„Lernt das zu schätzen, was ihr nicht verlieren könnt“

Denken wir an Island, kommen uns alte Dichter, lästige Vulkane und kriminelle Banker in den Sinn. Im Ausland kaum bekannt ist der größte Provokateur der Insel: der 65-jährige Rockmusiker Magnús Jónsson, genannt Megas. Erstmals spricht der verehrte wie gehasste Bürgerschreck in einem deutschen Medium über seine krisengeschüttelte Heimat, die isländische Mafia-Republik und die Kraft von Love & Peace

Von Martin Häusler

Haben Sie eigentlich Songs über die Finanzkrise in der Schublade liegen, die Island 2008 in den Abgrund führte? Seitdem ist jedenfalls kein Album von Ihnen erschienen.

Megas: Ich habe über diese Krise schon in den 70ern gesungen. Davon handelten all meine Lieder. Eine derart gestrickte Gesellschaft kann nur so enden.

Sie haben den Crash kommen sehen?

Megas: Ich habe sein Kommen gespürt, ja. Und nicht nur ich. Jemand hat mal von Island als Mafia-Republik gesprochen, und das stimmt.

Mafia-Republik, weil das Volk recht klein ist und man sich untereinander zu gut kennt?

Megas: Ja, genau. Erreicht man bestimmte Positionen, wird hier sofort die eigene Verwandtschaft und der Freundeskreis bedacht und geschützt. So ein Gebilde hält höchstens 50 Jahre. Dann muss es zwangsläufig vor die Hunde gehen.

Die große Frage ist, ob es einen Crash braucht oder ob die Menschen nicht vorher in der Lage sind, das Ruder herumzureißen?

Megas: Nein, die Crashs braucht es wohl. Diese mafiösen Strukturen, diese Verbindungen zwischen Politik, Banken und Industrie, waren ja bekannt, und sie haben ins komplette Chaos geführt. Menschen konnten im Ausland Schulden machen zu Lasten unserer Währung, und das politische System ließ das zu, weil es selber mit drin steckte.

Glauben Sie, dass der Schock stark genug war, etwas im Bewusstsein Ihrer Landsleute verändert zu haben?

Megas: Offensichtlich hat dieser Schock nicht ausgereicht. Die Tycoons und Millionäre haben zwar nicht mehr die gleichen Möglichkeiten wie noch vor drei Jahren, aber jeder überlegt nach wie vor, wie man sich am besten seine Pfründe zu sichern vermag. Und die meisten Schuldigen laufen weiterhin frei herum.

Zumindest die Hauptstadt Reykjavik wird seit über einem Jahr von Künstlern regiert, von Rebellen, die aus Ihrem Milieu stammen. Das muss Sie doch zufrieden stimmen.

Megas: Ich bin zufrieden. Unter den Umständen ist die Spaß-Partei von Jon Gnarr wohl eine anständige, wenn auch nicht die beste Lösung. Ich befürchte, dass hinter ihnen noch immer die alten Herrschaften stehen und sagen was gut ist und was nicht.

Was wäre denn Ihre Ideallösung für Island? In Deutschland hatten wir vor kurzem die Diskussion, ob denn der Kommunismus eine Renaissance zu erwarten hat.

Megas: Sicher nicht. Der Kommunismus kollabierte, der Kapitalismus explodierte, und die Demokratie wurde bisher nach den Vorstellungen der Amerikaner ausgelegt. Stecken nicht in dem Begriff „democracy“ die Wörter „to mock“ (vorgeben etwas zu sein) und „to be crazy“ (verrückt sein)? Ich sehe leider den Faschismus wiederkommen. Sehen Sie, Europa rückt zusammen, gegen die arabische Welt wird Hass geschürt und gegen China die Angst. Selbst in den Regierungen skandinavischer Staaten wie Dänemark gibt es faschistische Elemente. Und hier in Island werden willkürlich Prozesse gegen Menschen geführt, nur um der Bevölkerung zu zeigen, wie man sich zu benehmen hat. Die Isländer sind sehr regierungshörig und regierungsgläubig. So funktioniert es seit Jahrzehnten: Es braucht hier keine Gesetze, man muss den Leuten nur zeigen, wie die Dinge zu sein haben. Der Rest kommt von allein.

