Ashton und der Geist des Antisemitismus

Von Marion Kraske

Noch zu retten? Da fährt ein bewaffneter Täter gezielt vor eine jüdische Schule in Toulouse, morgens um 8 Uhr, wenn Kinder und Lehrer dort eintrudeln, eröffnet das Feuer, schießt erst den Lehrer nieder, dann geht er auf das Schulgelände und ballert dort wahllos um sich, drei Kinder sterben. Ein Alptraum.
Es war nicht irgend eine Schule, die sich der Täter ausgesucht hatte, es war die staatliche jüdische Schule, die unweit der Holocaust-Gedenkstätte „Memorial de la Shoah“ liegt.
Tage zuvor waren – mutmaßlich vom selben Täter – drei Soldaten aus Nordafrika getötet worden. Nach den deutschen Rechts-Terroristen hat auch im Nachbarland ein Terrorist mit extremistischer Gesinnung zugeschlagen. Es ist, wie hierzulande auch, ein Anschlag auf die innere Verfasstheit Frankreichs.
Und was fällt der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton angesichts der Mordtaten ein? Sie zieht Vergleiche krudester Art: „Wenn wir daran denken, was heute in Toulouse passiert ist, erinnern wir uns daran, was letztes Jahr in Norwegen passiert ist, wir wissen was momentan in Syrien passiert und wir sehen, was in Gaza und an anderen Orten passiert, wir denken an junge Menschen und Kinder, die ihr Leben verloren haben.”
Noch zu retten? Jene Politikerin, die Europa nach außen vertritt, die Europa eine einheitliche Stimme verleihen soll, vergreift sich im Angesicht einer derartigen Tat im Ton.
Sicher, in Norwegen war ein mutmaßlich geisteskranker Mann am Werke, der seine rassistisch angehauchten Wahnvorstellungen in die Tat umsetzte. In Syrien metzelt ein krimineller Kleptokrat sein eigenes Volk nieder – darunter, ja, auch Kinder. Und auch im Gaza-Streifen sterben Kinder, durch die Angriffe der israelischen Luftangriffe.
Und doch verbietet sich ein Vergleich wie dieser.
Es stimmt: Auch die Schüler in Norwegen wurden Opfer eines rassistischen Fanatikers. Zusammen mit den Taten der NSU belegen sie einmal mehr, wie gefährlich und menschenverachtend der lange Zeit in Deutschland und auch in anderen Ländern des Kontinents ignorierte und verharmloste Rechtsextremismus tatsächlich ist.
Wäre es Ashton um eine derartige Einordnung gegangen, wäre ihr an einer Analyse dieser Morde aus Fremdenhass und Rassismus gegangen, wäre es ihr darum gegangen, eine grenzüberschreitende Zunahme von gefährlichen Ressentiments zu geißeln – es hätte ihr gut zu Gesicht gestanden. Es hätte Europa gut zu Gesicht gestanden.
Diese Analyse aber blieb aus.
Statt dessen klaubte Ashton hier und dort reflexhaft ein paar Tote zusammen (im Übrigen noch vor der Vernehmung des Täters), was man eben so sagt, wenn eigentlich die Worte fehlen. Mit dieser wilden Auswahl an Geschehnissen aber macht sich Ashton schuldig: Sie verharmlost den Tod an jungen Juden durch den Tod an jungen Palästinensern. Und übernimmt damit jene Motive, die der junge Mann nun selber als Erklärung für das Blutbad lieferte. Bei Verhandlungen mit Sicherheitskräften erklärte der 24-Jährige, der sich in einem Haus verbarrikadierte, dass er mit Al-Quaida verbunden sei und Rache nehmen wollte für getötete palästinensische Kinder.
Ashtons Reflex ist ein beliebtes Motiv der rechtsextremen Szene, der Ewiggestrigen, die den Holocaust leugnen. Es ist ein klar antisemitisches Motiv – die Taten an Juden werden flugs mit den Taten bzw. Verbrechen der Juden aufgerechnet. Da werden falsche historische Vergleiche geliefert, die Verfolgung der Juden in Zweifel gezogen, mal die Schuld am Holocaust den Opfern selber zugeschrieben. Oder aber die Zahl der Opfer klein gerechnet – mit Hilfe natürlich überaus versierter „Historiker“.
All das ist zur Genüge bekannt. Umso unerträglicher, dass sich ausgerechnet die EU-Außenbeauftragte ähnlicher Argumentationslinien bedient. Unbewusst womöglich – man mag ihr wenigstens dies zu gute halten. Und dennoch: Ashtons Äußerungen sind ein Armutszeugnis, sie zeugen wahlweise von mangelnder Sensibilität bei einem hoch sensiblen Thema oder von Sorg- bis Ahnungslosigkeit.
Europa – das belegen die Taten in Frankreich, in Norwegen und Deutschland einmal mehr – hat ein Problem mit Rassismus, Fremdenhass und Antisemitismus. Und es hat ein Problem mit neuen Formen des Terrorismus. Eben dieses sollte die EU-Außenbeauftrage zu ihrem Thema machen.

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