B-NOTE 13 | Ein Biermann-Coup für alle

Von Marcus Müller

Der Lammert-Biermann-Coup "Barden beschimpfen Bundestagsfraktionen" muss Schule machen! | Politblog debattiersalon | B-Note | Logo: Katharina Greve © 2013Der Barde (ist doch die richtige Berufsbezeichnung?) Wolf Biermann darf im Bundestag die Linke während der Feierstunde zum 25. Jahrestag des Mauerfalls beschimpfen. Das sollte unbedingt Schule machen – fraktionsübergreifend.

Bundestagspräsident Norbert Lammert hat die Linke ausgetrickst, wie sich die rechte Welt schon gestern freute, indem er Sänger Wolf Biermann zur Mauerfall-Jubiläums-Show auf die Bühne des hohen Hauses lud. Dagegen, dass der weder zu Ironie noch Selbstzweifeln neigende Biermann der Linken kaum überraschend seine Meinung vortrug, ist eigentlich nichts zu sagen. In Zeiten einer großen Koalition, die den Diskussionsbedarf einer Parkuhr an den Tag legt, und Kanzlerinnen mit dem Redetalent einer Angela Merkel (CDU) sollte es geradezu Staatsraison werden, sich immer mal wieder ein leicht irre wirkendes Plappermäulchen ins Parlament zu rufen.

Ladet wie bekloppt Sänger in den Bundestag, z.B. Roland Kaiser, Helene Fischer, Bronski Beat

Jedoch sollte der Ältestenrat des Bundestages demnächst, wenn er sich wieder mal von Lammert leicht beschubsen lässt, wenn Sangeskunst erwünscht ist, doch dazu übergehen Sänger einzuladen. Biermann darf also nie wieder. Aber ein paar andere dürften, müssten gar, damit der Bundestag endlich, endlich ordentlich seine Arbeit erledigt:

  • Ich wäre sehr dafür, dass zum Beispiel Roland Kaiser, SPD-Mitglied und als Für-Peer-Steinbrück-Wahlkämpfer offenbar ausreichend verrückt, einmal über die schwarzen Kassen und die Spendenaffäre der CDU unter Helmut Kohl referiert. Er könnte auch nochmal schön über die Nazi-Vergangenheit von CDU-Kanzler Kurt Georg Kiesinger sprechen. Man vergisst ja dazu bereits verteilte Ohrfeigen so schnell, besonders in der CDU. Danach singt er dann „Dich zu lieben“ und umarmt die Ex-Vertriebenen-Funktionärin Erika Steinbach, bis diese unter Tränen ihr Stimmverhalten von 1991 verdammt, als die gegen die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze votierte.

Volkspartei? Beim Träumen ist alles erlaubt, singt Helene Fischer im Nationaltrikot für die SPD

  • Um die SPD zu beschimpfen, lädt sich die CDU dann mal Helene Fischer ein. Sie schwärmt den Genossen vor, wie schön es doch sei, in vollen Arenen zu singen – und nicht nur in zu 25 Prozent besetzten. Aber sie macht den von ihr scherzhaft aber doch sehr kundig „Arbeiterverräter“ genannten Sozen (Fischer: „Sie wissen schon, die Andrea Nahles mit ihrem Streikverbot, der Gerd Schröder mit seinem Neoliberalismus und der Rudolf Scharping mit seinen Fahrrädern“) auch Mut auf eine Zukunft als Volkspartei. Denn: „Beim Träumen ist alles erlaubt“, wie sie sodann singt.

Weil SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann das etwas zu wörtlich nimmt und „Ich werde Kanzler“ in den wehrlosen Reichstag brüllt, hängt die im Deutschlandtrikot schwarzrotgold trällernde Fischer noch ein mahnendes „Die Hölle morgen früh“ hinten dran. Das sei zwar nicht mit ihm abgesprochen gewesen, nörgelt Hausherr Lammert grinsend: „Aber wenn es gegen andere geht, finde ich mich immer toll. Ach, das tue ich ja sowieso. Streichen Sie das bitte aus dem Protokoll.“

Die Grünen werden einfach ignoriert

  • Als besonders perfide stellt sich die große Koalition aus SPD, CDU und CSU beim Umgang mit der Beschimpfung der Grünen heraus. „Wir machen das einfach nicht, sondern ignorieren sie völlig“, erzählt einer aus dem höchsten Führungszirkel, wie die Zeitung Die Welt stolz zu berichten weiß.

