Ach, Arnulf!

Von Michael Kraske

Die Burschen marschierten mit ihren Fackeln und Fahnen zur Wartburg hoch, was wieder schön gespenstisch aussah. Sie sangen wie immer alle drei Strophen des Deutschlandliedes ab, natürlich auch „Deutschland, Deutschland über alles“. Man kann ja schließlich nichts dafür, dass die Nazis die erste Zeile ein bisschen zu wörtlich genommen haben.
Als Gastredner luden sie zum Burschentag den Historiker Arnulf Baring ein, der von Anne Will und anderen TV-Plaudertaschen im vergangenen Jahr acht Mal zum Welterklären eingeladen wurde. Damit ist Baring in etwa so unvermeidlich wie Hans-Ulrich Jörges oder Hans-Olaf Henkel. Da sitzt Baring dann also in der Talkrunde wie ein grantelnder, griesgrämiger Onkel, den man auf der Familienfeier erträgt, obwohl er sich nicht mal bemüht, sympathisch zu sein, der stattdessen zu sagen glaubt, was sich sonst keiner zu sagen traut. Über alles und jeden, über Gott, die Welt und mit Vorliebe über Deutschland.
Den bierselig begeisterten Burschen erklärte Baring beim feierlichen Kommers, wie Deutschland so mir nichts dir nichts zwei Weltkriege passiert sind: „Wir haben die beiden Weltkriege im Grunde nicht vermeiden können.“ Wir, damit können nur Deutschland und die Deutschen gemeint sein. Man muss schon sehr burschenschaftlich und sehr bierselig gestimmt sein, um diese Geschichtsklitterung beklatschen zu können.
Den Ersten Weltkrieg hätten „wir“, so Baring, „mit großem Zittern und Zagen auf uns zukommen sehen, ohne dass wir das wirklich beeinflussen konnten“. Das ist die Variation der alten Schlitter-These, die bei deutschen Historikern sehr beliebt war, als der junge Arnulf noch nicht den bösen Onkel gab. Vor 50 Jahren jedoch, im Jahr 1961, veröffentlichte der Historiker Fritz Fischer sein Buch „Griff nach der Weltmacht“, wo er plausibel darlegte, wie das Deutsche Kaiserreich den Krieg wollte und ansteuerte, bis zur verhängnisvollen Blanko-Vollmacht für Österreich-Ungarn. Das Buch löste eine heftige Kontroverse aus, aber die allgemeine Schlitter-These, in der Verantwortlichkeiten nicht existieren, war vom Tisch. Baring aber tischt den alten Brei, gewürzt mit einem kräftigen Schuss nationalem Schuldunbewusstsein, nach 50 Jahren wieder genüsslich auf. Man kann das beachtliches Beharrungsvermögen nennen oder Starrsinn.
Noch befremdlicher ist, was Baring den Burschen über den Zweiten Weltkrieg einschenkt: „…bei dem zweiten war unser österreichischer Landsmann, der sich da ins Zeug gelegt hat, sehr schlecht beraten, weil er nun alles auf eine Karte gesetzt hat, der von vorneherein klar war, dass das nichts werden konnte.“ Der Bezugsfehler, der das Zitat gegen Ende hin dem gedanklichen Kauderwelsch gefährlich nahe bringt, lässt sich noch als liebenswürdige Schrulligkeit abtun. Der inhaltliche Kern nicht. Der nationalsozialistische Angriffskrieg war, folgt man Baring, aufgrund der absehbaren Erfolglosigkeit falsch. Stellt sich die Frage: Wären millionenfacher Rassenmord, Versklavung und mörderische Lebensraumgewinnung im Osten bei guten Erfolgsaussichten akzeptable Projekte? Baring, Bier und Burschen ergeben zusammen ein peinliches Gemisch. Der Gutmütige mag denken: Ach, Arnulf, lass gut sein, es glaubt dir eh keiner, dass der Zweite Weltkrieg nichts mit Deutschland und den Deutschen zu tun hatte. Die hunderttausendfache persönliche Schuld von Tätern mit und ohne Uniform ist mittlerweile Allgemeinbildung. Das Märchen von der sauberen Wehrmacht als solches entlarvt. Der Talkshow-Dauerschauer könnte sich fragen, warum er sich die Welt von einem erklären lassen sollte, der unfein säuberlich zwischen Hitlers Verbrechen und den unschuldigen Deutschen unterscheidet. Anne Will und Maybritt Illner müssen sich fragen lassen, warum sie den geschichtsklitternden Plauderonkel nicht endlich in Rente schicken.

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Eine Antwort auf Ach, Arnulf!

  1. Lottie sagt:

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