Blome-Wechsel zum SPIEGEL: Tod durch Langeweile

Von Gregor Keuschnig

Auf dem Höhepunkt der Affären um Bundespräsident Christian Wulff saßen in der ARD-Sendung Günther Jauch an einem Sonntagabend unter anderem Georg Mascolo, damals Spiegel-Chefredakteur und Nikolaus Blome, damals stellvertretender Chefredakteur der Bild-Zeitung nebeneinander. Es ging um eine Spiegel-Geschichte, die sich dem Wutanruf Wulffs auf die Mailbox von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann widmete. Mascolo holte zu einer Replik auf eine Frage aus. Dabei paraphrasierte er einen Satz Wulffs, den er augenscheinlich nicht exakt kannte. Er vergewisserte sich mit einem Blick auf Blome, dass dieses Zitat richtig sei, was dieser auch durch Nicken bestätigte. Blome kannte nämlich den Text, Mascolo nicht beziehungsweise nur teilweise.

Diese Szene ist exemplarisch für die Entwicklung, die das einstige „Sturmgeschütz der Demokratie“ genommen hat. Man zitiert aus zweiter Hand. Springer-Medien sind längst satisfaktionsfähig, ja, sie sind „Kollegen“. Wenn das Hans Esser damals gewusst hätte. Es stimmt schon: Das Mutmaßen, Spekulieren, die „Häme“, wie Hans Magnus Enzensberger dies einmal nannte, ist immer noch in den Artikeln präsent. Jene bräsige Arroganz, die nicht verstehen konnte, warum die Bundesbürger so dumm waren, immer wieder Helmut Kohl zum Bundeskanzler zu wählen, obwohl man doch wusste, dass der nichts taugte.

Wer den Spiegel genauer liest beziehungsweise gelesen hat, kann nur mäßig überrascht sein über den Schritt, die Anerkennung des Springer-Lagers offiziell zu vollziehen. Es war ohnehin viel Legendenbildung, diese Investigativität, die dem Spiegel unterstellt wurde. Leute, die man heute „Whistleblower“ nennt, hatten lange Zeit praktisch nur diese eine Adresse für ihr anonymes An- und Aufzeigen. Es gab noch den Stern, aber nach dem Desaster der Hitler-Tagebücher war diese Möglichkeit verschlossen. Die Zeit, ebenfalls vermeintlich linksliberal, konzentrierte sich lieber auf den intellektuellen Diskurs, statt auf das Schlagzeilen- und Skandalgeschäft.

Aufklärungsmedium Spiegel? Eine landauf, landab kolportiere Mär

Es wundert schon, wie Franziska Augstein im Deutschlandfunk-Interview den Spiegel mythisiert: Es ginge um die „Haltung“, so die Tochter des Herausgebers Rudolf Augstein, die sich als Bewahrerin eines Erbes geriert, dass es so nie gegeben hat. Der Spiegel sei das Gegenteil von „regierungsnah“, so Augstein. Als sei dies eine conditio sine qua non, eine Grundvoraussetzung, sozusagen ein Einstellungskriterium. Was passiert eigentlich, wenn die Regierung wechselt – macht man dann in einer Art Automatismus einen Haltungswechsel mit?

Der Spiegel sei ein Aufklärungsmedium. So die landauf, landab kolportierte Mär. Das ist eine Behauptung, die sich nur sehr schwer auf die Geschichte des Blattes verallgemeinern lässt. Die aufgedeckten Skandale waren meist Eingebungen und Anstöße von außen. Augsteins Konsequenz in der Spiegel-Affäre und die Überreaktion der Adenauer-Administration lieferten die Meriten, von denen das Magazin noch Jahrzehnte später zehrte. Nicht nur Kriegsveteranen verklären ihre Zeit: Dass die Redaktion zu Beginn mit ehemaligen Nazis durchaus reaktionär besetzt war? Vergessen. Ebenso wie die Zwickmühle nach der Regierungsübernahme Willy Brandts, als man denjenigen hätte kritisieren müssen, den man eigentlich rückhaltlos unterstützte.

Interessant wurde der Spiegel dann kurz, als sein Herausgeber die Vereinigungspolitik Kohls positiv darstellte, mit historischen Vergleichen um sich warf, die die Redakteure – streng anti-kohlianisch – verdutzten. Es war ein im Spiegel selten wahrnehmbarer Pluralismus, der nur noch in der Eskalation der Jugoslawienkriege in den 1990er-Jahren noch einmal kurz aufflammte. Als der zuständige außenpolitische Redakteur Olaf Ihlau seinen Kugelschreiber mit aufgeschraubtem Bajonett versah, eine einseitige und falsche Berichterstattung zuließ und wilde Militärschläge befürwortete, bremste Augstein ihn nicht nur aus – er entfernte ihn aus der Redaktion.

