Afghanistan: Nichts wie raus

Von Siegesmund von Ilsemann

Es geschah in den angespannten Wochen nach dem 11. September 2001. In Washington war der Rachefeldzug einer im Selbstbewusstsein schwer beschädigten Supermacht gegen das kleine Afghanistan längst beschlossen.
Diesseits des Atlantiks hatte Kanzler Gerhard Schröder die Deutschen auf „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA verpflichtet. Da erschien am 1. Oktober ein Spiegel-Titel, in dem vor den unkalkulierbaren Risiken einer Militäraktion am Hindukusch gewarnt wurde.
Das Heft lag kaum in den Auslagen, da erhielt einer der Autoren einen Anruf von einem New Yorker Radiosender. In einer Life-Sendung versuchte der spöttelnde Moderator den tumben Deutschen vorzuführen: Ob der denn wahrhaftig daran zweifle, dass Amerikas GIs die „ragtag army“ der Taliban besiegen würden. Natürlich sei das kein ernsthaftes militärisches Problem, erwiderte der Autor. Doch noch habe keiner von denen, die jetzt so eifrig die Kriegsposaunen blasen, einen überzeugenden Plan dafür vorgelegt, was danach mit dem Land geschehen solle.
Als wenige Wochen später George Bush seinen Sieg über die Islamisten feierte, lud der Sender erneut zum Life-Interview: Ob der Autor denn nun bereit sei, seinen Irrtum einzugestehen, insistierte der triumphierende Moderator. Den Einwand, fürs Jubeln sei es viel zu früh, der Krieg habe gerade erst begonnen, wurde mit kaum unterdrückter Häme beiseite gewischt.
Zum zehnten Jahrestag des Kriegsbeginns hat sich der Sender nicht wieder gemeldet.

Stattdessen zeichneten zu diesem traurigen Jubiläum ausgerechnet Militärs ein zappendusteres Lagebild. Kaum mehr als 50 Prozent der Kriegsziele seien erreicht, klagte General a.D. Stanley McChrystal, selber ab Juni 2009 für ein Jahr US-Befehlshaber in Afghanistan. Und der Grund für das Debakel: „Beängstigend simpel“ sei in amerikanischen Köpfen das Bild jenes Landes gewesen, in dem sie „völlig unvorbereitet“ einen Krieg begonnen hätten: “Wir wussten nicht genug, und wir wissen immer noch nicht genug”.
Sein deutscher Waffenkamerad Harald Kujat, ebenfalls General a.D. und 2001 als Generalinspekteur der Bundeswehr und deren ranghöchster Soldat verantwortlich für die Planung des deutschen Einsatzes am Hindukusch, spricht zum Jahrstag gar vom „Scheitern“: “Wenn man das Ziel zum Maßstab nimmt, ein Land und eine Region zu stabilisieren, dann ist dieser Einsatz gescheitert.” Kujats Prognose: “Wenn wir 2014 aus Afghanistan rausgegangen sind, dann werden die Taliban die Macht in wenigen Monaten wieder übernehmen.”
Mehr als 30000 Menschenleben, eine vermutlich sechsstellige Anzahl von physisch und/oder psychisch Kriegsversehrten sowie Jahr für Jahr mindestens 100 Milliarden Steuer-Dollar für die Illusion verschleudert, man könne mal eben eine in teilweise mittelalterlichen Strukturen lebende Nation mit Waffengewalt in eine moderne Demokratie verwandeln.
Heute, zehn Jahre nach dem Sündenfall denken alle, die glaubten, relativ gefahrlos an der Seite des großen Bündnispartners Afghanistan als Hort des Terrorismus abstrafen zu können, nur noch daran, wie sie möglichst schnell und so gefahr- wie geräuschlos wieder abziehen können von diesem Schlachtfeld zerbombter Hoffnungen.
Kategorisch erklärt der deutsche Afghanistan-Beauftragte Michael Steiner zum Einsatz der Bundeswehr so fern der Heimat wie nie zuvor: “Der Abzug wird bis Ende 2014 abgeschlossen sein.” Keiner spricht mehr über die deutsche Sicherheit, von der der damalige Verteidigungsminister Peter Struck 2001 noch behauptet hatte, sie müsse „am Hindukusch verteidigt“ werden. Statt der einst dafür geschätzten 5,5 Milliarden Euro hat der Bundeswehreinsatz bereits über 17 Milliarden Euro verschlungen. 52 Bundeswehrsoldaten bezahlten diesen Irrsinn bislang mit ihrem Leben, viele mehr mit ihrer Gesundheit.
Der Nordatlantikpakt, nach eigenem Lob das „erfolgreichste Militärbündnis der Welt“, ist 2001 am Hindukusch mit wehenden Fahnen in das gleiche Debakel marschiert, das am selben Ort alle anderen Invasoren erlitten haben. Alexander der Große, das britische Imperium und die hochgerüstete rote Supermacht Sowjetunion – sie alle mussten geschlagen die Täler und Pässe Afghanistans räumen, dessen Bewohner sich – aller ethnischen Zerrissenheit zum Trotz – ausländischer Eroberer noch stets erfolgreich zu erwehren wussten. Diese überdeutlichen Warnungen der Geschichte wurden ignoriert. Kläglich gescheitert, bleibt nun nur noch der Rückzug.
Wenn jetzt Nato-Politiker von „verbesserter Sicherheitslage“ schwadronieren, die es erlaube die Verantwortung nun in afghanische Hände zu übergeben, machen sie sich Mut mit ganz lautem Pfeifen im Wald. Verglichen damit, ist Handauflegen eine anerkannte Therapie der Schulmedizin.
Nicht nur die alarmierenden Bekenntnisse verantwortlicher Militärs künden vom Gegenteil. Jahr für Jahr steigen die Opferzahlen auf neue Rekordhöhen in dem geschundenen Land, das seit mehr als drei Jahrzehnten praktisch ununterbrochen im Kriegszustand leben muss.
Zurück lässt der Westen eine korrupte Marionettenregierung, die nicht einmal ihre eigene Hauptstadt wirklich kontrolliert. Weite Landstriche werden von den Taliban, schwer bewaffneten Banden der verschiedensten Warlords oder ganz einfach kriminellen Verbrecherbanden beherrscht.
Unter diesen Vorzeichen werden nicht einmal die wenigen Fortschritte im Land – Schulen, Krankenhäuser allerlei andere lokale Strukturverbesserungen – den Abzug der westlichen Truppen unbeschadet überstehen.
Afghanistan wie auch Irak haben erneut bewiesen, dass Krieg eben nicht nur die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, wie der große Stratege Clausewitz einst meinte. Er ist ganz einfach das untauglichste Mittel politische und gesellschaftliche Konflikte zu lösen. Das Einzige, was Krieg schafft, ist ein ins Unübersehbare wachsendes Heer von Opfern.

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