Angies Autismus

Von Siegesmund von Ilsemann

Gefahr erkannt – Gefahr gebannt? Jetzt, wo auch die letzten medialen Büchsenspanner der deutschen Kanzlerin nicht länger ignorieren können, dass ihr Schützling ein Problem hat, begeben sie sich auf die Fehlersuche – und werden fündig.
„Ein unterzuckertes Land“ fabuliert Dirk Kurbjuweit im Spiegel und weist seiner Kanzlerin mit sicherer Hand den Weg aus der Krise: „ Reden Sie, Kanzlerin, reden Sie endlich“, rät der Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros der Dame, die einst von ihrem Mentor und Amtsahn Helmut Kohl als „mein Mädchen“ verniedlichend in die Bundespolitik eingeführt worden war.
Das „Mädchen“ vermarkte sich ganz einfach schlecht, findet Kurbjuweit, Angehöriger jener Kaste Berliner Polit- Papparazzi, die sich im Vollbewusstsein ihrer Bedeutung nur allzu gerne nachsagen lassen, es sei ihnen egal, wer unter ihnen der Republik als Regierungschef diene. Ganz leicht dürfte ihm seine Kritik nicht gefallen sein, gehört er doch zu den Journalisten, die ihre Bewunderung für den rasanten Aufstieg der Frau aus dem Osten und ihre politische Potenz nie verhehlt hatten.
Die Apologeten der schwarz-gelben Koalition muss es schmerzhaft getroffen haben, dass ihre Lichtgestalt in der Wählergunst nicht nur hinter SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier gerutscht ist, sondern auch noch von der Partei-Mumie Peer Steinbrück geschlagen werden könnte, sollte der Ex-Finanzminister gegen die Kanzlerin ins Rennen gehen.

Aber liegen Steinbrück und –meier nur deswegen vorn, weil sich Angela schlecht verkauft? Ist es fair, dem hauptamtlichen PR-Mann der Koalition, Regierungssprecher Steffen Seibert, damit zumindest indirekt die Schuld am Berliner Politik-Desaster anzulasten? Wohl kaum, denn der Nachrichtenvorleser des ZDF wurde gewiss nicht wegen seiner politischen Power dem Bundespresseamt vorgesetzt.
Frau Merkel, von Kabarettisten gerne mit hängenden Mundwinkeln als griesgrämig persifliert, hofft vielmehr vom jugendlichen Charme ihres Sprechers zu profitieren. Dass dieses allzu durchsichtige Kalkül bislang nicht aufging, ist weder Schuld von Seibert noch Folge fehlerhafter Vermarktung.
Nicht, weil ihre Politik schlecht verkauft wird, sondern weil sie vom Volk als ungerecht und falsch empfunden wird, gehen die Wähler der Regierung scharenweise von der Fahne. Ihnen ist aufgestoßen, dass die Christ-Liberalen die Hoffnungen, Erwartungen und Forderungen selbst vieler jener Bürger missachten, welche diese Regierung 2009 gewählt haben.
Glauben denn Medien-Granden wie Dirk K. ernsthaft, ein wenig PR-Theater hätte verhindern können, dass der missbrauchte Wähler über die hohlen Phrasen stolpert, mit denen er abgefüttert wurde? „Mehr Netto vom Brutto“ lautete vor zwei Jahren das Wahlkampfmantra der Merkel-Mannschaft. Die Wahrheit hat unterdessen selbst Kurbjuweits eigener Verlag entdeckt: In Deutschland „haben fast alle Arbeitnehmer seit dem Jahr 2000 massiv an Kaufkraft eingebüßt – teilweise bis zu 22 Prozent“, zitierte Spiegel-Online jetzt eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Den Verlust von einem Fünftel der Kaufkraft könnte nicht einmal der potenteste PR-Stratege so wegschminken, dass der geschröpfte Bürger ihn nicht merkt.
Meint Herr K. wirklich, jene fast Dreiviertel der Bundesbürger, die schon seit Jahren den Einsatz deutscher Soldaten am Hindukusch ablehnen, ließen sich mit ein paar schönen Merkel-Worten davon überzeugen, dass Deutschland wirklich am Fuß des Himalaja verteidigt wird? Nicht einmal Merkels überraschender Schwenk zum Atomausstieg wird die Antiatomkraft-Mehrheit in der Bevölkerung vergessen lassen, dass die Regierung zunächst die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken beschlossen hatte, – ohne Rücksicht auf den breiten öffentlichen Widerstand, der sich in den machtvollsten Demonstrationen manifestierte, die Deutschland seit Jahren erlebt hat.
Der Inhalt macht es und nicht die schönen Worte, die Herr K. vermisst. Da einigt sich die Kanzlerin mit Juniorpartner Philipp Rösler auf Steuersenkungen, die nicht nur von ihrem eigenen Finanzminister sondern von mehr als zwei Drittel aller Deutschen rundheraus abgelehnt werden. Hartnäckig kämpfte die Regierung gegen einen Anstieg der Hartz-4-Leistungen von mehr als 5 Euro, weil dafür angeblich das Geld nicht reicht. Gleichzeitig schüttet sie viele Hundert Milliarden Steuer-Euro an zockende Banker aus, die sich beim weltweiten Finanzroulette verspekuliert haben. Mit welchen Floskeln sollten Angie und ihr PR-Steffen diesen Polit-Irrsinn wohl schön reden?
Westerwelles Libyen-Politik, Rüstungsexporte in Krisengebiete, das ziellose Irrlichtern in der Euro-Krise – es brennt an allen Ecken der Merkelschen Politik. Das ist nicht die Zeit für große Reden, wie der Spiegel-Essayist verlangt. Es ist die Zeit für Taten, für eine Politik, welche die Ängste und Bedürfnisse der Menschen ernst nimmt, die Lösungen findet für die Probleme der Zeit, statt schlicht auf den nächsten Wahltag zu schielen.
Gewiss, auch Kurbjuweit stellt einige dieser Fragen. Nur Antworten gibt er keine, rät vielmehr platt: „ Reden Sie, Kanzlerin, reden Sie endlich.“ Es grenzt an Leser-Verhöhnung, wenn man den Menschen in diesem „unterzuckerten Land“ weiszumachen versucht, alles wäre gut, wenn ihnen nur ein wenig mehr Süßes ins Hinterteil geblasen würde.
Fast möchte man rufen: „Denken Sie, Herr K, denken Sie endlich – bevor Sie schreiben.“

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