B-NOTE 06 | Ahnungslos in Uniform?

Von Marcus Müller 

debattiersalon | B-Note | Logo: Katharina Greve © 2013Als ich neulich eine Meldung der Berliner Polizei las, tat ich das nicht in der Hoffnung auf besondere Sprachakrobatik. Es lockte vielmehr die, ja, Schadenfreude, dass sich in Berlin-Lichtenberg die saufenden Rechtsradikalen jetzt offenbar gegenseitig vermöbeln. Allerdings kamen mir doch Zweifel, ob auch die Berliner Polizei wenigstens ein bisschen meine Abscheu gegen Neonazis teilt. Denn in der ersten Online-Pressemitteilung auf dem offiziellen Berlin-Portal berlin.de hieß es zur Beschreibung des „Sachverhalts“, der den eintreffenden Polizisten geschildert worden sei, dass ein 46-Jähriger sich in einer Kneipe zu anderen zum Feiern gesellte. Er „sympathisierte mit der Gruppe, die wiederholt den Deutschen Gruß zeigte und auch lautstark fremdenfeindliche und antisemitische Sprüche skandierten [sic]“, bis er von einem Mann aus der Gruppe mehrmals an den Kopf geschlagen worden sei. Das Hochrecken des rechten Armes heißt also bei der Berliner Polizei in Pressemitteilungen so, wie schon die Nationalsozialisten es nannten: „Deutscher Gruß“.

debattiersalon | Screenshot Pressemitteilung Polizei Berlin | B-NOTEDas ist schon bemerkenswert in Zeiten, in denen nach dem Aufklären der angeblichen „Dönermorde“ nicht nur die Machenschaften einer rechtsradikalen Terrorgruppe allein fassungslos machen. Sondern auch der trampelhafte Umgang der Behörden mit dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU), vor und nach dessen Auffliegen. Es sei beispielhaft nur mal an angeblich zufällig an Anschlagsorten anwesende Beamte des Verfassungsschutzes, die Befragung von Wahrsagern oder das irgendwie allzu passend unpassende Schreddern von Akten erinnert; überdies reicht die Vorstellung, dass deutsche Polizisten Mitglied im Ku-Klux-Klan waren, für ausreichendes Unbehagen. Und in der zitierten Berliner Meldung ist nun mindestens ein Mangel an politischer und sonstiger Bildung zu besichtigen, wenn nicht Schlimmeres. Eine bessere Werbung für Verschwörungstheorien ist in diesem Land jedenfalls selten betrieben worden.

Natürlich höre ich schon die Schreie der um die Ecke kommenden Jan-Fleischhauer-Fans dieses Landes: Was soll man denn noch alles aus der Sprache tilgen, das führt schnurstracks in die Trottelsprache!

Und, ja, haben nicht die heutigen Sprachpolizisten früher selbst „Reichskristallnacht“ gesagt? Was angesichts der Verbrechen, um die es geht, unbestreitbar ein lupenreiner Nazi-Propaganda-Spruch ist?

Wer so auf die Dinge schaut, den muss ich jedoch enttäuschen: Irgendwem ist in der Berliner Polizei dann doch noch aufgefallen, dass der „Deutsche Gruß“ vielleicht etwas fehl am Platz war – und hat auf berlin.de einen „Hitlergruß“ draus gemacht. Klammheimlich versteht sich, auf dass der Fehltritt in den Tiefen des Internets versinke. Nicht, dass am Ende noch jemand denkt, in den Behörden dieses Landes gehe es politisch höchst fragwürdig zu! Inzwischen ist die Meldung unter ihrer alten Adresse gar nicht mehr abrufbar. Als kleine Denksportaufgabe sei noch gefragt, liebe Berliner Polizei, was passiert, wenn demnächst jemand bei einem Massenmord von „Endlösung“ oder „Sonderbehandlung“ faselt? Einfach so in die Pressemitteilung hineinschreiben, als eigene abstrakte Zusammenfassung, oder lieber nicht?

Bis zur Antwort darauf gibt es: einen Abzug in der B-Note, wegen leider sehr mitteilsamer Ahnungslosigkeit.

Zeigen Politik, Gesellschaft, Medien und PR-Salat-Verkäufer ausreichend Grazie, wenn sie ihre Tätigkeit in Wort, Schrift, Bild und Hosenanzug ausführen? So wie das für Eiskunstläufer festgestellt wird, will Marcus Müller das in seiner Kolumne B-NOTE über unser Öffentlichkeitspersonal für den debattiersalon herausfinden. Zugegeben: Die taz war mit ihrer Dachzeile für die Olympia-Berichterstattung 2012 schneller mit der B-Note; aber, hey, das waren die Sprinter aus der Sportredaktion!

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