Das klingt nach Führerglauben. Ist der etwa Teil der isländischen Seele?

Megas: Es gibt keine isländische Seele. Als unsere Vorfahren im 14. Jahrhundert die Sagas aufschrieben, gingen hier drastisch die Temperaturen runter.

Sie meinen das Klimaphänomen, das wir gemeinhin als „kleine Eiszeit“ bezeichnen?

Megas: Ja. Ich habe den Eindruck, dass die Gehirne der isländischen Bevölkerung damals eingefroren sind. Im 19. Jahrhundert wurde es zwar wieder wärmer, aber die Köpfe vieler Isländer haben von dem Tauprozess bis heute nichts abgekriegt.

Welche Rolle spielen Sie als isländischer Bob Dylan im Anheizen geistiger Tauprozesse?

Megas: Mein einziger Job ist, Fragezeichen in die gefrorenen Köpfe zu setzen. Fragezeichen, die dazu führen, dass sich die Bürger dieser Insel fragen, warum sie eigentlich wie handeln. Warum sie eigentlich auf was hören. Was das eigentlich bedeutet, auf was sie hören. Vielleicht ist es ja falsch?

Was halten Sie etwa von Revolution – als Folge kollektiver Tauprozesse? Die Menschen gehen weltweit wieder auf die Straße.

Megas: Aber meistens führt das doch zu nichts. Ich glaube, das Hauptübel sind immer noch die USA. Sie halten sich an keine Gesetze. Sie tun alles, um ihre Form von Demokratie in die Welt zu bringen, und darunter versteht man dort nicht unbedingt Frieden. Die USA halten künstlich Kriege am Laufen, denn sie sind abhängig von ihnen. Kriege sind nun mal ein großer Wirtschaftsfaktor. Präsidenten, die ihr Land aus diesen Kreisläufen lösen wollten, erging es nicht gut. Hatte Barack Obama nicht versprochen, Guantanamo zu schließen? Gibt es diesen Knast nicht immer noch? Scheinbar kann auch er manche Dinge nicht durchsetzen.

Und was ist mit dem Traum vom Weltfrieden?

Megas: Ich glaube nicht, dass dieses Stadium einmal erreicht sein wird. Dafür haben zu viele gestörte Geister mitzureden.

Das ganze Engagement Ihrer musikalischen Idole für die Katz? „All you need is Love“ und „Give Peace a Chance“ nutzlos?

Megas: Die Songs waren nett gemeint, aber sie waren doch eher Pipedreams.

Pipedreams?

Megas: Sie wissen nicht, was ein Pipedream ist?

Nein.

Megas: Den bekommen Sie, wenn Sie Opium rauchen.

Das ist gemein. Sie haben doch neulich bei einem Dinner in Reykjavik neben Yoko Ono gesessen, die sich ihr Leben lang für den Frieden eingesetzt hat.

Megas: Es war ein wunderbarer Abend, und der Frieden lag tatsächlich in der Luft. Ich glaube ja auch, dass man mit bedeutungsvollen Sätzen wie „Peace in the World or the World in Pieces“ etwas in den Köpfen der Menschen bewegen und Propaganda machen kann. Man muss sie nur oft genug wiederholen.

Wie ein Mantra.

Megas: Wie ein Mantra.

Wie lautet Ihr Mantra?

Megas: Oft wurden Refrains meiner eigenen Songs zu Mantras. Aber, wissen Sie, ich war damals etwas älter als die Hippie-Generation, die nach Love and Peace schrie. Ich war nicht dagegen, aber mir war bewusst, dass diese Sehnsucht wohl eine Illusion bleiben wird. Schauen Sie nur ins Fernsehen oder ins Internet. Ich habe keinen Fernseher und auch keinen Netzanschluss, aber wenn ich bei Freunden mal dort hineinblicke, schreckt mich die Berichterstattung über das Töten jedes Mal aufs Neue. Wie muss das Bild von der Welt erst von Menschen aussehen, die jede Sekunde Zugang zu diesen Medien haben? In diesem Sinne wird das Internet missbraucht.

