthüringer Zeitung (Süddeutscher Verlag [SWMH]/70 v.H., Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbh/30 v.H.) und die Thüringische Landeszeitung (WAZ/100 v.H.).

(Quellen: Schütz, Walter J.: Redaktionelle und verlegerische Struktur der deutschen Tagespresse. In: Media Perspektiven, Nr. 11/2012, S. 594-603; Röper, Horst: Zeitungsmarkt 2012. In: Media Perspektiven, Nr. 5/2012, S. 268-285; “Tageszeitungen mit Vollredaktionen”, Verbreitungsgebiete-Poster von Journalist und Formatt-Institut (Stand: 12/2010); in Klammern: Eigentümer [ggf. Mutterkonzern]/direkter Anteil in v.H.).

Wie es um diese regionalen Zeitungen im Detail bestellt ist und unter welchen redaktionellen Bedingungen gearbeitet wird, wäre eine umfassendere Forschungsarbeit wert. Aus dem Stand lassen sich dazu natürlich keine substanzielleren Aussagen treffen, das verbietet sich. Den Kolleginnen und Kollegen aber, die den Neonazis morgens unfreiwillig vielleicht beim Bäcker begegnen, und sich trotzdem eine kritische Haltung bewahren, gebührt jedenfalls auch aus der Ferne größter Respekt. Zumal einige der gelisteten Zeitungen schon seit einiger Zeit unter massivem Spardruck stehen.

Verdi, DJV und DJU in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise beklagen schon seit längerem eine personelle Ausdünnung in einigen Verlagen und halten deshalb über die Entwicklung an der Ostsee kontinuierlich auf dem Laufenden – auf ihrer gemeinsamen Website “Unser Land braucht seine Zeitungen“.

Wenn zutrifft, was die Gewerkschaftsorganisationen berichten, dann steht es um den Lokaljournalismus im Nordosten, vorsichtig formuliert, mancherorts nicht gerade zum Besten: Der Nordkurier etwa hat sich aus der Grenzregion zu Polen zwischen Prenzlau, Pasewalk, Ueckermünde und Anklam zuletzt ersichtlich weiter zurückgezogen – also genau dort, wo die NPD in dieser Gegend ihre Wählerhochburgen hat.

Auf der anderen Seite gibt es auch herausragend positive Beispiele: Die Lausitzer Rundschau engagiert sich im südöstlichen Brandenburg schon seit vielen Jahren als Stimme gegen Rechtsextremismus – und hat deshalb im vergangenen Herbst den „Preis für Zivilcourage gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Rassismus“ des Förderkreises „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ und der Jüdischen Gemeinde zu Berlin verliehen bekommen. Im Frühjahr 2012 hatten Neonazis in Spremberg die Redaktion mit Hass-Parolen besudelt und Tierkadaver an Redaktionsschildern aufgehängt.

Wie Redakteure in ostdeutschen Lokalredaktionen ihre Situation selbst beurteilen, darüber hat übrigens Christian Bagel für die ZEIT im vergangenen Jahr unbedingt lesenswerte Eindrücke eingesammelt. Es stimmt schon nachdenklich, wenn ihm ein Redakteur darin zu Protokoll gibt, “Demokratielehrer zu sein ist nicht unsere Aufgabe”.

Bagel selbst konstatiert in seinem Artikel: “Angst vor Übergriffen würde kaum ein Lokalredakteur offen zugeben. Einer von Mladeks Vorgängern fand in seinem Briefkasten das Todesurteil eines selbst ernannten Volksgerichtshofs. Ein anderer Journalist wurde mit einem Elektroschocker an der Haustür angegriffen. In Pasewalk tauchten Neonazis gar in den Redaktionsräumen des Nordkurier auf.”

Ins Bild passt heute denn auch die frisch veröffentlichte Pressefreiheitsrangliste von Reporter ohne Grenzen: Deutschland rangiert dort auf Rang 17 – auch weil es im vergangenen Jahr hierzulande wieder Angriffe von Islamisten und Neonazis auf Journalistinnen und Journalisten zu registrieren gab.

Stefan Heijnk ist Professsor für Journalistik an der FH Hannover. Ein Crosspost von www.textenfuersweb.de, dort veröffentlicht am 30.1.2013.

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