Von Michael Kraske
Ich hatte einen Traum. Darin pflanzten sich der Geist von Sibylle Lewitscharoff und der von Thilo Sarrazin fort. Und heraus kamen erstaunlicherweise keine kleinen Freigeister mit übermenschlichen Attributen, sondern hässliche, spießige Angsthasen. Der eine oder andere wird stutzen. An Thilo, den Hobby-Eugeniker, erinnern sich noch viele. Aber Sibylle Lewiwer? Richtig, bis vor kurzem kannte den Namen bis auf einige Literaturpreisjuryhanseln kaum jemand. Bis sie, ja bis sie am 2. März im Dresdner Staatsschauspiel ihre Abscheu vor Menschen, dem Leben und der Würde kundtat, „weil mir das gegenwärtige Fortpflanzungsgemurkse derart widerwärtig erscheint, dass ich sogar geneigt bin, Kinder, die auf solch abartigen Wegen entstanden sind, als Halbwesen anzusehen. Nicht ganz echt sind sie in meinen Augen, sondern zweifelhafte Geschöpfe, halb Mensch, halb künstliches Weißnichtwas.“ Zweifelhafte Geschöpfe. Halbwesen. Mit Halbwesen meinte sie übrigens Kinder, die durch künstliche Befruchtung gezeugt werden. Brauner Menschenverächter-Slang vom allerunfeinsten.
Man merkt dem Dresdner Gerede der hochdekorierten Schriftstellerin und Büchner-Preisträgerin an, dass sie eigentlich gar nichts zu sagen hat, kein Thema, nur einen großen Schwall heißer, schmutziger Luft. Ihr grotesker Menschenhass gepaart mit pseudo-intellektuellem Zivilisations-Ekel entspringt dem verzweifelten Versuch, einen kalkulierten Tabubruch hinzulegen, der aus Sibylle Weißnichtwer schlagartig die allseits bekannte Tabubrecherin macht. Eine aus der Kategorie: Endlich sagt´s mal eine! Aber mit der Rüpel-PR in eigener Sache ist das so eine Sache.
Während das Kalkül beim eugenikbegeisterten Thilo aufging, weil er mit seiner Theorie der dummen, das deutsche Urvolk vernichtenden Migranten einen Nerv beim Normalbürger traf, schämt man sich bei Sibylle Lewitscharoff nur noch fremd. Was bringt einen denkenden Menschen dazu, so fragt man sich, andere Menschen als „Halbwesen“ und „zweifelhafte Geschöpfe“ zu bezeichnen? Welche Übermenschenfantasien sind da heran gereift, während man Sibylle L. mit Preisen und Auszeichnungen und Ehrungen zugeschüttet und damit offenbar die Vorstellung einer geistigen Überfliegerin in ihr gezeugt hat?
Den Schlüssel zu dieser Frage liefert möglicherweise Lewitscharoffs Sympathie für das „biblische Onanieverbot“. Angesichts des ausgebrüteten Menschenhasses fällt es ihr offenbar schwer, sich selbst lieb zu haben. Und wer sich selbst nicht lieb hat, kann auch keine Liebe geben, nicht mal Respekt. Das ersehnte Verbot, sich selbst lieb zu haben, ist also nachvollziehbar, aber offenbar kontraproduktiv, um im verquasten Jargon zu bleiben. Vielleicht sollten es die Kreuzritter übermenschlicher Gedankenspiele um Fortpflanzung, Voll- und Halbwesen mal mit einer einfachen Übung versuchen: Sich einfach mal nach allen Regeln der Kunst selbst lieb haben. Dann könnte man sich und uns so manche geistige Selbstbefriedigung auf Kosten anderer ersparen.