Es kann jedenfalls Ängste schüren, und Ängste machen unfrei.

Megas: Ja, und die meisten merken nicht, dass sie eigentlich in einem Gefängnis sitzen. Was ist denn mit den Terrorismus-Gesetzen in Amerika? Fühlen sich die Bürger dort unfrei? Fühlen sie sich dadurch in ihren Bürgerrechten beschnitten? Da der Strom von Informationen übers Internet nicht abreißt, kommen die Leute gar nicht mehr ans Nachdenken. Sie werden betäubt und blöde. 1935 sorgte eine Nachricht aus Deutschland in halb Europa, und auch hier in Island, für massiven Protest: Eine Mutter von fünf Kindern sollte in Berlin geköpft werden, weil sie sich gegen Adolf Hitler geäußert hatte. Heute wäre ein solcher Protest undenkbar. Jeden Tag passieren solche Grausamkeiten, und niemand sagt etwas.

Wann werden Sie nun wieder das Wort an Ihr Publikum richten?

Megas: Recht bald. In meinem nächsten Album wird es nicht darum gehen, was wir verloren haben, sondern darum, was uns geblieben ist. Das wird die Moral sein: Lernt das zu schätzen, was ihr nicht verlieren könnt!

Wird auch das deutsche Publikum Ihre Lieder live zu hören bekommen?

Megas: Ich hätte große Lust, in Berlin zu spielen. Ich bin dort ein einziges Mal aufgetreten, Jahre her. Die Leute werden kaum etwas von meinen isländischen Texten verstanden haben.

Gab es zumindest Applaus?

Megas: Ja, sehr viel sogar. Da hat wohl eine urgermanische Magie gewirkt.

Wer brachte Sie eigentlich im armen und kargen Island der 50er Jahre auf die künstlerische Bahn?

Megas: Zwei große Legenden: Elvis Presley und der isländische Schriftsteller Halldor Laxness.

Der King und der Nobelpreisträger stehen nicht gerade für den gleichen Anspruch.

Megas: Das stimmt, aber sie liefen zeitgleich im Radio. Als ich elf Jahre alt war, brachte Elvis seine erste Platte raus. Die Rundfunksender spielten unablässig „Don’t be cruel“, und Halldor Laxness rezitierte parallel seinen Roman „Gerpla“. Da waren zum einen diese modernen, schnellen und knappen Texte von Elvis und zum anderen die langen Sätze von Laxness, der sich in seinem Erzählstil an den mittelalterlichen Sagas unseres Landes orientierte und die große Kunst verstand, neue Wörter zu erfinden. Elvis und Laxness. Die beiden machten mich radiosüchtig.

Und sie brachten Sie dazu, selber zu texten?

Megas: Es gab eine Gitarre und ein Klavier bei uns zuhause, und, ja, genau in dieser Zeit schrieb ich meine ersten Lieder und Gedichte. Als Elvis 1958 zum Militär einzogen wurde und eine musikalische Pause einlegte, fühlte ich mich, als hätte ich Vater und Mutter verloren. Es war grausam. Mein Interesse an Pop-Musik ließ nach, und ich schenkte dem Folk und auch der Klassik Beachtung. Pop hielt ich plötzlich für niveaulos. Dann kamen die Beatles…

Ein Evolutionssprung im Vergleich zu Elvis.

Megas: Ich musste zugeben, dass ich mich mit meiner Meinung über den Pop geirrt hatte. Besonders die Stücke auf „A hard day’s night“ hatten es mir angetan. Es gesellten sich die Stones hinzu, die Kinks, Donovan und natürlich Bob Dylan. Von ihm lernte ich wohl am meisten.

Musikalisch?