Später wird in den Medien dieses Landes Seite um Seite und Sendeminute um Sendeminute darüber spekuliert, wer dieser Insider war, der das der Welt steckte: SPD-Chef und Ex-Popbeauftragter Sigmar Gabriel oder CSU-Vorsitzender Horst Seehofer? Selbst das Sturmgeschütz der Demokratie (also die die Bild-Zeitung) findet es nicht heraus.

Musik-Qual für Claudia Roth und Anton Hofreiter

  • Jedenfalls müssen sich von den Grünen nur Ex-Parteivorsitzende Claudia Roth und Fraktionschef Anton Hofreiter ein stundenlanges Zwölftonmusik-Konzert anhören, ohne dass sie noch verbal beschimpft werden. Der Rest der Fraktion besucht derweil mit Ursula von der Leyen die Bundeswehr, um zu klären, wem demnächst mal ein Krieg erklärt werden könnte. Katrin Göring-Eckardt hat dazu drei ganz tolle, christlich einwandfreie Vorschläge, von der Leyen lässt sie aber nicht zu Wort kommen.

Als Roth nach dem Konzert Interviews gibt, zählen die Journalisten, wie oft sie „früher als Ton-Steine-Scherben-Managerin“ sagt. Bei Erwähnung Nummer 230 geben die Berichterstatter erschöpft auf. Weil mit Anton Hofreiter niemand aus der Meute der Hauptstadt-Journaille sprechen will, geht der ein Bier trinken. Seine bislang größte Tat – und wieder hat’s niemand gesehen.

Bekommt die CSU „Im Wagen vor mir fährt ein junges Mädchen“?

  • Alexander Dobrindt und Horst Seehofer versuchen derweil hinter den Kulissen irgendwie zu bewerkstelligen, dass für sie Henry Valentino eingeladen wird, wegen „Im Wagen vor mir“. Das wäre doch ein Coup, schwärmt Seehofer vor Journalisten. „Auch gendermäßig“, giggelt er. Die Presseleute amüsiert das sehr. Wer, denken sie, traut sich heute schon noch so schöne Altherrenwitze zu machen, außer Seehofer oder Rainer Brüderle.

Kurze Zeit sieht es dann so aus, als könnte es zu einem sensationellen Auftritt der Pet Shop Boys oder zu einer Wiederauferstehung von Bronski Beat kommen. Letztlich findet sich aber doch niemand. „CSU, was ist das denn?“, ist noch die mildeste Reaktion bei vielen der Angefragten.

Ein Song auch für die FDP? Lieber nee!

  • Nach der ersten Runde des Spektakels „Sänger beschimpfen Parteien im Bundestag“ beschwert sich die FDP, dass sie weder beleidigt noch besungen wurde. Ihr irrlichterndes Nordgesicht Wolfgang Kubicki sagt den Kieler Nachrichten, dass sich im Bundestag ja ohnehin nur „Trinker und Hurensöhne“ aufhielten und „die Frauen aussehen wie die Landschaften in Kriegsfilmen“. Er droht einen „Marsch nach Karlsruhe“ an, worauf ihm Gregor Gysi – gut gelaunt und „unter Anwaltskollegen“ – ein Paar Wanderschuhe schenkt.

Allein diese letzte leicht auszumalende Konsequenz eines Biermann-Auftritts im Bundestag hätte Ersatz-Kaiser, äh Ersatz-Bundespräsident, Norbert Lammert davon abhalten sollen, den Barden zu laden. Abzug in der B-Note!

Zeigen Politik, Gesellschaft, Medien und PR-Salat-Verkäufer ausreichend Grazie, wenn sie ihre Tätigkeit in Wort, Schrift, Bild und Hosenanzug ausführen? So wie das für Eiskunstläufer festgestellt wird, will Marcus Müller es in seiner Kolumne B-NOTE über unser Öffentlichkeitspersonal herausfinden.

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