Am Ende des breiten Rubikons

Von Marcus Müller

Nicht mehr lange? Copyright: Presse und Informationsamt der Bundesregierung

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Man dachte schon, Christian Wulff kommt nie mehr an, am anderen Ufer seines persönlichen, sehr breiten und äußerst trüben Rubikons. Gemessen am Tempo des heutigen Politbetriebes schipperte er schon eine halbe Ewigkeit dahin. Seit zwei Monaten schon erstaunen immer neue Enthüllungen das Publikum. Sie setzten das traurige Unsitten-Bild eines Schnäppchen-Politikers zusammen: Der nicht immer die ganze Wahrheit sagte, der offenbar Amt und persönlichen Vorteil nicht klar trennte, zudem gerne ein bisschen falschen Glanz um die Nase hatte und der schließlich den Sturm um ihn herum weder begreifen noch in klaren Worten aufklären konnte. Mit stoischer Knödeligkeit wies Wulff stattdessen darauf hin, oder ließ darauf hinweisen, dass die jeweils aktuelle Klein-Affäre doch schon längst flussabwärts getrieben sei. Kaum war sein zum Pressesprecher mutierter Anwalt mit dieser Erklärung fertig, da kam auch schon die nächste schmierige Szene daher und die vorherige drehte doch noch einmal einen ordentlichen Wirbel.

Dass dieser so harmlos und fade daherreden-könnende Präsidentendarsteller durchaus robuste Steherqualitäten hat, bewies er mit dem kolportierten Spruch der „Stahlgewitter“, in denen er sich befinde. Allein diese völlig missratene Anleihe bei Ernst Jünger zeigte, wie wenig Wulff trotz öffentlicher Fernseh-Bekundungen verstanden hatte, was eigentlich vorging. Neben dem Verständnis fehlten ihm auch noch die Verhältnismäßigkeit sowie eine angemessene Wortwahl. Und das als Bundespräsident, der exakt diese drei Eigenschaften zur Amtsführung hat und benötigt!

Wulff wird nun nicht nur in die Geschichte eingehen, als Bundespräsident, den man ungestraft Lügner nennen darf, sondern auch als erster Präsident, dessen Immunität aufgehoben werden soll. Die dies beantragende Staatsanwaltschaft Hannover gab ihm damit den letzten Stubser, der Wulff an das andere Ufer seines persönlichen Rubikons brachte – und zurücktreten ließ.

Denn die Umstände für diesen Anfangsverdacht der Vorteilsannahme sind mal wieder kaum grotesker und peinlicher vorzustellen: Es haben also Staatsanwälte zuletzt über die Wahrscheinlichkeit gegrübelt, dass der damalige Ministerpräsident Wulff immer ordentlich Bares in der Tasche hatte, mit denen er Freunde auszahlen konnte. Freunde, die so nett die Hotels gebucht, aber auch eine schöne Landesbürgschaft für ihre Geschäfte erhalten hatten. Klar, unwahrscheinlich muss nicht unwahr bedeuten, und es gilt die Unschuldsvermutung. Die Staatsanwälte werden es sich genauer ansehen, dann wird man es wissen. Doch politisch ist Wulff tot. Wenn er – und alle die ihn zuletzt noch stützten – nicht begriffen hätten, dass er nur noch das Amt beschägte – dann wäre ein Termin beim Amtsarzt fällig gewesen.

Es ist so voller Ironie: In den Kommentaren zum Grundgesetz wird immer vom Amt des Bundespräsidenten gesprochen, das der parlamentarischen Verantwortung entzogen ist. Es wählt ihn nicht, es hat ihm nichts zu sagen. Und der Bundespräsident ist für die Parlamentspraxis nur wichtig, wenn sie selbst in eine Krise geraten ist, also etwa der Bundestag aufgelöst werden muss. Nun ist es umgekehrt: Ausgerechnet der Bundestag wird die Krise dieses Bundespräsidenten verschärfen. Das Parlament wird gar nicht anders können, als seinen Schutz vor Strafermittlungen aufzuheben, sollte er nicht vorher aus dem Amt scheiden. In Grundgesetz-Kommentaren wurde dieser Fall bisher immer nur pflichtschuldig mitreferiert, ohne dass ihm eine echte Bedeutung zugemessen worden wäre. Er ist ohne Beispiel. Er war jahrelang im Prinzip undenkbar. Der bisherige Amtsinhaber setzte neue, ganz eigene, traurige Maßstäbe.

Wulff ist Angela Merkels Bundespräsident. Die Bundeskanzlerin hat ihn aus taktischen Gründen und Machtkalkül ins Amt gehievt. So sehr sie das unsägliche Gewürge seiner Wahl nicht gekratzt und politisch auch nicht beschädigt hat, so hielt sie bis zuletzt ohne eigenen Ansehensverlust auch am schlingernden Wulff fest. Merkel lobte noch vor wenigen Tagen seine „Transparenz“ und behauptete, er werde sein Amt „zum Wohl unseres Landes“ weiter ausfüllen. Damit hat es sich jetzt endgültig.

Aber was kommt jetzt? 30 Tage nach dem Rücktritt muss die Bundesversammlung zusammenkommen und einen Nachfolger wählen. Rechnerisch hat Schwarz-Gelb dort – vor der demnächst anstehenden Wahl im Saarland – noch eine dünne Mehrheit von zwei bis vier Stimmen. Nach dem ersten Drei-Gänge-Fast-Fiasko der Wulff-Wahl mit damals noch 21 Stimmen über der absoluten Mehrheit im Rücken, wird Merkel sich nun in die Arme der SPD flüchten. Das muss bei ihren Teflon-Eigenschaften noch lange keinen Ansehensverlust für sie bedeuten. Schließlich zeigt Merkel seit Jahren, dass ihr fast nichts politisch schadet, was sie doch maßgeblich mit eingebrockt hat – wie eben auch den Bundes-Schnäppchenpräsidenten Wulff.

Es wird sich eher zeigen, ob ausgerechnet der derzeit so deutlich zu spürende schiere Wille der Sozialdemokraten, wieder richtig hohe Ämter in diesem Land mit zu besetzen, ein richtiger Ratgeber bei der neuen Kandidatensuche ist. Es wäre jedenfalls schön, wenn alle daran Beteiligten sich einen der eher trockenen Kommentare zum Grundgesetz aus dem Regal ziehen würden. Dort könnten sie lesen, dass Verfassungsrechtler im Bundespräsidenten seit jeher einen „pouvoir neutre“, eine neutrale Kraft, sehen, die über den Parteien und ihren Kabbeleien steht. So jemand wäre schon deshalb wichtig, weil nach dem Rücktritt Wulffs ausgerechnet der für seine abenteuerlichen Kursschwenks und brutale Taktierereien bekannte Horst Seehofer als amtierender Bundesratspräsident übergangsweise die vakante Stelle des Bundespräsidenten übernommen hat.

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