Megas: Nein, diese Art von Musik hatte ich bereits in meinen Venen. Es waren seine Texte. Sie waren surreal und blickten kritisch auf die aktuellen Zustände. Die Einstiegsdroge für meine Liebe zu Dylan war die Platte „Bringing it all back home“ aus dem Jahre 1965.

Darauf Songs wie „Gates of Eden“ oder „It’s alright, Ma (I’m only bleeding)“, in denen er ein düsteres Portrait der korrupten Politik und der durchkommerzialisierten amerikanischen Gesellschaft zeichnet.

Megas: Fantastisch. Und ich merkte, dass man Lyrik und Musik zusammenbringen kann, dass man Liedtexte nicht unbedingt auf vier bis acht Zeilen komprimieren muss, sondern auch in Popsongs lange Geschichten erzählen kann.

Wann gingen Sie mit Ihrer Musik das erste Mal an die Öffentlichkeit?

Megas: Erst 1968, und zwar für den Marxistischen Club hier in Reykjavik. Wenig später gab es ein Kunstfestival, bei dem ich drei Songs spielte. Ich war so schüchtern, dass ich dem Publikum meinen Rücken zukehrte. Man verstand kaum etwas, aber doch soviel, dass die erste Reihe empört den Saal verließ. Die Texte wurden nachher diskutiert, und man war sich einig, dass es etwas Skandalöseres in Island noch nie gegeben hatte.

Was um Gottes Willen haben Sie gesungen?

Megas: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was daran so schlimm gewesen sein soll. Ich wollte keinen Skandal provozieren. Ich sang zum Beispiel „Komm mit mir ins Blumenland, Großmutter“.

Das klingt eher lustig. Wovon handelte es?

Megas: Davon, dass Jesus Christus Haschisch verkauft. Heute lachen wir darüber, aber die damalige Musiklandschaft war harmlos, und in Island stand man auf Peter, Paul & Mary.

Sie waren der erste Sänger, der es wagte zu provozieren?

Megas: Es gab Künstler, die schon vor meinen Auftritten up to date waren, aber nur musikalisch. Ich versah die moderne Rock-Musik mit eigenständigen Texten. Die linke Szene pries meine Musik, aber das konservative Island war geschockt. Um meine erste Platte aufzunehmen, musste ich 1972 nach Norwegen gehen.

Was wollten Sie mit Ihrem ersten Album erreichen – Island durchschütteln?

Mega:s Nicht bewusst. Ehrlich gesagt, wollte ich einfach eine Scheibe auf dem Markt haben und im Rampenlicht stehen.

Der Working Class Hero, als der John Lennon Anfang der 70er in England galt, wollten Sie nicht sein?

Megas: Überhaupt nicht. Das Publikum machte mich dazu. Alles, was etwas anders war als das Gewohnte, wurde verteufelt. Island war sehr konservativ. Ich wuchs ja selbst in einer der Familien auf, in denen die isländischen Sagas, die großen mythologischen Sagengestalten, glorifiziert wurden.

Sie mochten die Sagas doch auch, kombinierten sie später sogar mit moderner Musik.

Megas: Ja, aber mit dem Unterschied, dass ich die angeblich so glorreiche Vergangenheit veränderte. Ich war diese Glorifizierung so was von leid, dass ich den alten Helden ans Bein pinkelte, mich über sie lustig machte oder sie in surreale Situationen versetzte.

Was kann die heutige isländische Jugend dennoch von ihren Legenden lernen?

Megas: Oh, einiges, und in den Schulen spielen die Sagas noch immer eine Rolle. Es gibt glücklicherweise Lehrer, die den alten Geschichten meine Songtexte gegenüber stellen. Und das ist es, worauf ich immer aufmerksam machen wollte: dass hinter der Fassade eine andere Realität liegt. Die ist nicht unbedingt zu verehren.

Welche Realität ist das?

Megas: Eine düstere, bestehend aus Blut und Tränen. Es ist dringend notwendig, hinter diese Gewaltgeschichten ein paar Fragezeichen zu setzen.

 

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