Böses Blut

von Marion Kraske

B-L-U-T also, dieser Saft den wir alle in uns tragen, er soll darüber entscheiden, wer etwas wert ist und wer nicht. Wer dazugehört. Und wer nicht. All das gab es schon mal, es mündete in den NS-Rassenwahn. Die Folgen – sie sind hinlänglich bekannt. Und jetzt das Plakat mit dem blauäugigen Strahlemann, das – allen Ernstes – Blut zum Propagandahit in der Schlacht ums Wiener Rathaus in Szene setzt. Mehr Mut fordert er da für „unser Wiener Blut“, zu viel Fremdes tue niemandem gut. So weit, so schwachsinnig. 

Immerhin lässt die Formulierung durchaus mehrere Interpretationen zu. Nimmt man das kleine Einsprengsel „unser“ wörtlich – man versucht die Blaububen samt ihrer perpetuierten Verbalentgleisungen ja immer noch einigermaßen für voll zu nehmen –, dann wäre wohl mit „unser Wiener Blut“ FPÖ-blaues Blut gemeint. Mehr Mut also dazu? Man kann sich vorstellen, wie so etwas aussehen könnte: krachende Blut-und-Boden-Partys, Transfusionsgelage mit kornblauem Eventcharakter, HC-Strache-Leiberl, wohin das Auge blickt, und als oberste Partymaxime der Austausch von blaublauen Körpersäften zur Bewahrung derselben. Das Ziel: mehr Blutsager, mehr Hatz, mehr Aufwiegelung – eine wirklich brillante Idee, um die heimische Politik noch besser in Aufruhr zu versetzen, oder?

Doch kann der unheilige Geist hinter der Kampagne (man ahnt ja, wer) tatsächlich so blau gewesen sein, als er sich den Schmarrn aus den Gehirnwindungen presste? Und so landet man dann doch zwangsläufig bei der einzig plausiblen Interpretationsvariante, die schon bei Johann Strauß junior besungen wurde. Man landet im Kaiserreich, im VIEL-Völkerreich mit Wien als Kristallisationspunkt. Den Reminiszenzen kann man heute nachspüren: beim kroatischen Restaurantbesitzer um die Ecke, beim bosnischen Fleischer mit seinem würzig-feinen Schinken, bei der Kollegin mit ungarischen Wurzeln. Sie alle sind das Wiener Blut. Ganz nebenbei: Für Hunderttausende Touristen und Zugereiste macht eben diese Vielfalt den Reiz der Stadt aus. Es ist ein Reichtum an Kultur(en), der in Europa seinesgleichen sucht. Mehr Mut zu historischen Fakten. Mehr Mut zu Kakanien!

Böses Blut weiß zeitgleich der inzwischen zurückgetretene Bundesbanker Thilo Sarrazin zu verbreiten. Sein Ausländerbashing im Generellen und seine These vom deppendummen Moslem im Besonderen, die er zu allem Überfluss auch noch mit einem kruden Biologismus vermengt, belegen, dass es ihm nicht um sachliche Problemanalyse geht, sondern um Stigmatisierung einer ganzen Gesellschaftsgruppe. Damit hat auch Deutschland endlich seine ressentimentgeladene Speerspitze rückwärtsgewandter Rassismusrhetorik. Schon spendet die NPD begeistert Applaus. Seine schriftlichen Offenbarungen, in ihrer Herleitung mitunter blanker Unsinn, vermochte Sarrazin verbal noch zu steigern: Ein jüdisches Gen mache den kleinen, aber feinen Unterschied aus, befand er. Was Strache das Blut, ist Sarrazin das Gen. Man kennt das bereits, diese Anklänge an Rassenlehre, Eugenik, unselige Zeiten. Damit freilich werden Sarrazins schiefe Gedankenkonstrukte auch nicht richtiger.

Sarrazin und Strache haben eines gemein: Beide verbreiten populistische Thesen, die im Volk auf breiten Widerhall stoßen. Doch den Blut-Akrobaten und Gen-Apologeten geht es nicht um das Wohl der Gesellschaft, wohl aber um das eigene Ego und die eigene Partei, um den Verkauf eines unerhört schlecht recherchierten Pamphletes und, selbstredend, um schnöde Stimmenmaximierung. So emotional Debatten um Polit-Provokateure auch geführt werden, sie haben dennoch ihr Gutes: Auf einmal diskutiert man über die Defizite der Integration (die es natürlich gibt). Und man diskutiert über das faktisch Unwiderlegbare. Denn hier – und nicht nur hier – irrt der irrgeleitete Notenbanker. Nicht Zuwanderung ist ursächlich dafür verantwortlich, dass wir „uns abschaffen“, es verhält sich genau umgekehrt: Nur mit entsprechender Zuwanderung lassen sich die Probleme einer stetig alternden Bevölkerung kompensieren. Dass Zuwanderungsdiskurse in Deutschland und – dank der Dauerhysterisierung von FPÖ und BZÖ in noch stärkerem Maße in Österreich – mit schöner Regelmäßigkeit entgleiten, hat einen triftigen Grund. Die etablierten Parteien haben es versäumt, den Menschen die Wahrheit zu sagen: Ja, wir sind Einwanderungsländer, und ja, wir brauchen diese Menschen, die zu uns kommen.

Immerhin, der Selbstreinigungsprozess in Deutschland funktioniert, wenn auch nur holprig: Bundesbank und SPD ziehen die einzig richtige Konsequenz und gehen auf Distanz zu Sarrazin. Derartige Reflexe sind in Österreich eher die Ausnahme. Statt Abgrenzung zu den rechten Possenreißern kungelt man mit ihnen, wählt sie in höchste Staatsämter. Man könnte sie ja, wie 2000, noch einmal brauchen.

Aber vielleicht kommt HC, der blaue Volksaufklärer im feschen Zwirn, ja noch dahinter, dass er bei der Ablehnung alles Fremden womöglich ganz, ganz falsch liegt. Mir als Slawistin jedenfalls klingelt sein Name in den Ohren. Im Tschechischen, im Polnischen, im Kroatischen und Russischen heißt „strach“: ANGST. Ist seinem Mastermind da womöglich etwas Entscheidendes entgangen? Wie auch immer: Zu viel „strach“ tut keiner Gesellschaft gut. Zu viel Strache übrigens auch nicht.

http://www.datum.at/1010/stories/echt-krasske

 

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