Alice im Verschwörerland

von Marion Kraske

Wenn ich mir es recht überlege, war sie immer schon da, eigentlich seit ich denken kann, seit frühester Kindheit, ein Leben lang: permanent präsent. Alice Schwarzer, damals noch mit pudeliger Minipli, hat eine ganze Generation von jungen Frauen begleitet, mit deklamatorischem Habitus die Sache eben dieser, also unsere Sache, in der Öffentlichkeit vorangetrieben, tatsächlich oder auch nur gefühlt. Pornoverbot, Abtreibungsrecht, Chancengleichheit, all die Themen, die „frau“ interessieren kann, mehr als 30 Jahre lang. War Helmut Kohl der Betonkanzler meiner Jugend – 16 Jahre, in Demokratien eine Ewigkeit – stand Alice über Jahrzehnte für das teleaffine Perpetuum mobile frauenbewegter Streitkultur. Vorzeigefeministin, wortgewaltig. Und es ist schon so, sie hat, und eben nicht nur gefühlt, dazu beigetragen, dass man über Frauen und ihre Rechte nicht nur spricht. Einiges hat sich getan, nicht nur dank ihr. Aber auch. 

2010, und Alice Schwarzer sitzt immer noch in den einschlägigen Talkshows, die Dauerwelle ausgetauscht durch eine ergraute Platthaar-Frisur, das Gesicht so verbissen wie eh und je. Ein Déjà-vu-Erlebnis jagt das nächste, auch gähnende Langeweile angesichts der nicht enden wollenden Alice-Präsenz. Hat sich tatsächlich so wenig getan an der Frauenfront, dass sie immer noch als relevant erachtet wird, zu all den Frauchen- und Nicht-Frauchen-Themen Stellung zu beziehen? Eine Und-täglich-grüßt-das-Murmeltier-Talkshow-Puppe, von der sich – seien wir doch mal ehrlich – eine Mehrheit, ich zumindest kenne keine, nicht repräsentiert fühlt.

Also für wen spricht sie da? Gegen wen ist schon eindeutiger, ihr neues Buch „Die große Verschleierung“ richtet sich gegen einen äußeren Feind. Es ist seit 1979, seit sie nach Khomeinis Machtergreifung in den Iran reiste, ihr Leib- und Magenthema: Die Bedrohung der Rechte der Frau durch den radikalen Islam. Keine Frage, Islamisten stellen weltweit eine ernste Bedrohung dar. Und so wäre gegen das Ansinnen nichts einzuwenden, wenn Schwarzer ihre Thesen nicht dazu nutzen würde, gegen den Islam als solches zu Felde zu ziehen. Im Kern geht es ihr und ihren Autorinnen um die Frage, ob das Kopftuch einfach nur Kopftuch ist oder eben, wie Schwarzer es formuliert, eine „Flagge des politischen Islam“, der man am besten wie in Frankreich einzig mit Verboten, zumindest im öffentlichen Raum, entgegentreten müsse.

Das Kopftuch steht für die Unterjochung der Frau in der aufgeklärten Hemisphäre. Hinter der Verschleierung, so der Tenor der mitunter zehn Jahre alten und nunmehr recycelten Texte, stecke der Versuch des politisierten Islam, die Welt zu erobern. Überall wittern die aliceschen Gefahrenschreiberinnen islamistische Allmachtsphantasien und Eroberungsstrategien – Macht sei das Motiv, nicht der Glaube –, und wie es sich für eine Fundamentalkritik gehört, ist die Stoßrichtung derart fundamental, dass sich die Grenzen zwischen radikalem und gemäßigtem Islam nebelartig verwischen. So steht der Islam zur Gänze am Pranger, es ist, ähnlich wie bei Sarrazin, eine Tirade ohne Grauzonen, gespickt, ja auch, mit rassistischen Untertönen: Die Muslime sind, wie sie sind. Das altbekannte Leitmotiv: Der Muslim an sich.

Dass es Mädchen oder Frauen gibt, die ihre Kopfbedeckung auch freiwillig tragen – für Schwarzer außerhalb ihrer Vorstellungswelt. Liberale Ansätze, nach denen jeder für sich entscheidet – sie müssen bei einem verschwörungsbelasteten Rigorismus zwangsläufig unter die Räder kommen. Schwarzers Held ist denn auch, ausgerechnet, Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy, der – anders als die Naivlinge mit ihrer „falschen Toleranz“ „sehr pragmatisch und unsentimental“ mit dem Thema Integration umgehe. Burkaverbot. Kopftuchverbot für Schülerinnen. Denunzierung von Migranten. Alles wunderbar im Staate Sarkozy?

Dass der Franzose erst kürzlich Dutzende Roma-Familien samt Frauen und Kindern in einem Akt der Willkür deportieren ließ, scheint die Feministin nicht zu kümmern. Roma haben offenbar weniger Rechte als andere – oder sind im öffentlichen Getümmel schlicht nicht so schlagzeilenträchtig. Im Kampf der Alice Schwarzer für die Rechte der Frauen kommen sie jedenfalls nicht vor.

Der populistisch aufgemotzte Generalverdacht gegen den Islam lässt sich dagegen erfolgreich unters Volk bringen. Er eignet sich indes nicht nur zur Selbstvermarktung, sondern auch zur Bewerbung rechtsextremer Hirnergüsse. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet die bluttriefende FPÖ im Wien-Wahlkampf die Deutsche in einem Inserat für ihre Zwecke verwurstete: Rechtes und vermeintlich richtiges Islambashing (konträre Überzeugungen werden bei Schwarzer apodiktisch als „falsch“ gebrandmarkt) befruchten sich zu einer wilden anti-liberalistischen Symbiose.

Dass die einstige Speerspitze der Frauenaufklärung sich inzwischen auch als Reporterin bei Bild verdingt, dem einst von ihr so verhassten Frauen-Besudelungs-Organ, ist freilich die Krönung. Doch womöglich hat Schwarzer in dem prall gefüllten Massenblatt endlich den erfolgversprechenden Partner im Kampf gegen die Verhüllung der Frau gefunden. Und Eva ward nackt.

http://www.datum.at/1110/stories/echt-krasske

 

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