Wüste des Gewöhnlichen

Die wenigen Highlights, in denen der Spiegel tatsächlich aufklärte, überdeckt eine Wüste des Gewöhnlichen. Manchmal entdeckt man später erst den Unsinn, den man da vorgesetzt bekam. Wie Stefan Niggemeier beispielsweise, der neulich auf die hanebüchene AIDS-Berichterstattung des Spiegel hingewiesen hat. Dann kam auch noch direkte, konfrontative Konkurrenz: der Focus (ab 1993). Kurze, knappe Artikel mit vielen Bildern. Eher Infotainment als Information. Aufklärung war etwas für die Schule, das 18. Jahrhundert oder die Sexualkunde.

Unter Chefredakteur Stefan Aust sollte schließlich die rot-grüne Bundesregierung fallen – und es wurde beschlossen, dass Rot-Grün weg müsse. Das war sicherlich nicht „regierungsnah“. Es war zumindest einfacher, als Manfred Stolpe oder Gregor Gysi eine Stasi-Mitarbeit zu beweisen. Das nämlich scheiterte kläglich. Und es zeigt die Hybris, die sich Journalisten anmaßen, wenn sie von der „Vierten Gewalt“ schwärmen und sich in den Status eines Staatsorgans katapultieren. Natürlich ist jeder Eingriff in diese „Vierte Gewalt“ zu verdammen; jedoch wird jede Kritik an der Boulevardisierung sofort als Einmischung in die Pressefreiheit betrachtet – siehe Wulff. (Nachträglich stellte sich Wulffs Rede auf Diekmanns Anrufbeantworter als harmloser Affekt heraus.)

Neutralität versucht keiner mehr

Das Problem des Journalismus in Gänze: Er ist zum uneingeschränkten Meinungsjournalismus geworden. Die Autoren machen längst aus ihrem Herzen keine Mördergrube mehr. Neutralität gilt als unmöglich, daher wird sie erst gar nicht versucht. Der investigative Journalismus hat nur noch eine These, die er beweist. Das Ergebnis steht schon vorher fest. (Zur Not wird ein bisschen nachgeholfen.) Entlastungsmaterial muss ein anderer besorgen. Zwischen Kommentar und Artikel gibt es kaum noch Unterschiede. Der Spiegel ist mit dieser Form des Meinungsjournalismus’ Vorreiter gewesen, und nicht nur wenn es gegen Helmut Kohl oder Gerhard Schröder ging. Journalisten scheinen aber nicht zu begreifen, dass man ihre Meinungen nicht unbedingt permanent hören möchte. Insbesondere der Spiegel betrieb immer diesen paternalistischen Journalismus, der dem Leser suggestiv die Welt erklärte. „Spiegel-Leser wissen mehr“, hieß er. Meistens wusste der Spiegel-Leser nur das, was der (lange Zeit unbekannt bleibende) Verfasser des Textes meinte. „Bild dir meine Meinung“ heißt ein medienkritisches Buch von Roger Willemsen: Wer auf der gleichen Wellenlänge wie der Redakteur lag, genoss die geschliffene, zuweilen fein ironisierte Sprache. Affektabbau des Lesers. Davon lebte dieses Magazin. Sehr lange.

Ist der Blome-Wechsel ein Putsch?

Daher die Empörung über den Bild-Mann Blome. Die Aufregung ist derart, als wäre die Redaktion von einem Putsch überrollt worden. Die Empörung greift jedoch fehl, weil es nur darum geht, dass eine Seite befürchtet, ihre Meinung und ihr Meinungsjournalismus könne nicht mehr ungehindert im Blatt erscheinen. Tatsächlich würde Blome einfach nur die Perspektive wechseln; journalistisch gewonnen wäre damit nichts. Der Journalismus muss nicht neu erfunden werden, aber wenn er weiter auf triviales Infotainment setzt, wenn es interessanter für den Leser sein soll, welche Farbe die Krawatte Peer Steinbrücks hat statt zu fragen, für welche Ziele er steht, wenn es wichtiger ist, Angela Merkel beim Einkaufen zu zeigen als ihre Europapolitik zu beleuchten – dann wird sich der Leser mit Grausen oder, noch schlimmer, gelangweilt abwenden.

Es geht um Fakten (so der Werbespruch des Focus, der folgerichtig gegen den Spiegel war, allerdings natürlich auch nur zur Parole wurde), Zusammenhänge, Hintergründe, Verstrickungen. Die Meinung kann ich mir dann selber bilden.

Politikblog debattiersalon | Blog Begleitschreiben Gregor Keuschnig Blome Spiegel | (c) BegleitschreibenGregor Keuschnig ist Blogger und schreibt auf seiner Seite Begleitschreiben über Politik, Medien und vor allem Literatur. Keuschnig ist bekennender Peter-Handke-Leser und einer der versiertesten Kenner dessen Werks. Die Zeitung Die Welt nennt ihn „den Mann, der alles über Handke weiß“.

Keuschnigs Text ist eine Replik auf Marion Kraskes Einschätzung des Themas.

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